Lauenburg. „Die Unterstadt an Hollywood zu verkaufen“, titelt unsere Zeitung im September 1968. Übertrieben? Nur ein kleines bisschen.

Ein Vampir reist auf der Suche nach der Frau seines Sekretärs von Transsylvanien nach Norddeutschland. Auf seinem Schiff hausen die Ratten und bringen Tod und Verderben in den fiktiven Ort Wisborg. „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens“ gilt als einer der ersten Horrorfilme überhaupt. Den Zuschauern, die am 22. März 1922 bei der Uraufführung des Stummfilms Nosferatu in Berlin dabei waren, sollen vor Grauen die Haare zu Berge gestanden haben.

Kein Wunder, wenn der schaurige Graf mit seinem düsteren Schiff langsam ans Ufer fährt, schwant den Zuschauern Böses. Ein Großteil dieser schaurigen Szenen wurde in Wismar und Lübeck gedreht. Dort feiert man derzeit das 100. Jubiläum des Filmklassikers in großer Aufmachung. Was weniger bekannt ist: Ein weiterer Drehort ist Lauenburg. Nachzulesen ist das unter anderem im Abspann des Films.

Im Filmklassiker legt ein Vampirschiff am Elbufer in Lauenburg an

„Eigentlich fährt im Film das Schiff des Vampirs ja auf der Ostsee. Aber in Lauenburg legte es damals am Elbufer an“, weiß Lauenburgs Veranstaltungsmanager Andy Darm. Es ist bekannt, dass Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau damals viel Wert auf Außenaufnahmen legte und auf Kulissen weitgehend verzichtete. Die mittelalterlichen Häuser, in Lauenburg, ganz nah am Wasser, hatten ihn offenbar inspiriert. „Wenn man in einigen Szenen genau hinschaut, kann man das erkennen“, weiß Andy Darm.

Wie die Lauenburger vor 100 Jahren reagierten, als das Vampirschiff am Elbufer anlegte, ist nicht überliefert. Es ist aber zu vermuten, dass die Filmleute aus Berlin für allerlei Aufsehen gesorgt haben. Touristen fragen heute manchmal danach. „Wir haben versucht, alle möglichen Quellen anzuzapfen, sind aber bisher nicht fündig geworden“, bedauert der Veranstaltungsmanager.

Mit „Storm und Drang“ Lauenburg als Kulisse entdeckt

„Nosferatu“ ist aber nicht der einzige Filmklassiker, der in Lauenburg spielte. Heiligabend des Jahres 1968 strahlte das ZDF den Fernsehfilm „Pole Poppenspäler“ zum ersten Mal aus. Diese Verfilmung der Novelle von Theodor Storm wurde vor 55 Jahren ausschließlich in der Lauenburger Altstadt gedreht.

„Wochenlang war der Herstellungsleiter Alf Teichs umhergereist, Storm und Drang im Herzen, das von Wolfdietrich Schnurre verfasste Drehbuch im Koffer, um die geeignete Poppenspälerstadt zu suchen. Husum, die Heimat Storms, hat zu starken Autoverkehr. Lübeck und Lüneburg sind inzwischen zu sehr angewachsen. Erst in Lauenburg fand er einen Häuserhintergrund, wie er ihn wünschte“, schreibt das Hamburger Abendblatt am 14. September 1968.

Ein Lauenburger Jung entdeckt seine Liebe zum Film

Für den damals siebenjährigen Andy Darm waren die Dreharbeiten zu „Pole Poppenspäler“ der Beginn einer großen Leidenschaft, die bis heute anhält: Er liebt es, vor der Kamera zu stehen. Damals erhielt er seine erste Filmrolle. „Die haben uns in der Schule gemustert, weil sie Filmkinder suchten, die so norddeutsch wie möglich aussehen. Ich hatte damals wilde, blonde Locken und bin denen wohl aufgefallen“, erzählt er,

Drei Wochen belagerten die Filmleute das beschauliche Lauenburg. Andy und seine Freunde wurden in Kleider gesteckt, die in die Zeit um 1850 passten. „Wir fühlten uns wie Filmstars und das Beste war, wir bekamen zehn Mark Gage pro Tag“ erinnert er sich.

Natürlich war die Lauenburgische Landeszeitung an jedem Drehtag vor Ort. Aus der Unterstadt berichtete damals Trude Trabert, von allen nur „Trudel, de Olsch von de Zeitung“ genannt. Ihr unnachahmlicher Humor sprang aus jeder Zeile. „Die Lissi und der Pole waren zwei kleine gelernte Schauspieler in den kindlichen Hauptrollen. Sie freundeten sich natürlich schnell mit den Komparsen an. Die Lauenburger „Spielgefährten“ erfuhren dann, dass Lissi 120 Seiten auswendig zu lernen hat und trotzdem noch zur Schule gehen muss. „Schnell waren sich die Mädel und Buben aus Lauenburg einig, daß Schule allein doch angenehmer sei“, schreibt Trudel. Die Lauenburg waren offenbar mit Feuereifer bei den Dreharbeiten dabei.

