Gülzow. Vor einem Jahr wurde der Tante-Enso-Laden in Gülzow mit einem Fest und großen Erwartungen eröffnet. Haben die sich erfüllt?
Luftballons stiegen auf, es gab Musik und einen Konfettiregen: Vor einem Jahr wurde der Tante-Enso-Markt, eine Mischung aus Supermarkt und Tante-Emma-Laden, im Gülzower Markttreff eröffnet. „Unsere Erwartungen haben sich erfüllt. Er hat sich zu einem echten Treffpunkt im Dorf entwickelt“, sagt Gülzows Bürgermeister Wolfgang Schmahl.
Marktleiter Sebastian Böttger bestätigt das: „Unser Jahr ist sehr gut verlaufen – mit ein bis zwei turbulenten Zeiten, als die Regale leer waren. Aber das haben wir gut weggesteckt.“ Gemeint ist der Mai 2023, als die Regale im Supermarkt nicht mehr aufgefüllt wurden: Eine Finanzierungslücke beim Start-up-Unternehmen MyEnso hatte den Nachschub mit Waren kurzzeitig lahmgelegt. So etwas sei normal bei einem Start-up, findet Böttger.
Tante Enso kann preislich durchaus mithalten
Und auch die Kunden nahmen den Engpass, der bereits Ende Mai überwunden war, nicht krumm. „Wir hören immer wieder, dass die Leute sehr froh sind, dass es uns gibt, weil es ihnen den Alltag erleichtert.“ Im Dorf gibt es keine weitere Einkaufsmöglichkeit, der nächste Supermarkt ist knapp sechs Kilometer entfernt in Grünhof.
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Preislich kann Tante Enso durchaus Paroli bieten: Die Preise bewegen sich auf dem Niveau von famila oder Edeka. Teurer sind Artikel von sogenannten Foodpionieren, die man in anderen Supermärkten kaum findet: Es sind Start-ups, die etwa neue Müslis entwickelt haben oder Produzenten von Alkoholika, die statt süßer Alcopops einen mit Chili abgeschmeckten Shot anbieten.
Die meisten Kunden kommen sonntags zum Einkaufen
Das ganz normale Sortiment läuft jedoch am besten: „Die Leute kommen gerne zu uns – von morgendlichen Pendlern, die sich mit Brötchen und Getränken eindecken, bis zu den Senioren aus dem nahen Pflegeheim, die bei uns ihre Naschis holen“, sagt Marktleiter Böttger. Der am stärksten frequentierte Tag sei jedoch der Sonntag. „Wenn irgendetwas fehlt, sind wir wohl die bessere und auch günstigere Alternative zu den Tankstellen“, mutmaßt der Marktleiter.
Dass auch der Bürgermeister ein Tante Enso-Kunde ist, erkennt man an seiner Handbewegung: Rechts neben der Eingangstür befindet sich ein Kartenlesegerät, das kontaktlos funktioniert. Schmahl hält die grün-türkis-violette Kundenkarte kurz davor, schon öffnet sich die Eingangstür. Oliver Brandt, Landtagsabgeordneter der Grünen aus Lütau, hätte sonst vor verschlossener Tür gestanden, als er auf seiner Sommertour den Markt besuchen wollte. Denn mittwochs hat das Personal frei, normale Läden hätten dann geschlossen.
24-Stunden-Supermarkt wird per Kundenkarte geöffnet
Tante Enso ist jedoch seit mehr als einem Jahr rund um die Uhr geöffnet – mit Kundenkarte. Die wird an der Kasse auch zum Bezahlen genutzt: Wie in anderen Supermärkten bereits auch gibt es im Laden eine Selbstscanner-Kasse, danach wird per Lastschrift abgebucht. Kleines Manko: Rund um die Uhr einkaufen kann man zwar im Markt, nicht jedoch seine leeren Flaschen zurückbringen. „Das geht nur, wenn auch Personal im Markt ist“, sagt Böttger. Ein Pfandautomat sei für das kleine Geschäft zu teuer und dafür fehle auch der Platz, so der Marktleiter.
