Geesthacht. Daten über strahlendes Cäsium lassen Umweltbeirat in Geesthacht aufhorchen. Was jetzt passieren soll.

Die Liste des Schadstoffe, die die im Geesthachter Pumpspeicherbecken lagernden Sedimente zu Sondermüll machen, ist lang. So finden sich Schwermetalle wie Cadmium, Quecksilber und Kupfer sowie Arsen in Mengen, die die Grenzwerte um ein Vielfaches überschreiten (wir berichteten). Und nun kommt auch noch Radioaktivität hinzu, ist sich der Geesthachter Umweltbeirat sicher. „Wenn so ein Mix im Klärwerk wäre, hätten wir sofort den Staatsanwalt hier sitzen“, ist Oliver Pachur überzeugt. Er hat sich bei der CDU des Themas federführend angenommen.

Günter Luther, dem Vorsitzenden des Umweltausschusses, sind Daten zur Verfügung gestellt worden, die die Radioaktivität für ihn ohne Wenn und Aber belegen, auch wenn im Becken selbst im Rahmen der Schadstoffmessungen bisher nicht danach gesucht worden sei. Die Daten über das strahlende Cäsium 137 resultieren aus Messungen in einem Pfeiler der Geesthachter Wehrbrücke.

Geesthacht: Anstieg Kurve für Cäsium 137 in der Elbe nach Tschernobyl-Unfall

Dort entnimmt das Bundesamt für Gewässerkunde regelmäßig Proben des Elbwassers und archiviert sie. Die Kurve mit dem strahlenbiologisch bedeutendsten Cäsium-Isotop im Schwebstoff schnellte im Jahr 1986 plötzlich deutlich nach oben. Cäsium 137, auch Radiocäsium genannt, entsteht in großen Mengen bei der Kernspaltung und gehört zu den Hauptstrahlenquellen bei Zwischen- und Endlagern.

Der Anstieg der Kurve 1986 für Cäsium 137 in der Elbe dürfte durch den Reaktorunfall in Tschernobyl verursacht worden sein. Danach flacht die Kurve des Nachweises über die Jahre allmählich wieder ab, normalisiert sich aber erst wieder zu Beginn der 2000er-Jahre. Luther ist sich sicher, dass sich das kontaminierte Elbwasser durch den Betrieb des Pumpspeicherbeckens im Becken abgelagert hat – so wie es bereits bei den anderen Sedimenten mit den Schwermetallen war. „Es ist daher dringend erforderlich, die radioaktive Belastung des Sediments tiefenabhängig zu erfassen“, fordert er.

Für Oliver Pachur sind mindestens 300.000 Kubikmeter als Altlast einzuordnen

Erst 2017 hatte das Unternehmen Vattenfall, dem das Pumpspeicherwerk mittlerweile gehört, es in den Übergangsbetrieb versetzt – eine Art Dornröschenschlaf, bis geklärt ist, was mit der Anlage weiterhin geschehen soll. Die der Elbe entnommene und wieder eingeleitete Wassermenge betrug 2021 nur noch sechs Millionen Kubikmeter gegenüber 2015 mit 176 Millionen Kubikmetern.

Und schon in den Jahren vor 2016 wurde laut Fachdienst Wasserwirtschaft des Kreises das Pumpspeicherwerk nur noch mit stark vermindertem Umfang gegenüber den vorherigen Jahrzehnten betrieben. Das nutzbare Volumen beträgt 3,3 Millionen Kubikmeter, der Anteil der Sedimente lag 2016 bei 640.000 Kubikmetern. Für Oliver Pachur sind nach eigener Einschätzung dabei mindestens 300.000 m³ als Altlast einzuordnen.

So leer war der Boden des Pumpspeicherwerkes in Geesthacht nie wieder zu sehen. Im April 1957 wird bei den Bauarbeiten zur Entstehung die Sohle geteert. Das Bild entstammt einem Film der Neuen Deutschen Wochenschau.
So leer war der Boden des Pumpspeicherwerkes in Geesthacht nie wieder zu sehen. Im April 1957 wird bei den Bauarbeiten zur Entstehung die Sohle geteert. Das Bild entstammt einem Film der Neuen Deutschen Wochenschau. © Bundesarchiv/Transitfilm

Nicht alle Rückstände sind so stark belastet wie die unten liegenden. Die jüngeren, oben liegenden, sind sauberer. Grund sind die elbufernahen Industrien, vor allem in Osteuropa, die die Elbe bis zur Wendezeit in den neunziger Jahren zu einem der schmutzigsten Flüsse Europas machten. Mit dem durch die Röhren den Hang hinauf gepumpten Elbwasser gelangten die Schadstoffen ins Pumpspeicherbecken und lagerten sich über die Jahrzehnte dort ab. Zurzeit läuft eine breit angelegte Untersuchung über die Zukunft des Pumpspeicherwerkes. Auch, ob die Sedimente aus dem Wasser entfernt werden oder nicht, spielt dabei eine Rolle. Die Entscheidung könnte nach einer Bestandsaufnahme Ende dieses Jahres erfolgen.

