Lauenburg. Lauenburg besitzt Kostbarkeiten, die viele Jahrzehnte auf einem Spitzboden des Elbschifffahrtsmuseums lagerten. Die schönsten Stücke.
Er mag ihnen als komischer Kauz erschienen sein. Doch wenn Postmeister Johannes Friese um das Jahr 1870 an die Türen der ehrbaren Lauenburger Bürger klopfte, rückten die gern raus, um was er bat: alte Bücher, amtliche Dokumente, scheinbar nutzloses Zeug. Doch das war es nicht. In der fortschreitenden Industrialisierung, so die Überzeugung des 31-Jährigen, würden all dies Dinge verloren gehen.
Seine Rechnung ging auf: Große Teile der Sammlung gehören heute zum Bestand des Stadtarchivs, doch längst nicht alle. Im Magazin des Elbschifffahrtsmuseums lagern verborgene Schätze in Hunderten Pappkartons – auch Sammelstücke des Lauenburger Postmeisters. Museumsleiter Dr. Jörn Bohlmann und ehrenamtliche Helfer haben die Kisten vom Spitzboden geschleppt – und so manche Überraschung erlebt.
Friese häufte Gegenstände und Dokumente aus allen Epochen an
Johannes Friese war das, was man heute wohl einen Trödler bezeichnen würde. Er interessierte sich für alles, was mit der Geschichte Lauenburgs zu tun hatte. Dabei war er nicht wählerisch. Er häufte Gegenstände und Dokumente aus allen Epochen an: Hinterlassenschaften des Herzogsgeschlechts der Askanier, regionale Töpferwaren, Geräte, Zunftgeschirr, Schmuck, Trachten, wertvolle Möbel und Gläser. Hinzu kamen alte Stadtbücher Lauenburgs, kostbare Bibeln und Gesangbücher, Porträtkupferstiche und eine bedeutende Münzsammlung.
Bei seinen Sammeltouren in der Schifferstadt wurde Johannes Friese übrigens oft mit dem Lauenburger Bäckermeister Heinrich Murjahn gesehen, dessen Namen man heute ebenfalls noch kennt. Der war bekannt dafür, dass ihm Pinsel und Leinwand mindestens genauso wichtig waren wie Kuchenteig und Zuckerguss.
Schon früh muss Friese auf die Begabung von Heinrich Murjahn aufmerksam geworden sein. Nicht ganz uneigennützig motivierte er den Konditor, sich auf das Abzeichnen historisch bedeutsamer Bildquellen zu spezialisieren. Werke von Heinrich Murjahn befinden sie heute ebenfalls im Bestand des Lauenburger Museums.
Nachlass war Grundstock für das Heimatmuseum
Kein Wunder, dass Johannes Friese bei seiner Sammelleidenschaft bald ein Platzproblem bekam. Anfangs deponierte er seine Fundstücke im Posthaus, dann lagerte er sie in das Elbzollhaus aus, das ebenfalls bald aus allen Nähten platzte. Seine Sammlung erregte internationale Aufmerksamkeit. Im Jahre 1912 berichtete eine dänische Zeitung, dass es sich um eine der größten Privatsammlungen Nordeuropas handeln würde.
Der Lauenburger Postmeister, der zu Lebzeiten viel in der Welt herumgekommen war, verstarb am 1. März 1916. „Die Lauenburger Stadtoberen müssen damals sehr weitsichtig gewesen sein. Ein Jahr später kauften sie den gesamten Nachlass von Johannes Friese“, weiß Bohlmann. Zu welchem Preis ist nicht überliefert. Wohl aber, dass die Sammlung der Grundstock für das 1927 gegründete Lauenburger Heimatmuseum war, aus dem später das Elbschifffahrtsmuseum hervorging.
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In den Notjahren und und im strengen Winter 1946/47 wurde manche Bibel verheizt
Doch dann kamen die Irrungen und Wirrungen des Zweiten Weltkrieges und die entbehrungsreichen Jahre danach. In einem Aufsatz des ehemaligen Museumsdirektors Jacob Krohn aus dem Jahre 1987 heißt es über die Sammlung: „Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass damals in den Notjahren und und in dem strengen Winter 1946/47 so manche Bibel und so manches wertvolle Möbelstück verheizt wurde.“
Die meisten Exponate des Johannes Friese wurden im Laufe der Jahres auf dem Spitzboden des Museums eingelagert. Manchmal steht ein Inhaltsverzeichnis auf den Kartons, auf den meisten aber nicht. Anders als für die im Stadtarchiv aufbewahrten Schriftstücke gibt es für die gesammelten Gegenstände bisher kaum eine Übersicht.