90 Prozent aller Kunden zahlen mit der Tante Enso-Karte
Wer keine Karte hat, kann nur zu den normalen Öffnungszeiten einkaufen: montags, dienstags, donnerstags, freitags und sonnabends von 8 bis 12 Uhr sowie montags und freitags auch von 16 bis 18 Uhr ist Personal vor Ort. Dann ist das Betreten und Einkaufen auch ohne Karte möglich. „Das nutzen eigentlich nur Durchreisende“, sagt Böttger: „90 Prozent unserer Kunden zahlen mit ihrer Tante-Enso-Karte.“
Dazu gehören auch die Bewohner des nahen Altersheims, viele Post- und Paketzusteller und auch die Mitarbeiter des DRK: Der Kreisverband betreibt in der ehemaligen Schützenhalle ein Schulungszentrum. Kunden sind aber auch Bürger aus den Dörfern im Umkreis. Michael Eggers etwa kommt aus Lütau nach Gülzow: Er schätzt neben der 24-Stunden-Öffnung vor allem die Bioprodukte. Im Angebot sind etwa Fleischwaren von Wildglück aus Schnakenbek und vom Erdmannshof aus Krukow, dazu gibt es Milch vom Hamfelder Hof in Möhnsen. Weitere lokale Produkte sollen folgen, verspricht Böttger.
Der Tante-Enso-Markt mit den besten Franzbrötchen
Brandt kennt den Tante Enso bereits, war mit Freunden schon einmal im Laden, die Brot und Brötchen der Geesthachter Traditionsbäckerei Dittmer gekauft haben. Vor allem die Franzbrötchen sind dem Lütauer in Erinnerung geblieben. „Die sind tatsächlich ein Renner“, bestätigt auch Böttger. Das Kuchengebäck läuft so gut, dass Tante Enso auf seiner Homepage damit wirbt und Gülzow als den Standort mit den „besten Franzbrötchen in Schleswig-Holstein“ hervorhebt.
Den Weg zum Brötchenregal kennt Brandt deshalb, doch dass der Markt auch einen Frischebereich mit Obst und Gemüse hat, war ihm entgangen. Noch besser gefällt dem Grünen-Politiker, der jetzt auch eine Kundenkarte beantragen will, das genossenschaftliche Prinzip und die Kreidetafel am Eingang, wo Kunden ihre Wünsche notieren können: „Das zeigt den Unterschied zu anderen Supermärkten.“
Angefangen hatte alles mit einem Tante-Enso-Regal: Nach der Schließung des alten Markttreff-Supermarkts, den die Gemeinde zuletzt sogar selbst betrieb, sollte ein Café mit einer Art Kiosk die Artikel des täglichen Bedarfs anbieten. Doch die Kiosklösung platzte, aus dem Regal wurde ein ganzer Markt, bei dem die Gemeinde nur noch Vermieter ist: Nach Brekendorf im Kreis Rendsburg-Eckernförde war Gülzow der zweite Tante Enso-Markt im Norden und der 16. bundesweit. „Aktuell gibt es 19 Tante Enso-Märkte, bis zum Jahresende sollen es 40 sein“, sagt Marktleiter Böttger.
Deutschlandweit sind 800 Orte für Tante Enso geeignet
Damit wäre der Break-Even-Point für das Unternehmen erreicht: Einnahmen und Ausgaben würden sich dann erstmals decken. Die MyEnso-Gründer Norbert Hegmann und Thorsten Bausch gehen davon aus, dass es deutschlandweit etwa 800 Standorte gibt, die ihre Kriterien erfüllen: zwischen 1000 und 3000 Einwohner, der nächste Supermarkt mindestens sechs Kilometer entfernt und mindestens 300 Einwohner sind bereit, in die Genossenschaft einzutreten, die dem Markt die Stammkundschaft sichere.
Die Menschen seien ja weiterhin da, nur die Supermärkte nicht. Da müsse sich eben der Supermarkt ändern, erläutert Bausch die Idee hinter dem Start-up-Unternehmen.