Berlin. Wird sie zu einem „Meilenstein“ der Verkehrswende? Das Kabinett beschließt eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes. Umweltverbände sind skeptisch, ob ein grundlegender Umbruch gelingt.
Mehr Spielräume für Kommunen für Busspuren und Radwege - aber kein Freibrief für Tempo-30-Zonen. Das sieht im Kern eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes vor. Das Kabinett beschloss am Mittwoch einen Gesetzentwurf von Verkehrsminister Volker Wissing. Der FDP-Politiker sagte in Berlin, das Straßenverkehrsgesetz solle modernisiert und erweitert werden.
Worum es geht
Das Straßenverkehrsgesetz ist die Grundlage für das Verkehrsrecht. Seit langem fordern Verkehrs- und Umweltverbände eine Modernisierung - damit Kommunen vor Ort mehr entscheiden und umsetzen können, für lebenswertere Städte und als Beitrag zu mehr Klimaschutz im Verkehrssektor, der Emissionsziele verfehlt. Im März forderte ein Verbände-Bündnis, das Straßenverkehrsgesetz müsse von einem „reinen Kfz-Gesetz aus Kaiserzeiten“ zu einem modernen Straßenverkehrsrecht für alle weiterentwickelt werden.
In ihrem Koalitionsvertrag Ende 2021 hatten SPD, FDP und Grüne vereinbart, dass im Straßenverkehrsgesetz künftig neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs auch die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden sollten. Diese Vorgabe setzt Wissing nun um.
Was die Reform bedeutet
Länder und Kommunen sollten künftig schneller und flexibler auf besondere Anforderungen vor Ort reagieren können, so Wissing. Es solle ein Rechtsrahmen geschaffen werden, um in der untergeordneten Straßenverkehrsordnung den Behörden neue Befugnisse zu geben. So könnten Behörden „auf Erprobungsbasis“ Sonderfahrspuren für bestimmte klimafreundliche Mobilitätsformen anordnen, zum Beispiel für elektrisch oder mit Wasserstoff betriebene Fahrzeuge oder mit mehreren Personen besetzte Fahrzeuge.
Mehr Flexibilität soll es auch dafür geben, dass Kommunen Bewohnerparken anordnen können. Außerdem sollen leichter Busspuren und Radwege eingerichtet werden können. Behörden sollen laut Ministerium künftig verkehrsregelnde Maßnahmen ausschließlich aus Gründen des Klimaschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung erlassen können. So sollen auch Tempo-30-Regelungen erleichtert werden.
Laut Ministerium betrifft das Spielplätze, hochfrequentierte Schulwege und Fußgängerüberwege - sowie Streckenabschnitte bis zu 500 Metern zwischen zwei Tempo-30-Strecken, damit der Verkehr besser fließen könne.
Aber: Tempo-30-Zonen müssten verhältnismäßig sein, so Wissing. Bei einer Regelgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern bedeute eine Absenkung, dass der Staat einen Eingriff vornehme - und das müsse begründet werden. Der Minister betonte, es dürfe auch künftig bei der Anordnung einer Tempo-30-Zone nicht zu Beeinträchtigungen von Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs kommen.
Die „Leichtigkeit“ des Verkehrs könne durch Geschwindigkeitsbegrenzungen eingeschränkt werden, so Wissing. Es müsse sichergestellt werden, dass der Verkehr fließe und Waren in Geschäften ankämen. Und: Ein flächendeckendes Tempo 30 in Städten werde es nicht geben.
Wie es weitergeht
Neben dem Bundestag muss auch der Bundesrat zustimmen. Ein Entwurf zur Änderung der Straßenverkehrsordnung soll zunächst mit den Ländern abgestimmt werden. Wissings Ziel ist, dass die Änderung noch in diesem Jahr verabschiedet wird. In vielen Ländern regieren die Grünen mit.
Grünen-Fraktionsvize Julia Verlinden sprach von einem ersten Schritt zu einer Kehrtwende im Verkehrsrecht. „Besonders für Kinder, Familien und ältere Menschen wird dies die Verkehrssicherheit erhöhen, weil es vor Ort mehr Entscheidungsfreiheit und Handlungsspielraum gibt, beispielsweise Radwege, Zebrastreifen oder Tempo 30 einzurichten.“ Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) nannte den Verkehrssektor das schwierigste Feld, um Klimaziele zu erreichen. Mit der Novelle des Straßenverkehrsgesetzes sei ein guter Schritt gemacht worden.
Wichtig ist vor allem die Umsetzung in der Straßenverkehrsordnung. Bisher scheiterten an den geltenden Vorgaben in der Praxis viele Änderungen etwa zur Einrichtung von Busspuren, wie der Rechtsanwalt Roman Ringwald von der Kanzlei Becker Büttner Held gesagt hatte.
Janna Aljets von der Denkfabrik Agora Verkehrswende sprach mit Blick auf die Pläne der Bundesregierung von einem soliden Fundament. „Wer autofreie Städte erwartet, wird enttäuscht sein. Es ist kein Anti-Auto-Gesetz.“ Die Reform habe aber das Gemeinwohl im Blick. Es könne zu einem gesellschaftlichen Konsens beitragen, weil es den Umweltschutz voranbringe und zugleich Interessen von Autofahrenden nicht vernachlässige. Agora wünsche sich aber Nachbesserungen, etwa bei der digitalen Parkraumbewirtschaftung und kommunalen Handlungsspielräumen.
Für den Umweltverband BUND sagte Verkehrsexperte Jens Hilgenberg, Wissing wolle die Abmachungen aus dem Koalitionsvertrag lediglich als „Minimallösung“ umsetzen. Ohne deutliche Nachbesserungen drohe die Gesetzesänderung nur wenig Veränderung zu bringen. „Es geht darum, den Kommunen das Recht zuzustehen, selbstständig und unbürokratisch zu entscheiden, wo Tempo 30 angebracht ist.“