Sahms. Der Netzwerkknotenpunkt für die Stromautobahn nach Süden wäre doppelt so groß wie das Dorf. Die Sahmser wehren sich.

Die Getreidefelder wogen am Ortsrand des 453 Einwohner zählenden Dorfes Sahms. Eine wilde Mufflonherde ist hier unterwegs, Rotmilan und Storch sowie andere Tierarten finden in dem Ort, knapp fünf Kilometer von Schwarzenbek entfernt, ihre Heimat. Doch damit könnte bald Schluss sein.

Gerade einmal 15 Hektar mit Häusern bebaute Fläche gibt es im Dorf, rund 350 Meter von den letzten Häusern entfernt könnte das größte Umspannwerk Deutschlands – ein sogenannter Netzwerkknotenpunkt entstehen, der 40 Hektar Fläche einnimmt. Das entspricht 56 Fußballfeldern. Um das noch zu verhindern, hat sich eine Bürgerinitiative mit aktuell 25 Mitgliedern und 50 Unterstützern gegründet.

An der Ortsgrenze entlang der Bundesstraße 207 läuft jetzt schon eine große Überlandleitung. Insgesamt sollen drei Hochspannungsleitungen aus den Wind- und Solarparks im Norden im Kreis Herzogtum Lauenburg zusammenlaufen und grünen Strom über Hochleistungstrassen nach Süddeutschland transportieren.

Größte Umspannwerk Deutschlands in Sahms – doppelt so groß wie das Dorf

Aktuell sind noch zwei Standorte in der Diskussion – Sahms und Fuhlenhagen. Offenbar favorisieren die drei Netzbetreiber Tennet, 50 Hertz und SH Netz, deren Netze an dem Knotenpunkt zusammengeführt werden sollen Sahms. Hier habe es schon Gespräche mit den Grundeigentümern gegeben. Die Sahmser befürchten aber, dass es bei den geplanten 40 Hektar nicht bleiben könnte. Denn wegen der Energiewende sind weitere Windparks in Planung, die ebenfalls an den Knotenpunkt angeschlossen und noch mehr Platz erfordern würden.

„Wir verstehen diese Entscheidung nicht. Ich bin hier aufgewachsen, die Natur ist intakt und die Anlage kommt dicht an die Wohnsiedlungen heran. Nach unserer Ansicht wäre das Gewerbegebiet Lanken, der Wald bei Fuhlenhagen oder aber ein Standort an der A 24 besser geeignet, weil er weniger Einschränkungen für die Menschen bedeutet“, sagt Joost Hagen.

„Wir fühlen uns nicht ausreichend am Entscheidungsprozess beteiligt Außerdem bedeutet eine so große Industrieanlage auch eine Wertminderung für unsere Immobilien. Nach meiner Einschätzung verlieren die Häuser 20 Prozent an Wert, den uns niemand ersetzt“, sagt Matthias Bös, dessen Familie seit Generationen in einem 1907 erbauten Haus im Dorfkern wohnt.

Schnell formierte sich Widerstand, wurde eine Bürgerinitiative gegründet

Die Sahmser haben im März bei einer von Bürgermeister Dr. Henning Brüggmann einberufenen Einwohnerversammlung erstmalig davon erfahren, dass es konkrete Überlegungen gibt, einen Netzwerkknotenpunkt in dem Dorf zu errichten. „Wir hatten uns im Feuerwehrgerätehaus getroffen und uns mit einigen anderen Dorfbewohnern in die Augen geschaut. Gleich im Anschluss kamen mehrere Menschen zusammen und wir waren uns einig, dass wir uns wehren wollen“, erzählt Matthias Bös.

Wenig später war im April die Bürgerinitiative gegründet. „Das ist ganz schön schnell und zeigt, wie ernst unsere Sorge bezüglich dieses Projekts ist, das unserer Ansicht nach an einem weniger belebten Ort besser untergebracht wäre“, sagt Joost Hagen.

Politiker hatten einen Ortstermin in Oststeinbek

Mit dabei ist auch der ehemalige Gemeindevertreter Ernst-Werner Prüßmann von der Wählergemeinschaft FWS, die damals alle neun Mandate der Gemeindevertretung hatte. „Wir haben auch sehr spät von den Plänen erfahren und als Politiker das Umspannwerk in Oststeinbek besucht, das allerdings wesentlich kleiner ist. Eigentlich ist die Lärmbelastung durch solche Anlagen gering. Dort war aber bei unserem Besuch ein Generator kaputt, der sehr lauf gebrummt hat“, berichtet er. Das Umspannwerk Hamburg Ost in Oststeinbek hat eine Fläche von 18 Hektar und ist nicht einmal halb so groß, wie der geplante Netzwerkknotenpunkt.

