Lauenburg. Betroffenengemeinschaft übt massive Kritik: Ständig wechselnde Ansprechpartner, keine verlässlichen Beschlüsse. Steckt Taktik dahinter?
Noch ist die Elbuferpromenade komplett überspült, doch das Wasser geht langsam zurück. Beim Höchststand von 6,06 Metern am vergangenen Donnerstag kann von einer Bedrohung nicht die Rede sein. Und doch scheint es, als hätte sich die Elbe mahnend zurückgemeldet. Zehn Jahre ist es jetzt her, als das verheerende Hochwasser in Lauenburg Schäden in zweistelliger Millionenhöhe anrichtete. Von einem wirksamen Hochwasserschutz war damals schnell die Rede. Doch alles, was in dieser Hinsicht bisher passierte, ist kaum der Rede wert.
Viele Köche verderben den Brei – wenn an dem Sprichwort was dran ist, dürfte es auch in Zukunft um den Hochwasserschutz für Lauenburg schlecht bestellt sein. Die Lauenburger Betroffenengemeinschaft bemängelt, dass lange festgelegte Entscheidungen immer wieder infrage gestellt werden, weil zu viele Mitarbeiter auf allen Ebenen ein Wörtchen mitreden wollen. „Wir sind mit der Lauenburger Verwaltung in engem Kontakt. Aber jedes Mal hören wir, dass wieder neue Personen ihre Standpunkte eingebracht haben und damit sämtliche Vorplanungen nichtig sind“, ärgert sich Peter Willbrandt.
Hochwasserschutz Lauenburg: Entscheidungen werden immer wieder infrage gestellt
Jüngstes Beispiel: das sogenannte Bemessungshochwasser. Für jeden kritischen Punkt entlang der Elbe ist dieser Wert festgelegt. Für den Pegel Hohnstorf liegt dieser bei 9,60 Meter. Doch dieser irgendwann einmal aufgestellte Wert dürfte längst überholt sein. Am 12. Juni wurde in Lauenburg ein Pegelstand von 9,64 Metern gemessen.
„Deshalb sind alle Überlegungen für den Hochwasserschutz für Lauenburg von einem Bemessungswert von zehn Metern ausgegangen. Jetzt mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass dies wieder zur Diskussion stand und die Vorplanungen erneut um Monate zurückgeworfen hat“, sagt Sven Scharnweber. „Man könnte fast meinen, diese Verzögerungstaktik dient dazu, den Hochwasserschutz komplett unter den Tisch fallen zu lassen“, stellt Peter Willbrandt in den Raum.
Kleine Lenkungsgruppe plant vor, große Lenkungsgruppe entscheidet
Tatsächlich sind die Strukturen der Planung für den Lauenburger Hochwasserschutz kompliziert. In der sogenannten kleinen Lenkungsgruppe stimmen sich Vertreter des Landes und der Stadt über die nächsten Schritte in Sachen Hochwasserschutz ab. In der großen Lenkungsgruppe sitzen dann die Entscheidungsträger zusammen. Kommt man dort zu dem Schluss, dass die Vorschläge nicht überzeugend seien – etwa, weil wieder ein neuer Teilnehmer in der Runde sitzt –, fängt die kleine Lenkungsgruppe quasi von vorne an.
Bei der Lauenburger Verwaltung laufen die Fäden dieser Koordination zusammen. Allein die Terminfindung der Zusammenkünfte sei ein riesen Problem, hieß es von da schon des Öfteren. Die Verantwortung für die Ausschreibung der Leistungen im Zusammenhang mit dem Hochwasserschutz liegt dagegen nicht bei der Stadt, sondern bei der Gebäudemanagement Schleswig-Holstein AöR (GMSH). Krasser Kontrast zu der riesen Gruppe von hauptamtlichen Entscheidern: Träger der Maßnahme ohne Entscheidungskompetenz ist der ehrenamtlich geführte Wasser- und Bodenverband. Auch hier ist die Personalsituation problematisch.
