Ratzeburg/Büchen. IG Bau und Innung sind gegen den toxischen Mix: zu viele Vorschriften, zu hohe Kosten. Wie ein „Booster“ für den Neubau gelingen könnte.

Im vergangenen Jahr wurden im Kreis Herzogtum Lauenburg laut Statistischem Landesamt 914 Wohnungen gebaut – davon 500 in Ein- und Zweifamilienhäusern. Das sind trotz Wohnungsnot 117 weniger als im Jahr 2021. Schuld am Abwärtstrend sind hohe Zinsen, hohe Baukosten und staatliche Vorschriften, da sind sich die Gewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG Bau) und die Baugewerbe-Innung im Kreis einig.

Für das laufende Baujahr warnt der IG Bau-Bezirksvorsitzende Achim Bartels vor einem weiteren Abwärtstrend: „Hohe Baukosten treffen auf hohe Zinsen und hohe Hürden beim Bauen durch staatliche Auflagen und Vorschriften. Das ist ein toxischer Mix für den Wohnungsbau.“ Die Kaufpreise beim Neubau seien „aus den Fugen geraten“ und die Mieten klettern enorm nach oben – vor allem bei neu gebauten Wohnungen.

IG Bau und Baugewerbe wollen bezahlbaren Wohnungsbau ankurbeln

„Für manchen ist der Traum vom Eigenheim geplatzt. Da flossen auch Tränen“, hatte Kreissparkassen-Vorstand Udo Schlünsen im März auf der Bilanzpressekonferenz des Geldinstituts berichtet. Denn die vor zwei Jahren noch berechneten Leistungen für Zinsen und Tilgung hätten nach der Zinswende nicht mehr ausgereicht. Die Zeiten, in denen Baukosten und Miete sich annähernd aufwogen, seien vorbei. Insgesamt investierten die Bauherren im vergangenen Jahr im Herzogtum rund 164,4 Millionen Euro für den Wohnungsneubau.

Entscheidend sei jetzt, was gebaut werde: „Die Wohnungen müssen zur Lohntüte der Menschen passen. Es kommt darauf an, vor allem bezahlbare Wohnungen und Sozialwohnungen zu bauen“, sagt Bartels. Gebraucht werde jetzt ein „Booster für den Neubau“ von sozialen und bezahlbaren Wohnungen. Dem stimmt Markus Räth, Obermeister der Baugewerbe-Innung im Kreis und Inhaber eines Zimmerereibetriebs in Büchen, zu: „Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen ist gut. Dieses Ziel läuft aber konträr zu allem, was von Bauherren gefordert wird.“ Denn Bauen sei auch deshalb teuer und aufwendig, weil es zu viele Regeln und Verordnungen gebe.

Einsparpotenziale nutzen – Recyclingmaterial macht Bauen günstiger

Wie die Räth drängt auch die Gewerkschaft deshalb auf ein schlankeres Baugesetzbuch: „Es geht um das Durchforsten von Gesetzen, Verordnungen und Normen, auf das die Branche seit Jahren wartet. Das muss jetzt passieren – und nicht irgendwann im nächsten Jahr“, fordert Bartels. Räth, der im Landesvorstand des Baugewerbeverbandes sitzt und dort die Landespolitiker regelmäßig auf Einsparpotenziale hinweist, nennt ein Beispiel: „Man könnte sehr viel mehr Recyclingprodukte einsetzen, etwa im Beton.“ Der besteht aus Wasser, Zement sowie Sand oder Kies und seine Güteeigenschaften sind im Baugesetzbuch klar geregelt. Recyclingmaterial von Abbruchhäusern, das bisher lediglich für den Unterbau von Straßen verwendet wird, könnte Sand und Kies im Beton ersetzen.

In Hamburg läuft seit 2019 ein Pilotversuch dazu, an dem unter anderem das Bauunternehmen Otto Wulf teilnimmt. Räth: „Die können das Material aber nur für eigene Gebäude nutzen.“ Würde das Bauunternehmen den Beton auch für Auftragsbauten nutzen, wäre das ein Grund, einen Mangel zu reklamieren – weil er nicht der geforderten Güteklasse entspricht, so der Obermeister.

