Schwarzenbek. Europastadt tritt der Leipziger Initiative bei, um selbst über Tempolimts bestimmen zu können. Was Kritiker sagen.

Mit einer gemeinsamen Erklärung fiel am 6. Juli 2021 der Startschuss für ein bis dato beispielloses kommunales Bündnis: Aachen, Augsburg, Freiburg, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm gründeten die „Initiative für lebenswerte Städte und angemessene Geschwindigkeiten“ um die Einführung von Tempo 30 zu vereinfachten. Am Donnerstag, 13. Juli, haben die Politiker entschieden, dass Schwarzenbek als 860. Kommune dem Bündnis beitreten soll.

Der Antrag ist allerdings schon fast ein halbes Jahr alt: Am 31. Januar hatte ihn der damalige grüne Fraktionsvorsitzende Sven Kirbach für die Februar-Sitzung der Stadtverordnetenversammlung formuliert. Damals hatten sich in der Initiative, deren Geschäftsstelle die Stadt Leipzig ist, bereits 420 Kommunen angeschlossen.

Tempolimits: Städte wollen selber darüber entscheiden

Ihr Ziel: Die Handlungsfreiheit der Städte und Ämter im Bereich Straßenverkehr zu erweitern. Dabei geht es vor allem um Tempo 30: Auf Hauptverkehrsstraßen gilt bisher Tempo 50 als die Regel. Um ein Tempolimit einzuführen, hat der Gesetzgeber hohe Hürden vorgesehen: Aktuell ist eine Geschwindigkeitsreduzierung nur vor Kitas oder Schulen möglich – mit einer zeitlichen Beschränkung und jeweils nur auf einer Länge von 300 Metern. Zudem ist aus Lärmschutzgründen auch nachts Tempo 30 möglich.

Doch alle Tempolimits sind mit einem hohen bürokratischen Aufwand versehen. Die Initiative will, dass es für Kommunen künftig einfacher ist, Tempo 30 dort als „angemessene Geschwindigkeit“ anzuordnen, wo sie es für sinnvoll erachten – auch wenn damit ganze Straßenzüge im Hauptstraßennetz betroffen sind oder das Tempolimit sogar stadtweit die neue Höchstgeschwindigkeit wird.

Politik befürchtet mehr Staus wegen Tempo 30

Eine Zielrichtung, mit der sich bereits im Februar, aber auch jetzt in der neuen Stadtverordnetenversammlung viele Politiker nicht anfreunden konnten. Im Februar war der Antrag zur weiteren Bearbeitung in den Bauausschuss verwiesen worden, wo er schließlich eine knappe Mehrheit fand. Dieser Empfehlung ist die neue Stadtverordnetenversammlung nun gefolgt – allerdings erst nach langen Diskussionen.

Mit 26 Ja-Stimmen, zwei Nein-Stimmen und vier Enthaltungen hat die Schwarzenbeker Stadtverordnetenversammlung beschlossen, der „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ beizutreten.
Mit 26 Ja-Stimmen, zwei Nein-Stimmen und vier Enthaltungen hat die Schwarzenbeker Stadtverordnetenversammlung beschlossen, der „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ beizutreten. © Marcus Jürgensen | Marcus Jürgensen

„Es geht nicht um die Einführung von Tempobeschränkungen, sondern um mehr Handlungsspielraum zu erhalten“, warb Eduard Klaus (Grüne), Vorsitzender des neuen Ausschusses für Stadtentwicklung, Umwelt und Mobilität (Suma), in der Sitzung um Zustimmung. Für Klaus ein ganz besonderer Moment: „Es ist mein erster Antrag, mit dem meine politische Arbeit begonnen hat.“

Kritik kam von Bernhard Böttel, Fraktionschef der Freien Wähler (FWS): „Mit steht da zu viel Tempo 30 drin. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie das wird“, sagte Böttel, der täglich mit dem Auto nach Hamburg pendelt. Dem entgegnete Klaus, dass es nur um den Beitritt zur Initiative ginge: „Ist die erfolgreich, hätten wir als Stadt ein Werkzeug mehr.“ Tempo 30 sei damit nicht automatisch eingeführt, sondern müsse dann von der Stadtverordnetenversammlung mit Mehrheit beschlossen werden.