Behörden verlangen keine Untersuchung auf Radioaktivität

Unternehmenssprecher Lutz Wiese erklärt, warum nicht nach Strahlenquellen gesucht wird: „Das Pumpspeicherwerk Geesthacht unterliegt einem regelmäßigen Monitoring durch ein akkreditiertes Prüflabor, das zweimal jährlich Wasserproben an verschiedenen Stellen entnimmt. Dabei werden verschiedene Parameter untersucht und bewertet. Untersuchungen auf Radioaktivität sind hierbei nicht Inhalt der behördlich vorgegebenen Eigenkontrollen. Die Analyse der Proben ergibt regelmäßig keinerlei Auffälligkeiten.“

Umweltbeirat und Oliver Pachur verschaffen diese Aussagen keine Sicherheit – zumal das Betriebsgelände in einem durch das Land festgelegten Trinkwassergewinnungsgebiet liegt. Ihnen ist hier besonders ein Dorn im Auge, dass das Pumpspeicherbecken alt ist. Ob es rissig ist und mittlerweile leckt, etwa, weil Sulfate in den Sedimenten das Material angegriffen haben, ließe sich mit der Methode der Pegelmessung des Wasserspiegels nicht feststellen, ist Günter Luther überzeugt.

Fugen in der Grundsole „mit einer hohen Wahrscheinlichkeit geöffnet“

Oliver Pachur verweist auf das Beispiel des von RWE betriebenen Pumpspeicherwerkes in Herdecke (Nordrhein-Westfalen). Dort wurde im Rahmen einer großen Revision das Wasser im Jahr 2020 komplett abgelassen. Und dieses Bauwerk ist erst 30 Jahre alt. Für den Start des Betriebes in Geesthacht drückte Hamburgs Bürgermeister Max Brauer bereits am 15. Oktober 1958 um 11.15 Uhr im Beisein des Bundespräsidenten Theodor Heuss auf den Startknopf. Ein Film vom Bau der Anlage findet sich übrigens im Bundesarchiv. Die Neue Deutsche Wochenschau berichtete darüber am 12. April 1957 (https://www.filmothek.bundesarchiv.de/video/586272?set_lang=de). „Dies entspricht 64 Jahre Betrieb, ohne Kontrolle oder Sanierungsmaßnahmen der Grundsole“, sagt Oliver Pachur.

Für ihn sind die Aufnahmen nicht nur historisch interessant. Zu sehen ist, wie an der Grundsohle gearbeitet wird. Die Baupläne von damals sind allerdings nicht mehr aufzufinden. „Die Ausführung erfolgte vermutlich als Betonstreifen oder in Form der alten Bauweise ähnlich dem Autobahnbau zu Vorkriegs- und Nachkriegszeiten. Somit sind Fugen vorhanden, die in Form einer Asphaltdecke abgedichtet wurden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass sich Fugen in der Grundsole und beim Übergang zum Deich geöffnet haben“, meint Oliver Pachur.

Aufnahme ins Altlastenkataster würde nächste Schritte einleiten

Er will nun für die CDU in der nächsten Sitzung des Ausschusses für Umwelt und Energie (Montag, 24. April, 18 Uhr, Sitzungszimmer Raum 213) eine Anfrage stellen. Es geht um die Aufnahme des Pumpspeicherkraftwerks in das Boden- und Altlastenkataster des Landes Schleswig-Holstein. „Hat die Stadt Geesthacht den Kreis Herzogtum Lauenburg als zuständige Aufsichtsbehörde aufgefordert, eine Prüfung des Betriebsgeländes des Geesthachter Pumpspeicherkraftwerks, Betreiber Vattenfall, vorzunehmen, um eine Aufnahme in das Boden- und Altlastenkataster sowie Altlasteninformationssystem Schleswig-Holstein vorzunehmen?“, will er wissen. Seit einer Novellierung 2021 können auch aktuelle und noch tätige Betriebe erfasst werden.

Die Aufnahme würde die nächsten Schritte einleiten. Festgestellt werden müsste, wer Verursacher ist, und durch ein Prüfverfahren, ob es sich um Altlasten handelt. „Daraus lässt sich der Rest dann entwickeln“, erklärt Oliver Pachur. Bedeutet: der Weg zur Entsorgung. Wer sich selbst ein Bild der Lage machen will: Seit Gründonnerstag sind die Tore zum Oberbecken für Spaziergänger nach der Winterpause wieder geöffnet.