Nina Scheer, Landrat Christoph Mager, Andreas Katschke, Susanne Bendfeldt, Bürgermeister Norbert Lütjens und Obermeister Markus Räth (r.) beim Tag der Handwerks in 2022 in Schwarzenbek, mit dem das Baugewerbe um Auszubildende wirbt.
Nina Scheer, Landrat Christoph Mager, Andreas Katschke, Susanne Bendfeldt, Bürgermeister Norbert Lütjens und Obermeister Markus Räth (r.) beim Tag der Handwerks in 2022 in Schwarzenbek, mit dem das Baugewerbe um Auszubildende wirbt. © Stefan Huhndorf | Stefan Huhndorf

Übertriebene Vorgaben im Baugesetzbuch entfrachten

Doch Räth hat noch weiteres Sparpotenzial ausgemacht: „Ein Einfamilienhaus muss keine 20 Zentimeter starken Decken haben, 16 oder 18 Zentimeter reichen auch aus.“ Weil sich die Statiker aber an staatliche Vorgaben halten müssen, seien die Decken überdimensioniert. „Wäre die Decke nur 18 Zentimeter dick, würden wir nicht nur zehn Prozent Materialkosten, sondern auch zehn Prozent Energie und zehn Prozent CO2 einsparen“, rechnet Räth vor. Auch bei der Gründung von Einfamilienhäusern auf schwierigem Baugrund gibt es Versuche, die Bodenplatte auf Holzpfählen statt wie bisher auf Betonpfeilern zu gründen. Experten gehen, eine regelmäßige Wartung vorausgesetzt, bei Fertighäusern von einer Lebensdauer von 60 Jahren, bei massiv erbauten Häusern von 100 bis 150 Jahren aus. „So lange halten auch die Holzpfähle, die ja auch die Hamburger Speicherstadt tragen“, so Räth.

Als „überfrachtet“ kritisiert auch der Baugewerbe-Verband in seiner Frühjahrsumfrage das Baurecht: Die Komplexität der Konstruktionen und Gebäudetechnik sei in den letzten Jahren so stark gestiegen, dass die heutigen Gebäude bautechnisch überfrachtet sein. Weniger sei mehr und eine Reduktion auf das Wesentliche nachhaltig möglich. Das müsse rechtlich verankert werden, indem das Werkvertragsrecht und die Landesbauordnung hierzu geöffnet und außerdem flächendeckend angewendet werden.

Bei der Umfrage hatten zwei Drittel der befragten Bauunternehmer in Schleswig-Holstein die Lage als schlecht (30,04 Prozent) oder zufriedenstellend (44,39 Prozent) bewertet. Ein Drittel geht von einer weiteren Verschlechterung aus. Als Hauptgründe nennen die Unternehmen Verzögerungen bei Genehmigungsverfahren (34,6 Prozent), fehlenden Aufträge (29,5 Prozent) und Lieferschwierigkeiten (28,4 Prozent).

Zimmerermeister Jürgen Reiche (l.) mit Martin Stopankus und Alexander Reiche beim Richtfest des Grundschul-Anbaus am Büchener Schulzentrum.
Zimmerermeister Jürgen Reiche (l.) mit Martin Stopankus und Alexander Reiche beim Richtfest des Grundschul-Anbaus am Büchener Schulzentrum. © Marcus Jürgensen | Marcus Jürgensen

Pessimistisch blicken die Unternehmer vor allem auf den Bereich Wohnungsbau: Auftragsbestände und Umsätze im Frühjahr seien für zwei Drittel der befragten Betriebe geringer oder gar deutlich geringer als im Vorjahr, ein Drittel (33,8 Prozent) sagt sogar, der Auftragsbestand sei zu gering. Über fehlende Aufträge kann das Handwerk im Kreisgebiet derzeit allerdings noch nicht klagen, so Räth. Von einer Rezession sei aktuell nur „ein leiser Hauch“ zu spüren. Grund sei die Lage in der Metropolregion, so der Unternehmer: „In Hamburg gehen nie die Lichter aus.“

Gewerkschaft fordert 72 Milliarden starkes Förderprogramm

Helfen würden staatliche Fördermittel: „Wie wir das Ziel, jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen, erreichen sollen, die ja auch bezahlbar sein sollen, ist mir ein Rätsel“, sagt Räth. Ein milliardenstarkes Förderprogramm fordert die IG Bau: „Für mehr Sozialwohnungen und für mehr bezahlbare Wohnungen müssen Bund und Länder bis 2025 mindestens 72 Milliarden Euro in die Hand nehmen“, sagt Gewerkschafter Bartels. Er appelliert an die heimischen Bundestagsabgeordneten, sich in Berlin für ein „massives Aufstocken der Fördergelder“ stark zu machen und beruft sich dabei auf Berechnungen von zwei Wohnungsbau-Studien, die die IG Bau beim Pestel-Institut (Hannover) und beim Bauforschungsinstitut ARGE (Kiel) mit in Auftrag gegeben hat. Konkret werde ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau benötigt. „Nur dann kann es noch klappen, bundesweit 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr zu bauen“, so der IG Bau-Bezirkschef. Zusätzlich seien 22 Milliarden Euro für den Neubau von 60.000 bezahlbaren Wohnungen dringend erforderlich. Davon profitiere schließlich auch das Herzogtum und deren Bauwirtschaft.