Sahms. Bereits 2028 soll die Anlage in Betrieb gehen. Doch der Widerstand im Dorf aus dem Kreis Herzogtum Lauenburg ist beträchtlich.
Jetzt ist es amtlich: Das mit 40 Hektar wohl flächenmäßig größte Umspannwerk Deutschlands kommt an den Ortsrand des nur 15 Hektar großen Dorfes Sahms. Das haben die Betreiber, Tennet, 50Hertz und SH Netz, jetzt mitgeteilt. Zuletzt war neben dem 453-Einwohner-Dorf bei Schwarzenbek nur noch eine Fläche in der Gemarkung Fuhlenhagen im Gespräch. „Nach eingehender Prüfung der Flächen wurde festgestellt, dass der Standort in der Gemeinde Sahms unter umweltfachlichen, raumordnerischen und technischen Gesichtspunkten zu bevorzugen ist“, sagt Jan Niklas Wölfel, Referent für Bürgerbeteiligung bei Tennet.
Auf große Gegenliebe ist die Entscheidung bei vielen Politikern nicht gestoßen. „Die Unternehmen haben uns als Gemeindevertretern die Entscheidung Anfang der Woche mitgeteilt und die Gründe genannt. Wir sind als Gemeinde dagegen, können das Projekt aber nicht verhindern, da es sich um eine Planung des Bundes handelt. Wir müssen jetzt sehen, dass die Interessen des Dorfes so gut wie möglich berücksichtigt werden“, sagt Bürgermeister Dr. Helmut Brüggmann von der Wählergemeinschaft FWS (Freie Wähler Sahms).
Standort für Umspannwerk im Herzogtum Lauenburg steht fest
Die Politiker wissen bereits Bescheid, für den 6. Juli ist ein Gespräch der Betreiber mit der Sahmser Bürgerinitiative geplant, die das Projekt ablehnt. „Wir haben auch 50 Unterschriften gegen das Vorhaben im Dorf gesammelt, die wir den Gemeindevertretern bei ihrer nächsten Sitzung am 26. Juni überreichen werden“, sagt Gunda Kiehn, eine der Initiatorinnen der Bürgerinitiative.
Im Herbst dieses Jahres lädt Tennet zu Infomärkten ein, um über die Elbe-Lübeck-Leitung und den Netzverknüpfungspunkt zu informieren. „Im Raum Sahms wird der Infomarkt gemeinsam mit 50Hertz und Schleswig Holstein Netz stattfinden“, kündigt Jan Niklas Wölfel an. Danach soll dann zügig mit der Realisierung begonnen werden. Bereits in 2024 soll das Genehmigungsverfahren beginnen. Die Betreiber planen eine Inbetriebnahme im Jahr 2028.
Die Entscheidung trifft im Dorf auf unterschiedliche Resonanz. Wer durch Sahms fährt, sieht an einigen Grundstücken große Transparente, auf denen gegen das Projekt protestiert wird. Gleich nachdem bekannt wurde, dass Sahms eine von zwei potenziellen Flächen für den Netzwerkknotenpunkt ist, hat sich eine Bürgerinitiative mit mehr als 20 Mitgliedern gegründet.
Entscheidung für den Standort spaltet die Menschen im Dorf
Die Bürgerinitiative will ihren Kampf fortsetzen, weil sie um die Wohnqualität in dem Dorf fürchtet und sich Sorgen wegen der Größe des Projekts und um den Wert ihrer Häuser macht. Allerdings ist die Stimmung im Dorf sehr unterschiedlich, betont der Bürgermeister. „Zum einen gibt es die Bürgerinitiative, die das Projekt ablehnt. Aber es gibt auch eine Vielzahl von Menschen, denen die Planung schlichtweg egal ist. Andere wiederum sind dafür und sehen das Umspannwerk als Chance“, sagt der 69-Jährige.
Denn einerseits verliert das Dorf 40 Hektar an Ackerflächen, die auch Störchen und einer Mufflon-Herde eine Heimat bieten. Andererseits bekommt die Gemeinde dringend benötigte Gewerbesteuereinnahmen. „Wir haben nur einen kleinen Haushalt und können uns vieles nicht leisten. Das geht schon bei der besseren Markierung von Überwegen für Fahrradfahrer los. Aber wir müssen auch Kitaplätze schaffen. Angesichts von zwei kleinen Gewerbebetrieben, von denen einer aus Altersgründen bald aufgegeben wird, wären zusätzliche Einnahmen hilfreich“, so Brüggmann.
Wo heute Mufflons grasen, soll bald sehr viel Strom fließen
Andererseits gehe es darum, den dörflichen Charakter zu erhalten. „Wir werden im Verfahren dafür kämpfen, dass es Lärm und Sichtschutz gibt. Außerdem bleiben die Knicks erhalten, die das Dorf zusätzlich abschirmen“, sagt der Bürgermeister. Die vier großen Transformatoren sollen ohnehin an die Bundesstraße 207 möglichst weit weg von der Bebauung.