Die gute Anbindung der Baustelle und auch später im Betrieb an die Bundesstraße 207 spreche wirtschaftlich für Sahms, räumt er ein. Prüßmann betont, dass er sich aus der Politik zurückgezogen hat und sein Engagement in der Bürgerinitiative rein privater Natur als Anwohner ist. Allein die Größe von 40 Hektar Fläche und eine Höhe von 25 Metern sei ein Problem für die Anlieger. Aber auch Gefahren für die Umwelt befürchten die Mitglieder der Bürgerinitiative, weil in den Generatoren große Mengen Öl enthalten sind, die auslaufen oder auch Feuer fangen könnten.

Bürger vermissen eine bessere Beteiligung im Entscheidungsprozess

„Wir sind nicht grundsätzlich gegen Veränderungen. Aber wir möchten im Prozess mitgenommen werden. Das vermissen wir sehr. Wir haben jetzt erst einmal einen Hamburger Fachanwalt für Verwaltungsrecht eingeschaltet. Er soll die Unterlagen einsehen und uns beraten und gegebenenfalls auch vor Gericht vertreten. Das kostet aber viel Geld, das wir nicht haben“, so Matthias Bös.

Als nächsten Schritt plant die Bürgerinitiative jetzt eine Haustürbefragung und Unterschriftensammlung. „Hier kennt jeder jeden. Wir laufen die Straßen ab, wollen in persönlichen Gesprächen ausloten, wie das Dorf zu dem Netzwerkknotenpunkt steht und wer bereit ist, Geld für den Anwalt zu bezahlen“, so Prüßmann. Weitere Schritte sind noch offen. Möglicherweise wollen die Bürger die Unterschriftensammlung dem Bürgermeister vorlegen und eine Petition der Gemeindevertretung gegen das Projekt erwirken.

Betreiber kündigen Informationsveranstaltungen zu dem Projekt an

Die Betreiber haben bereits angekündigt, dass es Informationsveranstaltungen geben soll. Allerdings sind bis dahin möglicherweise schon weitere Vorentscheidungen über den endgültigen Standort getroffen worden. „Im Sinne der Netzwerkstabilität macht es Sinn, die drei Trassen miteinander zu verknüpfen“, erläutert Klemens Lühr, Netzwekrexperte von 50Hertz. Das Vorhaben geht über einen reinen Netzwerkverknüpfungspunkt hinaus. Gedacht wird in dem Zusammenhang auch an ein Umspannwerk, um Netze mit verschiedenen Spannungen (380 beziehungsweise 110 KV) und dreier verschiedener Betreiber (Tennet, 50Hertz und SH-Netz) miteinander verbinden zu können.

Kreis Herzogtum Lauenburg setzt auf Verkehrswende und braucht viel Strom

Während die Anwohner mit dem Vorhaben hadern, sieht der Erste Kreisrat und CDU-Kreistagsfraktionsvorsitzende Norbert Brackmann den Netzwerkknotenpunkt als Chance. „Das schafft Arbeitsplätze in der Region und wir bekommen den Zugriff auf sehr viel Strom, den wir unter anderem für unsere geplante Mobilitätswende brauchen“, sagte der Christdemokrat kürzlich bei der Einweihung des Schwarzenbeker Stadtbusverkehrs, der mit fünf Bussen rein elektrisch unterwegs ist. Es war hier schon nicht einfach, die Ladeinfrastruktur am Bauhof zu schaffen.

Der Kreis denkt aber größer. Perspektivisch soll der gesamte ÖPNV im Kreis elektrisch rollen. Einen entsprechenden Grundsatzbeschluss hat der Kreistag kürzlich auf den Weg gebracht. Und dafür braucht es neben Ladepunkten vor allem ausreichend Strom. Der wird auch für die generelle Mobilitätswende und die Umrüstung der Heizungen auf Wärmepumpen benötigt. Deshalb sieht Brackmann durch den Knotenpunkt auch große Chancen für den Kreis, weil hier der erforderliche Strom verfügbar wäre.