Sahms. Gegen geplantes Umspannwerk formiert sich Widerstand. Es gibt aber auch Befürworter. Wie sie von dem Projekt profitieren wollen.
Gunda Kiehn lässt den Blick über die weiten Wiesen und das in der Ferne wogende Gerstenfeld schweifen. Sie wirkt nachdenklich. Sahms, Hauptstraße, Feldrandlage: Matthias Bös, Tanja König und das Ehepaar Jablonski sind zu Besuch gekommen. Sie eint eine Sorge, sie fürchten um den ländlichen Charme ihres Dorfes, das 1987 sogar zum schönsten Ort in Schleswig-Holstein gekürt worden ist.
Gemeinsam mit 25 weiteren Männern und Frauen aus dem gut 400 Einwohner zählenden Ort nördlich von Schwarzenbek haben sie im April eine Bürgerinitiative gegründet. Denn wo jetzt noch die Gerste wogt und die 13 Galloway-Rinder der Kiehns friedlich grasen, soll schon bald eines der größten Umspannwerke Deutschlands auf einer Fläche von 40 Hektar entstehen. Laut den Betreibern 50Hertz, Tennet und SH Netz könnte das Projekt bis 2028 realisiert sein. Bürgermeister Henning Brüggmann rechnet mit einer Fertigstellung eher Anfang der 2030er-Jahre.
Umspannwerk Sahms geplant: Die Energiewende gefährdet den Dorffrieden
Verhindern lässt sich das Vorhaben vermutlich nicht – auch wenn die Aktiven aus der Bürgerinitiative darauf hoffen. Denn die Betreiber haben den gesetzlichen Auftrag, im Zuge der Energiewende im Kreis Herzogtum Lauenburg einen neuen Netzverknüpfungspunkt zu realisieren. Dieser soll aus einem 380-/110-Kilovolt-Umspannwerk und einer 380-kV Schaltanlage bestehen. „Es ist ein Vorhaben der Bundesregierung und auch von Interesse für die EU. Die Standortsuche der Betreiber ist abgeschlossen, die Hälfte der erforderlichen Flächen bereits verkauft. Wir haben einen Fachanwalt konsultiert, der keine realistische Chance sieht, das Projekt zu verhindern“, sagt der Bürgermeister. „Wir können lediglich sehen, dass wir das Beste für die Gemeinde rausholen.“
Denn auch wenn jeder, der durch Sahms fährt, anhand der vielen Protestbanner sieht, dass es Widerstand gibt, ist längst nicht jeder im Dorf gegen das Projekt. „Das ist der Zwiespalt. Es gibt durchaus Befürworter, die uns Gemeindepolitiker auch unter Druck setzen, damit das Umspannwerk kommt. Wieder anderen ist das Thema egal. Auch im Gemeinderat sind wir uns nicht einig, und wir haben gerade mit der Wahl auch drei neue Politiker im Gremium. Wir müssen uns jetzt erst einmal selbst ein Meinungsbild verschaffen“, betonte der Bürgermeister, der nun 205 Unterschriften von Kirsten Hagen von der Bürgerinitiative entgegengenommen hat.
Gemeinde Sahms verkauft erst mal ihr eigenes Grundstück für das Bauprojekt nicht
Eine Forderung der Bürgerinitiative haben die Politiker indes erfüllt, um erst einmal Zeit zu gewinnen. Es stand die Entscheidung an, einen Gemeindeweg an die Betreiber zu verkaufen. Dieser wird unter anderem auch als Zufahrt für die Gesamtfläche von 40 Hektar benötigt. „Wir haben diese Entscheidung zurückgestellt und wollen erst einmal mit den Betreibern verhandeln. Es gibt einige Themen, bei denen wir auf Zugeständnisse hoffen“, sagt der Bürgermeister.
So geht es der Gemeinde beispielsweise darum, den Brandschutz sicherzustellen. „Wir haben gerade erst vor fünf Jahren ein neues Feuerwehrfahrzeug gekauft. Wenn wir jetzt wegen des großen Umspannwerks ein anderes benötigen, hoffen wir auf Unterstützung. Außerdem müssen wir einen kommunalen Wärmeplan aufstellen. Vielleicht lässt sich ja Abwärme vom Umspannwerk nutzen“, so Brüggmann. Wichtig ist ihm aber auch, dass Anlagen wie die Kondensatoren, die Lärm erzeugen können, möglichst weit weg von der Bebauung aufgestellt werden.
Bürger von Sahms fürchten um den Wert ihrer Häuser und die dörfliche Idylle
Die Mitglieder der Bürgerinitiative fürchten um den Wert ihrer Häuser, machen sich Sorgen wegen der Brandgefahr und des ländlichen Charmes. Aber es ist nicht nur die Angst vor dem Umspannwerk. „Es ist uns gesagt worden, dass auch ein Konverter, der Gleich- in Wechselstrom umwandeln soll, in unmittelbare Nähe des Umspannwerks kommen soll. Er darf nur maximal drei Kilometer entfernt sein. Außerdem könnte sich eine ganze Industrie rund um die Energiewende hier ansiedeln, weil hier auch grüner Wasserstoff hergestellt werden könnte“, so die Befürchtung von Gunda Kiehn.
