Geesthacht. Im September 2019 sorgten die brennenden Kieslaster für ein Flammeninferno. Der Prozess wegen Brandstiftung gibt viele Rätsel auf.
Es ist einer der größten Brände in Geesthacht in den vergangenen Jahren, ein Inferno sondergleichen. Am frühen Sonntagmorgen des 22. September 2019 stehen neun Sattelzüge eines Unternehmens auf einem Hof an der Steglitzer Straße in Flammen. Die Lastwagen sind nach Feierabend von den Fahrern in einer Reihe geparkt worden, beim Eintreffen der Feuerwehr sind sie alle in eine meterhohe Flammensäule gehüllt. Die Explosionen von Tanks sind bis in die Oberstadt zu hören, in Düneberg stinkt es nach verbranntem Gummi, und Dieselpfützen machen den Einsatzkräften die Löscharbeiten zusätzlich schwer. Nach einer Stunde ist der Brand unter Kontrolle, das Ablöschen zieht sich noch über Stunden hin. Die Unternehmensgründerin Cathrin S. und ihr Mann und Disponent Sven M. werden gegen drei Uhr von der Feuerwehr angerufen. Sie sind wenig später vor Ort. Sven M. geht noch in der Brandnacht von einer Brandstiftung aus.
Dreieinhalb Jahre später sitzen am 21. Februar zwei Männer auf der Anklagebank vor dem Landgericht Lübeck. Ihnen wird der Prozess gemacht, weil sie für diese damals vermutete Brandstiftung verantwortlich sein sollen. Die Lage ist verzwickt. Ein Geständnis gibt es nicht, und die Staatsanwaltschaft kann kaum Fakten vorlegen, die eine Täterschaft beweisen.
Die Mutter glaubt ihrer drogensüchtigen Tochter nicht
Carsten F.* (alle Namen mit * von der Redaktion geändert) ist im Südkreis ebenfalls im Transportgeschäft tätig, ein Mitbewerber also. Er soll Max T*. angestiftet haben, den Brand zu legen, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Beide kennen sich. Max T. ist der Freund von Carmen Z*., deren Mutter Gerda Z.* ist eine Nachbarin des Unternehmers Carsten F.. Die 72-Jährige hat seine Firma immer mal wieder mit Arbeiten beauftragt, auch Max T. erledigte Jobs für ihn.
Gerda Z. ist für diesen Prozesstag als Zeugin geladen. „Wie haben Sie von dem Gerücht erfahren?“, fragt sie der Richter. Dass Max T. es sei, der die Brandstiftung begangen haben soll. „Das habe ich von Carmen erfahren. Sie hat immer sehr viele Dinge erzählt“, antwortet Gerda Z. Es klingt durch, dass sie nicht viel gibt auf die Aussage ihrer Tochter. „Man konnte Carmen nie irgendwas glauben, sie lebte in einer Fantasiewelt aufgrund ihrer Drogensucht“, führt sie aus.
Es gibt kaum greifbares Material, was die beiden Männer auf der Anklagebank belastet. Vor allem ein handfestes Motiv kristallisiert sich nicht heraus. So bekommen die Aussagen, die Carmen Z. im Laufe des Jahres 2020 gemacht hat, ein besonderes Gewicht. Carmen Z. ist aufgrund ihrer Drogensucht Ende des Jahres 2021 verstorben. Und sie sei erstaunlicherweise offenbar nie selbst von Ermittlern formal befragt worden, zumindest liege kein Protokoll darüber vor, erfuhr unsere Zeitung von Insidern.
Aussage der Freundin brachte Ermittlungen ins Rollen
So kreisen die Fragen immer wieder um diesen einen Punkt, der alles ins Rollen brachte. Dass Carmen Z. behauptet hatte, Max T. sei der Brandstifter und Carsten F. der Anstifter. Sie hat es ihrer Schwester, ihrer Mutter und auch der jüngsten Halbschwester und deren Mann erzählt. Die beiden Letzteren sollen dann die Polizei informiert haben, sodass die Ermittlungen ab November 2020 Fahrt aufnahmen.
Für Anna Z*., der Schwester von Carmen Z., beginnt das Vernehmungsprotokoll am 5. Juli 2021. Ihre Zeugenvernehmungen unterschrieb sie am 13. Juli. Mittlerweile ist viel Zeit ins Land gegangen. Anna Z. als Zeugin erinnert nicht mehr richtig, was sie damals zu Protokoll gegeben hat, vermehrt schüttelt sie den Kopf. Für Gerda Z. ist ausgeschlossen, dass Max T. mit der Sache etwas zu tun haben könnte. Sie mag ihn, das wird klar. „Das kriege ich nicht zusammen, das glaube ich nicht. Er war immer lieb und nett, hat immer geholfen“, sagt sie.