Kiel will sich den Schwarzen Peter nicht zuschieben lassen
Für die ständigen Verzögerungen bei der Planung will man sich in Kiel aber nicht den Schwarzen Peter zuschieben lassen. Das Land sei lediglich für die fachliche Beratung, die Bewilligung der Zuwendungen sowie die Genehmigung der Baumaßnahmen zuständig“, hieß es vor Kurzem in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion an die Landesregierung. „Ständig wechselnde Ansprechpartner, keine verlässlichen Beschlüsse. Wenn die Strukturen nicht deutlich verschlankt werden, brauchen wir über Hochwasserschutz nicht mehr zu reden“, ist Jörg Sönksen von der Betroffenengemeinschaft überzeugt.
- Leben mit dem Elbehochwasser zu allen Zeiten
- Hochwasser rollt auf Lauenburg zu: Wie gefährlich wird es?
- Blackout: Wie sich Lauenburg auf die Katastrophe vorbereitet
Aber die wenig verlässlichen Beschlüsse und langen Entscheidungswege sind nicht das einzige, was den Akteuren auf den Nägeln brennt. „Wir wissen nicht, wie viel Zeit wir haben, bis uns die nächste Katastrophe überrollt. Wir können uns jedenfalls nicht darauf verlassen, dass die Elbe wartet, bis der Hochwasserschutz fertig ist“, sagt Sven Scharnweber.
Betroffenengemeinschaft fordert Zwischenlösungen
Seit Monaten fordert die Betroffenengemeinschaft deshalb, dass Zwischenlösungen konzipiert werden, die im Ernstfall das Schlimmste verhindern könnten. „Die Twieten brauchen Vorrichtungen, um Spundwände zu montieren. Außerdem sollte geprüft werden, auf welche Weise verhindert werden kann, dass das Wasser aus der Kanalisation drückt“, sagt Sönksen. Möglicherweise, ergänzt sein Mitstreiter Hajo Krasemann, könnten in das Leitungssystem eingesetzte Ballons dies verhindern.
Auch in diesem Fall geht es nicht voran. Schon längst sollen die alten Mischkanäle für Regen- und Schmutzwasser durch ein modernes Trennsystem ersetzt werden, das auch genügend Oberflächenwasser aufnehmen kann. Die Finanzierung der Maßnahme ist zu 100 Prozent aus Mitteln der Wiederaufbauhilfe nach dem Hochwasser gedeckt. Insgesamt 10,5 Millionen Euro stehen dafür bereit. Wenn schon der Hochwasserschutz weiter auf sich warten lasse, müsse zeitnah ein Konzept für Zwischenlösungen auf den Tisch, sind sich die Akteure einig.
Evakuierungsplan lässt weiter auf sich warten
Wegen des fehlenden Hochwasserschutzes macht der Betroffengemeinschaft noch ein anders Thema Sorgen. Würde es im Ernstfall wieder zu einer flächendeckenden Evakuierung der Altstadt kommen? „Wenn wir noch zehn Jahre darauf warten müssen, halbwegs sicher zu sein, muss man sich doch wenigstens über einen Notfallplan im Klaren sein. So chaotisch wie vor zehn Jahren darf das Krisenmanagement auf keinen Fall wieder ablaufen“, meint Peter Willbrandt. Viele Schäden wären aus Sicht der Betroffenengemeinschaft zu verhindern gewesen, hätten die Bewohner die Pumpen in den Häusern weiter bedienen können.
Seit 2017 wird die Situation von damals immer wieder analysiert und neu bewertet. Klar ist mittlerweile: Künftig solle es keine allgemeine Evakuierung wie 2013 geben, sondern Einzelfallbetrachtungen nach Prognosen, Höhenlagen und anderen Gefährdungskriterien. Jedes Gebäude in der Altstadt ist mittlerweile entsprechend bewertet. „Diese Ergebnisse müssen offen gelegt werden. Uns wurde eine weitere Beteiligungsrunde versprochen“, erinnert Willbrandt.