Diese Sorge ist nicht abwegig. „Der Konverter, der die Größe eines Ikea-Möbelhauses haben soll, ist uns in einem Gespräch mit den Betreibern auch avisiert worden“, sagt Bürgermeister Brüggmann. „Das ist allerdings eine Planung für den Zeitraum von 2037 bis 2045. Bei uns im Dorf gibt es dafür keinen Platz, das dürfte dann eher Grabau oder Lanken betreffen, weil der Konverter im Umkreis von drei Kilometern zum Umspannwerk stehen muss.“
50Hertz bestätigt Pläne für einen zusätzlichen großen Konverter
Marie Bartels, Pressesprecherin von 50Hertz, bestätigt diese Pläne. „In der Tat zeigen die aktuellen Berechnungen, dass für Integration erneuerbarer Energie in das Übertragungsnetz weitere Leitungen in dieser Region erforderlich sind. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir jedoch noch keine Aussagen zur Größe des Areals beziehungsweise zur konkreten Verortung des Konverters machen“, sagt Bartels. „Derart konkrete Planungen beginnen in unserem Haus frühestens im kommenden Jahr. Aktuell findet noch die Bedarfsplanung für den Ausbau des Höchstspannungsnetzes bis zum Jahr 2037 statt.“ Die Erarbeitung und Bestätigung des „Netzentwicklungsplans Strom“ werde voraussichtlich im Frühjahr 2024 abgeschlossen. In den Entwürfen sind zwei Offshorenetzanbindungen aus der Nordsee enthalten, die zum Suchraum Ämter BBS verlaufen (NOR-X-6 und NOR-16-1). Zudem soll eine weitere Leitung von dort bis in den Landkreis Böblingen in Baden-Württemberg führen (DC42).
Bei diesen Leitungen handelt es sich um Gleichstromverbindungen, die als Erdkabel realisiert werden, und die Anlagen zur Umwandlung von Gleich- in Wechselstrom an den Netzverknüpfungspunkten erfordern Konverter beziehungsweise ein Multi-Terminal-Hub zur Verknüpfung von Gleichstromverbindungen. 50Hertz ist für diese Projekte als Vorhabenträger vorgesehen. „Über den laufenden Prozess hat 50Hertz den Kreis und die Gemeinde in den vergangenen Wochen informiert. Wir haben zudem vereinbart, über die weiteren Entwicklungen im Austausch zu bleiben“, so Marie Bartels weiter.
Betreiber informieren die Bürger bei einer Versammlung über ihre Pläne
Doch das drängendere Thema ist das Umspannwerk. „Es wird in der Tat eine sehr große Anlage, aber sie ist nicht die größte in Deutschland. Der Netzwerkknotenpunkt in Heide und ein weiterer in Niedersachsen werden größer. Die Energiewende erfordert solche Bauwerke“, sagt Jan Niklas Wölfel, Referent für Bürgerbeteiligung bei dem Projekt an dem Tennet, 50Hertz und SH Netz zusammenarbeiten. Den Fragen der Bürger wollen sich die Betreiber in der kommenden Woche bei einer Versammlung im Feuerwehrhaus von Sahms (Auf den Wischhöfen 1) stellen. Die Versammlung ist öffentlich und beginnt am Donnerstag, 6. Juli, um 19 Uhr.
Denn vor dem Baubeginn steht das Genehmigungsverfahren. Und das wollen die Betreiber den Betroffenen erklären. „Mit den direkt betroffenen Flächeneigentümern möchten wir zu einer für beide Seiten zufriedenstellenden Lösung kommen. Deshalb haben wir bereits Kontakt aufgenommen und befinden uns derzeit in Gesprächen. Ebenfalls haben wir Kontakt zur BI aufgenommen, weil wir die Anliegen und Kritik sehr ernst nehmen. Wir haben den Austausch angeboten, um die Herleitung und den weiteren Genehmigungsprozess zu erläutern sowie über offenbar bestehende Bedenken hinsichtlich des Genehmigungsverfahrens zu sprechen“, sagt Tennet-Sprecher Peter Hilffert.
- Heizungsgesetz: Eindringliche Warnung vor Gasheizungen – „Spiel mit dem Feuer“
- Nord-Wirtschaft fordert mehr Tempo bei erneuerbaren Energien
- Kritik und Lob von Wohnungswirtschaft und Eigentümerverband
Das Genehmigungsverfahren startet voraussichtlich im kommenden Jahr. Die Gemeinde hat in diesem Genehmigungsverfahren als Träger öffentlicher Belange die Möglichkeit, sich zu beteiligen. Die Genehmigungsbehörde prüft und bewertet alle eingegangenen Stellungnahmen, bevor sie eine Entscheidung fällt. Die Genehmigungsbehörde ist in diesem Fall die Bundesnetzagentur. Einen Baugebinn peilen die Betreiber für 2025 an. Bürgermeister Brüggmann sagt: „Uns wurde eine Bauzeit von drei bis dreieinhalb Jahren genannt. Auch unser Landrat Christoph Mager hat das in Gesprächen gegenüber unserer Gemeinde als sehr sportlichen Zeitplan bezeichnet.“