Im Januar 1968 wurde in Lauenburg der Fernsehfilm Pole Poppenspäler gedreht. Die Aufnahme entstand am 10. Januar 1968.
Im Januar 1968 wurde in Lauenburg der Fernsehfilm Pole Poppenspäler gedreht. Die Aufnahme entstand am 10. Januar 1968. © Archiv Eggert | Archiv Eggert

Altstadtbewohner sind Teil der Filmcrew

Am 14. September 1968 titelt die Lauenburgische Landeszeitung: „Die Unterstadt an Hollywood zu verkaufen“. Es war der Abschied der Filmcrew aus Lauenburg. Die Zeitung zitiert Sendeleiter Jürgen Kriwitz: „Ich habe selten soviel Hilfsbereitschaft der Verwaltung und der Behörden gefunden wie in Lauenburg. Das gilt besonders auch für die Polizei.“

Trudel beschränkte sich nicht darauf, während der Filmarbeiten als stille Reporterin am Rande zu stehen. Sie beobachtete die Szenerie genau und „drehte“ ihre eigenen Geschichten: „Drehpause auf dem Wochenmarkt am Kirchplatz: Eine Hausfrau ,filmt’. Sie sieht unter den Zuschauern ,Vati’ und ruft ihm zu: ,Kartoffelsalat ist fertig, Würstchen nur heißmachen!’“

Vor zehn Jahren raubte die „Banklady“ in Lauenburg

Geraubt wurde übrigens auch in Lauenburg und zwar von der „Banklady“. Zwischen 1965 und 1967 raubte Gisela Werler mit ihren Komplizen 19 Banken in Norddeutschland aus. Doch für besondere Furore sorgte das Auftreten der Banklady. Sie trug schicke Kleider, ausgefallene Sonnenbrillen, dazu passende Schuhe. „Entschuldigung, das ist ein Überfall!“ oder „Würden Sie bitte alles Geld einpacken?“ hauchte sie den verdutzten Bankangestellten entgegen.

Zum Glück trieb die Hamburger Bankräuberin in Lauenburg nicht wirklich ihr Unwesen. Aber Regisseur Christian Alvart suchte 2012 für die Verfilmung der Geschichte einen Drehort, der perfekt zum schillernden Umfeld der kriminellen Lady, Mitte der 60er-Jahre passte. Und er fand es im Hotel Bellevue in Lauenburg.

„Im Restaurant genossen die beiden Hauptdarsteller den Blick auf die Elbe, während ein ungelenker Kellner ihnen Matjes mit Kartoffeln servierte“, schreibt die Lauenburgische Landeszeitung nach der Filmpremiere damals. Der „ungelenke Kellner“ war übrigens Thomas Timm, Inhaber des Hotel Bellevue und Komparse im Film.

Eine Tanzszene im Film „Banklady“ gedreht im Lauenburger Hotel Bellevue. Im Hintergrund schwingen etwa 80 Komparsen die Hüften.
Eine Tanzszene im Film „Banklady“ gedreht im Lauenburger Hotel Bellevue. Im Hintergrund schwingen etwa 80 Komparsen die Hüften. © BGZ | Stefan Erhard

Zeitdruck bei den Dreharbeiten: Hauptdarsteller abgeschirmt

Offenbar haben sich auch in der Filmwelt die Zeiten gründlich geändert. Während Schauspieler und Drehstab vor 55 Jahren bei der Produktion von „Pole Poppenspäler“ genügend Zeit mitbrachten und bewusst den Kontakt zu den Lauenburgern suchten, hieß es 2012: „Zeit ist Geld!“

Die Lauenburger Zuschauer werden nämlich erst im fertigen Film, einen Blick auf das vertraute Ambiente werfen können. Selbst unsere Zeitung hatte mit Hinweis auf den Zeitdruck bei den Dreharbeiten keinen Zugang. „In Lauenburg drehte die Crew gestern im ,Closed Set’. Die Produktionsfirma verwies auf eine Pressekonferenz am Montag in Hamburg, wo sich die gestern abgeschirmten Schauspieler äußern“, heißt es in der Ausgabe vom 16. Juni 2012.

„Uns hatten die Ornamenttapeten, die Cocktailsessel, der altehrwürdige Tanzsaal und der Elbblick von dem Lauenburger Hotel überzeugt“, wird Regisseur Christian Alvart später vor einer Kamera sagen. Die Begeisterung ging sogar noch weiter. „Die haben sich sogar noch Requisiten für andere Filmorte ausgeliehen“, erzählt Thomas Timm. So steht eine alte Registrierkasse aus dem Bellevue später im Film in einer Bankfiliale.

„Klappe die erste ...!“ für Kleindarsteller Andy Darm

Neben der authentischen Filmkulisse bietet Lauenburg den Produktionsfirmen noch einen entscheidenden Vorteil: Mit Veranstaltungsmanager Andy Darm treffen sie vor Ort jemanden, der sich mit den Abläufen im Filmgeschäft bestens auskennt. Nachdem er als kindlicher Kleindarsteller bei „Pole Poppenspäler“ zum ersten Mal vor der Kamera zu sehen war, ist er in den Karteien mehrerer Produktionsfirmen gelistet.

Andy Darm, Kinderkomparse in Pole Poppenspäler: „Wir fühlten uns wie Filmstars und das Beste war, wir bekamen zehn Mark Gage pro Tag.“
Andy Darm, Kinderkomparse in Pole Poppenspäler: „Wir fühlten uns wie Filmstars und das Beste war, wir bekamen zehn Mark Gage pro Tag.“ © Elke Richel | Elke Richel

Blonde Locken hat der 61-Jährige heute nicht mehr. Mittlerweile ist er auch kein Komparse mehr sondern Kleindarsteller, meist sogar mit einer kleinen Sprechrolle. Er stand schon mit Filmgrößen wie Evelin Hamann, Jan Fedder, Wolfgang Stumph oder der früheren Tatort-Kommissarin Sabine Postel vor der Kamera.

Regelmäßig ist Andy Darm übrigens in „Rote Rosen“ zu sehen – als Bestatter, Arzt oder Rechtsanwalt. Mehrmals drehte die Filmcrew der Telenovela auch in Lauenburg. Wenn es dann heißt „„Ruhe bitte! Klappe, die erste...!“ ist das ein Heimspiel für ihn.