Auch der Baustellenverkehr soll über die Bundesstraße abgewickelt werden. „Wir rechnen nicht mit einer höheren Verkehrsbelastung im Ort. Nach der Fertigstellung läuft die Anlage weitgehend automatisch. Da kommt lediglich einmal pro Woche ein Wartungstrupp“, sagt Brüggmann.
Wichtig sei ihm aber, dass angesichts der unterschiedlichen Interessenlagen in dem Dorf kein Riss in der Gemeinschaft entsteht. „Wir wollen, dass zum nächsten Dorffest wieder alle kommen und gemeinsam feiern und keiner wegbleibt, weil ein anderer kommt“, hofft der 69-Jährige. An den großen Treffen der Bürgerinitiative habe er meistens gemeinsam mit weiteren Gemeindevertretern teilgenommen.
Gespräche mit den Grundeigentümern laufen bereits
Die Bürgerinitiative erhofft sich indes Unterstützung seitens der Gemeinde in ihrem Kampf. „Aktuell geht es um die Grundstücksverkäufe. Die Gemeinde hat einen Feldweg in dem Bereich. Meine Familie besitzt zwölf Hektar, die wir nicht verkaufen wollen“, sagt Gunda Kiehn. Pressesprecher Jan Niklas Wölfel bestätigt, dass es bereits Gespräche mit Grundeigentümern gibt.
„Wir haben mit allen Flächeneigentümern bereits Kontakt aufgenommen, sind mit einigen auch schon in guten Gesprächen und sind davon überzeugt, dass wir am Ende in allen Fällen zu einer für beide Seiten zufriedenstellenden Lösung kommen“, so der Sprecher. Im Extremfall könnten die Grundstücksbesitzer sogar enteignet werden, weil Bundesgesetze und EU-Richtlinien erfüllt werden müssen.
Die Proteste der Anwohner nehmen die Betreiber jedenfalls ernst. „Wir bedauern das sehr und haben auch Verständnis, dass nicht alle mit den Planungen für unser Energiewende-Projekt einverstanden sind. Wir suchen mit allen das Gespräch und das auf Augenhöhe. Wir nehmen Hinweise entgegen und werden versuchen, im Dialog mit den Menschen hier aus der Region Lösungen zu entwickeln, um bestmögliche Akzeptanz für unser Projekt zu bekommen“, teilt Wölfel mit.
Verknüpfungspunkt ist ein wichtiger Baustein für die Energiewende
Hintergrund: Die Übertragungsnetzbetreiber Tennet und 50Hertz haben gemeinsam mit dem Verteilnetzbetreiber Schleswig-Holstein Netz AG den gesetzlichen Auftrag im Zuge der Energiewende im Kreis Herzogtum Lauenburg einen neuen Netzverknüpfungspunkt zu realisieren. Dieser soll aus einem 380-/110-Kilovolt Umspannwerk und einer 380-Kilovolt Schaltanlage bestehen (1 Kilovolt entspricht 1000 Volt Spannung). Am Netzverknüpfungspunkt werden die bestehenden und zusätzlich zu planenden Stromleitungen von Tennet, 50Hertz und SH-Netz verbunden.
Eine dieser zusätzlichen Leitungen ist die 380-Kilovolt-Höchstspannungsleitung von Lübeck bis zur Elbe (Raum Krümmel), die aktuell von Tennet geplant wird (Vorhaben 58 und 84 Bundesbedarfsplangesetz). Eine weitere 380-Kilovolt-Höchstspannungsleitung von Hamburg-Ost Richtung Osten zum Netzverknüpfungspunkt wird derzeit von 50Hertz geplant (Vorhaben 51).
Eingriffe in Natur und Landschaft minimiert werden können
Diese Energiewende-Projekte sorgen dafür, dass das Netz stabilisiert und die Übertragungskapazitäten erneuerbarer Energie erhöht werden. Zugleich werden neue Netzanschlusskapazitäten geschaffen, die eine direkte Einbindung weiterer Stromerzeugungsanlagen (z.B. Freiflächenphotovoltaik, Windenergieanlagen) ermöglichen.
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„Der Netzverknüpfungspunkt ist somit ein wichtiger Baustein für die Energiewende in Deutschland“, erläutert Wölfel. Auf der Suche nach einem möglichen Standort wurden in der Region der Ämter Büchen, Breitenfelde und Schwarzenbek-Land von Tennet und 50Hertz mehrere Flächen geprüft. Am Ende standen zwei Suchräume in der engeren Auswahl – einer davon eine Fläche in der Gemeinde Sahms, die andere eine Fläche in den Gemeinden Fuhlenhagen und Talkau.
Für den favorisierten Standort in Sahms sprechen laut Wölfel unter anderem, dass hier die Anlage kompakt gebaut werden könne und somit die Flächeninanspruchnahme, aber auch die Eingriffe in Natur und Landschaft minimiert werden könnten. Zugleich weise der Standort günstige Baugrundverhältnisse und eine optimale Verkehrsanbindung auf. Durch die Lage im unmittelbaren Nahbereich der bestehenden 380-/110-Kilovolt Freileitung sei eine Anbindung des bestehenden Stromnetzes, aber auch der künftigen Netzausbaumaßnahmen an diesem Standort optimal zu realisieren.