Bundeskabinett hat bereits Reform auf den Weg gebracht

SPD-Fraktionschef Rüdiger Jekubik begrüßte den Antrag zwar, sah ihn aber nicht mehr als notwendig an, da der Gesetzgeber mittlerweile selber tätig geworden sei. Am 21. Juni hatte das Bundeskabinett die Reform des Straßenverkehrsgesetzes beschlossen. Es soll Erleichterungen für Kommunen bringen, wenn neue Busspuren oder Tempo-30-Zonen eingerichtet werden sollen. Bisher waren Flüssigkeit und Sicherheit des Autoverkehrs wichtige Vorgaben des Straßenverkehrsrechts.

Nach der Anpassung des Straßenverkehrsrechts (StVG) und der Straßenverkehrsordnung (StVO) treten daneben die Ziele des Klima- und des Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung – und wichtig: Behörden vor Ort können sich künftig auf diese Ziele berufen. Ein flächendeckendes Tempo 30 wird es aber mit der Reform innerorts nicht geben. Neben dem Bundestag muss auch der Bundesrat den Änderungen zustimmen.

Seit 2017 gilt auf der Kollower Ortsdurchfahrt Tempo 30 – allerdings nur freiwillig. Unternehmer Thomas Buhck und Kollows Bürgermeisterin Ines Tretau hatten die „Buhck-Männchen
Seit 2017 gilt auf der Kollower Ortsdurchfahrt Tempo 30 – allerdings nur freiwillig. Unternehmer Thomas Buhck und Kollows Bürgermeisterin Ines Tretau hatten die „Buhck-Männchen" aufstellen lassen, um besonders die Lkw-Fahrer für eine Tempoverringerung zu sensibilisieren. © BGZ | Marcus Jürgensen

Kombination aus Tempo 30 und Zebrastreifen nicht zulässig

In der Europastadt gilt mittlerweile auf der Mehrzahl der Straßen in den Wohngebieten Tempo 30. Weil aber viele Autofahrer die Verkehrsschilder missachten, hatten die Sozialdemokraten im Herbst 2022 Piktogramme auf der Fahrbahn gefordert. 30 solcher Tempo-30-Markierungen wurden mittlerweile aufgemalt. Jedoch noch nicht im Lupuspark: Um den Wechsel von einem großen Verbrauchermarkt in den anderen auch ohne Auto sicherer zu machen, hatten die Grünen dort bereits vor zwei Jahren vergeblich breitere Fußwege, Zebrastreifen und Tempo 30 gefordert. Laut den damaligen Polizeiangaben sei der Lupuspark kein Unfallschwerpunkt, Tempo 30 deshalb nicht erforderlich. Und Zebrastreifen in Tempo 30-Zonen sind laut der bisherigen Straßenverkehrsordnung ohnehin „entbehrlich“. Mit der Neuordnung des Gesetzes könnte die Stadt Schwarzenbek ihn aber demnächst doch einrichten.

Wohl wissend, wie kontrovers Tempo 30 auch in den Kommunalparlamenten diskutiert wird, hatten die Leipziger Initiatoren zwei Beitrittserklärungen als Muster beigelegt: In der ersten Variante wird explizit auf Tempo 30 als künftige innerörtliche Höchstgeschwindigkeit hingewiesen, in der zweiten lediglich der Beitritt erklärt. Und den wollte dann eine große Mehrheit der Politiker: Mit 26 Ja-Stimmen bei zwei Nein-Stimmen und vier Enthaltungen stimmte die Stadtverordnetenversammlung für den Beitritt zur Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“.