Neues von der “Gorch Fock“: Eine Wasserski-Spritztour blamiert den neuen Kapitän des Segelschulschiffs, bevor er an Bord geht.
Hamburg. Im Neoprenanzug und mit nackten Waden durchpflügt Michael Brühn die Wellen vor Lanzarote. Die Wasserski-Bilder bringen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nur einen Tag nach einer hitzigen Debatte im Verteidigungsausschuss erneut in Erklärungsnot. Denn bei dem Surfer handelt es sich nicht um einen Touristen, sondern um den neuen Kapitän des Segelschulschiffes "Gorch Fock", gezogen von seinen Soldaten.
Die Aufnahmen stammen nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung aus dem Jahr 2004, als Brühn schon einmal Kommandant der "Gorch Fock" war. Gestern um 23 Uhr deutscher Zeit sollte Brühn erneut das Kommando auf dem Segelschulschiff übernehmen, das in der südargentinischen Hafenstadt Ushuaia liegt. Der Auftrag des 55-Jährigen: die "Gorch Fock" skandalfrei nach Deutschland zu segeln. Doch der Wasserski-Ausflug scheint sich jetzt in eine Serie von Todesfällen, archaischen Seemannsritualen und des Verdachts sexueller Belästigung einzureihen.
"Wir mussten alle Segel raffen. Unser Kommandant wollte unbedingt Wasserski fahren. Er ist mit dem Beiboot runter und dann circa 20 Minuten immer auf- und abgefahren. Wir waren alle fassungslos", sagte ein Ex-Mitglied der Stammbesatzung der "Bild"-Zeitung. Obwohl die Crew damals aufgefordert worden sei, keine Fotos zu machen, habe jemand gefilmt.
Alles kein Problem - wiegelt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums ab. Die Wasserskier hätten in der Freizeit allen Besatzungsmitgliedern zur Verfügung gestanden. "Der Kapitän hat absolut im Rahmen der Vorschriften gehandelt."
Auch der abgelöste Kapitän Norbert Schatz hat seine Untergebenen durch laxes Auftreten überrascht. Die Offiziersanwärter hätten ihn "besonders häufig in Badehose gesehen", schreibt der Wehrbeauftragte des Bundestages Hellmut Königshaus (FDP) in einem neunseitigen Bericht zu den Vorkommnissen auf der "Gorch Fock". In dem Papier, das dem Abendblatt vorliegt, heißt es über den Kommandanten Schatz: "Gezeigt habe er sich nur bei Pflichtterminen wie den Musterungen, sonst nicht. Auch der Kontakt zu den Offizieren sei eher gering gewesen. Man habe sie zum Teil beim Sonnen auf dem Achterdeck gesehen." Am Tag des Todes der 25 Jahre alten Kadettin Lena Sarah Seele, dem 7. November 2010, sei der Kapitän im Urlaub gewesen.
An Bord der "Gorch Fock" hatte es immer wieder Reibereien zwischen Stammbesatzung und Offiziersanwärtern gegeben. Mannschaftssoldaten hätten sich "beinahe wie Könige" aufgeführt, schreibt Königshaus. Wenn sich die Offiziere zurückzogen, hätte sich das Schiff in der Hand der Unteroffiziere befunden. In der Nacht vor dem Unfalltod von Lena Sarah Seele habe die Stammmannschaft gefeiert. "Ein Angehöriger sei in dieser Nacht in die Schlafräume gekommen und habe betrunken einen Monolog gehalten. Dabei habe er geäußert, dass er alle OA (Offiziersanwärter, d. Red.) hasse und sie alle töten würde", schreibt Königshaus.
Auch habe es Diebstähle an Bord gegeben, berichtete ein Kadett. In einem Einzelgespräch schilderte ein anderer ein Erlebnis aus einem Hafen. Die meisten der Kameraden seien in die Stadt oder an den Strand gefahren, als er als einer der Letzten duschen wollte. Drei Soldaten der Stammmannschaft hätten ihn angesprochen. Auf dem Schiff sei es wie im Knast, "jeder Neue müsse seinen Arsch hinhalten". Dann hätten sie eine Flasche Shampoo auf den Boden geworfen und ihn aufgefordert, sich zu bücken. Die Soldaten hätten sich mit der "Aryan Brotherhood" verglichen - einer rechtsradikalen Gefängnisgang aus den USA.
Der Kadett habe Angst bekommen, sei geflüchtet und habe den Vorfall gemeldet. Der Kommandant habe dann eine Belehrung ausgesprochen. Möglicherweise hätte es Disziplinierungen gegeben, der Kadett sei angesprochen worden, dass "diese Scheiße beinahe jemandem den Kopf gekostet hätte".
Auch die Offiziere hätten über die Stränge geschlagen und sich "hemmungslos besoffen", zitiert Königshaus einen weiteren Kadetten. Als Hafenwache habe dieser unbegründeten Feueralarmen nachgehen und auf dem Deck Erbrochenes der Offiziere wegputzen müssen. Einige Offiziersanwärter kämen zu dem Fazit: "Es gebe unter den Vorgesetzten kaum Vorbilder."
Derweil wachsen auch in der Unions-Bundestagsfraktion Vorbehalte gegen den weiteren Einsatz des Segelschulschiffes. "Gerade in Zeiten, in denen wir über eine kräftige Verkleinerung der Bundeswehr und weitere Sparbemühungen debattieren, wäre es unverständlich, ausgerechnet die 'Gorch Fock' unbedingt weiter in Betrieb zu halten", sagte Fraktionsvorstandsmitglied Ruprecht Polenz (CDU) der "Financial Times Deutschland".
Nun muss Kapitän und Wasserski-Freund Michael Brühn das Schiff nach Kiel zurückbringen. Er hat wichtige Gäste auf dem Schiff: Gestern gingen sieben Ermittler in Ushuaia an Bord. Sie sollen die Vorkommnisse auf der "Gorch Fock" aufklären.