Handschuh mit DNA-Spuren entdeckt
Allerdings: Auf die leichte Schulter als unbedachte Anschuldigung einer Drogensüchtigen lassen sich die Aussagen von Carmen Z. auch nicht nehmen. Denn in der Asservatenkammer liegen als Beweismittel zwei Gartenhandschuhe, die von den Ermittlern auf dem Gelände gefunden wurden. Im linken Handschuh gab es bei der Überprüfung einen DNA-Treffer bezüglich von Spuren von Max T.
Für seine Anwältin Kerstin Raber wirft das aber nur eine weitere Frage auf. „Er ist Rechtshänder. Hätte er den Zaun aufgeschnitten, wäre die Spurenlage wie im linken Handschuh“, sagt sie. Was es mit diesem Handschuh auf sich hat, wird an einem anderen Prozesstag erörtert werden. Ein Loch in den Zaun zu schneiden, um aufs Gelände mit dem Fuhrpark zu kommen, wäre übrigens nicht nötig gewesen. Von einer Seite aus ist das Grundstück über eine Schranke zugänglich.
Durch den Ausfall des Mitbewerbers ergaben sich keine nennenswerten Vorteile
Die Drogensucht von Max T. und die Hoffnung auf Geld als Belohnung gelten als mögliche Motive, warum er zum Brandstifter habe werden können. Gutachterin Dr. Mariana Wahdany hat sich mit ihm beschäftigt. Er neige dazu, aus finanziellen Gründen Straftaten zu begehen, um Geld zu besorgen. Mit weiteren Straftaten sei zu rechnen, führte sie beim Prozess aus. Die Unkosten für den Drogenkonsum bezifferte sie auf 600 Euro im Monat.
Aber gab es überhaupt einen Auftrag durch Carsten F., um durch einen Brandanschlag einen Mitbewerber auszubooten, um so mehr Aufträge und damit finanzielle Vorteile zu erlangen? Das ist zumindest nach dem Zeugenauftritt eines Mitarbeiters der Buhck Gruppe aus Wiershop sehr fraglich. Es werden immer wieder Lkw über den eigenen Fuhrpark hinaus benötigt. Diese Aufträge werden an Subunternehmer vergeben.
Die Fahrten für Buhck sind die einzige geschäftliche Schnittstelle zwischen dem Unternehmen aus Geesthacht und dem des beschuldigten Unternehmers, sonst gibt es keine Verbindung. Der Richter hatte bei Buhck gebeten, eine Liste zusammenzustellen mit den Rechnungen über diese Fahrten. Heraus kam: Ein Vorteil hielt sich in engen Grenzen. „Die Aufträge wurden an mehrere Unternehmen verteilt, sie sind nicht an eine Firma explizit gegangen“, sagte er. Auch ein besonderes Konkurrenzverhältnis habe es nicht gegeben.
Die Anwältin arbeitet weitere Motive für eine Brandstiftung heraus
Anwältin Kerstin Raber kämpft darum, weitere mögliche Motive für eine Brandstiftung herauszuarbeiten. So ist mit den Lastwagen auch ein Laptop in einem Führerhaus verbrannt. Darauf waren unter anderem die Daten von Fahrerkarten ausgelesen, die sich nicht rekonstruieren lassen. Zudem gab es einen Prozess vor dem Arbeitsgericht mit „zwei Herren, die ein bisschen Schwung in den Laden bringen wollten“, sagt Firmengründerin Cathrin S., die ebenfalls als Zeugin geladen war. Soll heißen: die Ärger machten.
Die beiden forderten und bekamen nach der Trennung Nachzahlungen in Höhe von maximal 1500 Euro, und sie hätten auch verbal nachgetreten, die Geesthachter Firma bei anderen Unternehmen schlecht gemacht, berichtet die Inhaberin. So solle Sven M. angeblich mal geäußert haben, den Laden anzuzünden, wenn er nicht laufe. Er sei schon einmal 2009 mit einer eigenen Firma Insolvenz gegangen, hat die Anwältin recherchiert. „Was hat das mit meiner Firma und dem Brand zu tun?“, fragt Cathrin S. zurück. Sie existiere seit 2004. „Wir hatten eine gute Auftragslage“, versichert Cathrin S.. Der Ausfall an Fahrten für das Unternehmen dauerte damals nicht lange. Innerhalb weniger Tage wurde ein neuer Fuhrpark zusammengemietet.
Der Prozess wird fortgesetzt am 28. Februar, 15., 16. und 24. März.