Ehrfurcht vor den verborgenen Zeugen der Geschichte
Jörn Bohlmann ist der erste hauptamtliche Leiter des Elbschifffahrtsmuseums, das zwischen 2010 und 2014 umfassend saniert und umgestaltet wurde. Als der promovierte Völkerkundler im Februar 2020 die Stelle antrat, weckte der vollgestellte Spitzboden des Museums seine Neugier. Von alteingesessenen Lauenburgern ließ er sich erzählen, was es mit dem Postmeister Johannes Friese auf sich hatte.
Seit zweieinhalb Jahren ist Jörn Bohlmann neben seinen anderen Aufgaben nun schon auf Schatzsuche auf dem Spitzboden des historischen Gebäudes an der Elbstraße 59. Mit seiner Neugier steckte er den ehemaligen Werftchef Franz Hitzler und den Lauenburger Wissenschaftler Wolfgang Bethge an. Außerdem sind regelmäßig Jugendliche aus der Albinus-Gemeinschaftsschule mit Eifer dabei.
Jedes Exponat wurde mit weißen Stoffhandschuhen angefasst
Insgesamt 120 Kartons haben die Schatzsucher vom Dachboden ins Magazin des Museums gewuchtet. Alle haben sie inzwischen geöffnet, jedes Exponat mit weißen Stoffhandschuhen angefasst. „Fast alle Kartons steckten voller Überraschungen. So manches Mal habe ich eine Gänsehaut bekommen, als mir bewusst wurde, was ich da gerade in den Händen hielt“, erzählt Bohlmann.
Was das Wichtigste ist: Nach so vielen Jahrzehnten sind die Fundstücke jetzt nicht nur geordnet, sondern sicher verwahrt. „Die wertvollsten kleinen Gegenstände wurden zuerst in säurefreies, sogenanntes Juwelierpapier gewickelt. Zerknülltes Archivpapier zwischen den Stücken dient als Pufferung. Jetzt lagern die Stücke in speziellen Kartonagen sicher in den Regalen des Magazins.
Was sind die wertvollsten Fundstücke der Schatzsucher?
Aber was haben die Schatzsucher nun eigentlich entdeckt? Was ist der wertvollste Fund, den sie gemacht haben? Die Antwort auf die vielgestellten Fragen schüttelt der Museumsleiter nicht aus dem Ärmel. „Die Sammlung umfasst so viele Exponate, um die uns viele Museen der Welt beneiden würden“, sagt er. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass der Lauenburger Postmeister damals viele Kontakte pflegte. So lernte er neben zahlreichen Künstlern auch Forscher kennen. Überliefert ist: Friese hat im Herbst 1886 eine Orientreise unternommen und dabei Heinrich Schliemann getroffen, der zu dieser Zeit an den Ausgrabungen von Troja arbeitete.
Der Lauenburger Postbeamte war beeindruckt und widmete sich fortan auch der Sammlung von Gegenständen des Altertums. „In einem Karton fanden wir Fischschwanzdolche, in einem anderen sogenannte Amazon-Äxte. Diese Steinwerkzeuge sind rund 4000 Jahre alt und vollkommen unbeschädigt. Das ist ein unfassbarer Schatz“, schwärmt der Museumsleiter.
Bibel aus dem Jahr 1587 für ihr Alter sensationell erhalten
Unvergessen auch der Tag, als den Schatzsuchern ein Exemplar aus der Bibelsammlung des Postmeisters in die Hände fiel, die vermutlich Herzog Franz Heinrich von Sachsen-Lauenburg gehört hatte. „Die Bibel wurde im Jahre 1587 in Frankfurt am Main gedruckt. Trotz der Lagerung ist sie für ihr Alter sensationell erhalten“, sagt Bohlmann.
Interessant auch verschiedene Laden der Lauenburger Handwerkszünfte, die ebenfalls auf dem Spitzboden lagerten. Die meisten sind mit zwei Schlössern versehen. Die beiden Schlüssel wurden zwei Zunftmeistern anvertraut, die die Lade nur gemeinsam öffnen konnten. Die hohen Herren wollten sich wohl selbst nicht in Versuchung bringen.
Die Suche nach einem Platz für die Friese’sche Sammlung
Was wird nun aus den Fundstücken? Der Wissenschaftler Jörn Bohlmann ist da hin und her gerissen. „Einerseits könnten die Gegenstände in dafür ausgerichteten Museen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Andererseits besitzt die Stadt mit der Sammlung einen wertvollen Schatz, den sie würdigen sollte. „In vier Jahren wird das Lauenburger Museum, für das Johannes Friese den Grundstock legte, 100 Jahre alt. Vielleicht finden wir zu diesem Anlass einen würdigen Rahmen, um einen Teil seiner Sammlung zu zeigen“, wünscht er sich.
Anerkennung von höchster Stelle bekam Johannes Friese übrigens bereits zu Lebzeiten. Otto von Bismarck schätzte die Gespräche mit dem Lauenburger Postmeister. Zum Dank schenkte ihm der Reichskanzler, der Ehrenbürger der Stadt Lauenburg war, ein handsigniertes Porträt von sich selbst.