Harburg. Experten der Technischen Universität spielen eine Schlüsselrolle bei europaweitem Projekt „Zirkulare Städte“, das jetzt an den Start geht.
Überall wachsen in Harburg neue Gebäude heran – häufig auf Grundstücken, die zuvor bereits bebaut waren. Das Abrissmaterial wird weg geschafft. Ein Großteil landet sehr oft im Straßenbau. Für die Neubauten wird tonnenweise neues Material herangeschafft.
Das EU-Projekt „Zirkulare Städte“ will das ändern: Langfristig soll Material aus dem Gebäudeabbruch wieder im Hochbau landen. Vier Metropolen wollen Wege entwickeln, wie Städte langfristig mit der vorhandenen Baumasse auskommen können: London, Kopenhagen, Helsinki und Hamburg. Der Bereich Abfallressourcenwirtschaft der Technischen Universität (TUHH) vom Institut für Umwelt und Energie spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Recycling von Bauteilen braucht viel Lagerplatz und Personal
„In Hamburg fielen im Jahr 2017 rund 4,5 Millionen Tonnen Baurestmassen an – inklusive Boden. Die Harburger Massen werden auf etwa eine Million Tonnen geschätzt“, sagt Prof. Kerstin Kuchta, die den Bereich Abfallressourcen bei der TUHH leitet. „Werden Gebäude abgerissen, so werden heute eigentlich nur die metallenen Bestandteile, also Stahl, herausgeholt und wieder eingeschmolzen. In Einzelfällen werden auch Bauteile wie Fenster und Türen geborgen, aufbereitet und woanders neu verbaut. Das passiert aber fast nur bei historischen Gebäuden“, sagt Kuchta.
Das Recycling von Bauteilen sei personalintensiv und benötige viel Lagerplatz, so Kuchta. Deshalb komme es, abgesehen von Pilotprojekten, kaum in Gang. Im Projekt „Zirkulare Städte“ sollen Beton, Mauersteine, Klinker und Dachziegel so weit wie möglich zum Rohstoff für Neubauten werden. Kuchta: „Schon heute werden 90 Prozent des Abrissmaterials recycelt. Aber die fließen fast ausschließlich in den Straßenbau. Irgendwann ist die Infrastruktur weitgehend fertig gestellt. Aber Häuser werden immer gebaut. Und das sollte zukünftig mit einem stetig wachsenden Anteil an recyceltem Material aus Abrissprojekten geschehen.“
Stadt und TUHH sitzen in einem Boot
40 Projektpartner arbeiten an diesem Ziel. In Hamburg sind es fünf: Neben den Ressourcenforschern der TUHH sitzt die Stadt selbst mit im Boot und dazu drei Unternehmen: Die Eggers Gruppe ist für den Abbruch und Trennung der Materialien zuständig, das Entsorgungsunternehmen Otto Dörner bereitet den Schutt auf, und das Bauunternehmen Otto Wulff beschäftigt sich mit Fragen, die den Einsatz des Materials betreffen.
Ziel des über vier Jahre laufenden Zehn-Millionen-Projekts sind pro Stadt drei Pilotgebäude, in denen mindestens 25 Prozent altes Baumaterial stecken – „gern auch 50 Prozent“, sagt Kuchta. Stefan Wulff, Geschäftsführer bei Otto Wulff ist noch ambitionierter: „Wir würden gern ein zu 100 Prozent recyceltes Haus bauen.“ Die Forscher werden in den nächsten Jahren Fragen bearbeiten wie: Mit welchen Rezepturen lässt sich das Abbruchmaterial Betonsplitt in neuen Beton mischen, so dass das Material am Ende die geforderten Eigenschaften hat? Andere Projektteilnehmer beschäftigen sich zum Beispiel mit Haftungsfragen: Wer übernimmt die Haftung, wenn ein Bauteil mit hohem Recyclinganteil nachgibt oder sich vorzeitig Schäden zeigen?
Am Anfang steht die Bestandsaufnahme. Dazu gehört, die Materialzusammensetzung von Gebäuden genauer zu ermitteln. Ein zukünftiges Recyceln kann auch nur funktionieren, wenn es ein städtisches Materialmanagement gibt. Die Verwaltung muss erfahren, wann wo welche Gebäude abgerissen werden sollen und welche Materialien sie liefern werden. Der Investor, der den Abriss beauftragt, müsste dies in ein Formblatt eintragen, das es eigentlich schon geben müsste – die EU fordert dies bereits heute bei Abbrüchen. „Derzeit existiert ein solches Formblatt quasi nicht“, sagt Kuchta. „Kopenhagen hat eines entwickelt, setzt es aber nicht nachdrücklich durch.“