Geesthacht. Admin kann Kommentare löschen und nur eigene Ansichten zulassen. Eklat bei Ratsversammlung in Geesthacht. Was eine Juristin sagt.

Der Eklat in einer Sitzungsunterbrechung der Geesthachter Ratsversammlung am 17. Mai beschäftigt weiter die Kommunalpolitik und die Bürger der Stadt. Dass CDU-Mitglied Marco Woehr dem Administrator der Facebook-Gruppe „Geesthachter“, Erdal Torun, Schläge angedroht haben soll, dem widerspricht selbst seine Partei nicht.

Wie konnte das passieren? Auslöser waren diverse Beiträge Toruns in der Gruppe, in denen er Woehrs Frau Jessica wegen deren Einsatz für transsexuelle Menschen angreift. Woehr kann sich auf Facebook nicht mehr dagegen wehren: Sie wurde von Torun aus der Gruppe geworfen. Beide haben gegenseitig Anzeige erstattet. Toruns Verhalten in der geschlossenen Facebook-Gruppe – über die Mitgliedschaft entscheidet allein der Admin – sehen ehemalige Mitglieder zunehmend kritisch. Eine rechtliche Bewertung ist indes gar nicht so einfach, wie eine Nachfrage bei einer Fachanwältin für Medienrecht ergibt.

Facebook-Gruppe „Geesthachter“: Streit um Meinungsfreiheit eskaliert

Rund 7800 Menschen gehören der Gruppe „Geesthachter“ an. Sie wurde einst vom ehemaligen LL-Redakteur Kai Gerullis gegründet, zunächst um seine Freunde zu vernetzen. Später diente sie dazu, dass sich die Einwohner über Neuigkeiten und Ereignisse in ihrer Stadt austauschen konnten. Solche Gruppen mit einer Ortsbezeichnung gibt es in vielen Kommunen. Zugezogene, und davon gibt es im wachsenden Geesthacht viele, nutzen die Ortsgruppen häufig zur Orientierung, ohne zu wissen, wer dahinter steht.

Die CDU steht weiter zu Ratsfrau Jessica Woehr, Gründerin der Selbsthilfegruppe Trans* in Familie und Mitinitiatorin der AG Queer in Geesthacht.
Die CDU steht weiter zu Ratsfrau Jessica Woehr, Gründerin der Selbsthilfegruppe Trans* in Familie und Mitinitiatorin der AG Queer in Geesthacht. © Dirk Schulz | Dirk Schulz

Erdal Torun stieg später als Co-Admin ein. Und Gerullis alsbald aus: „Auch aus Frust über Erdal, weil er sich nicht an Absprachen gehalten hat. Für mich war es auch eine Abkehr von Facebook insgesamt, weil mir der Tonfall nicht mehr gefällt“, sagt Gerullis. Andere ehemalige Mitglieder der Gruppe beklagen, dass Torun zunehmend einseitig mit Diskussionen umgehe. Ein Vorwurf: Er betreibe Zensur, indem er Kommentare lösche, die nicht seiner Meinung entsprechen.

Facebook-Gruppe „Geesthachter“: Das sagen ehemalige Mitglieder

Eine junge Geeesthachterin sah die Zeit gekommen, einen Kommentar zu schreiben, als Torun nach dem Bericht in der Lauenburgischen Landeszeitung über den Eklat während der Ratsversammlung das Thema Jessica Woehr erneut aufgriff. „Also wenn das hier keine Hetze ist, dann weiß ich auch nicht. [...] Wer mit der Sexualität anderer ein Problem hat, hat eins mit seiner eigenen“, schrieb die Frau, die unter ihrem Facebook-Pseudonym Lilly Christens (echter Name ist der Redaktion bekannt) genannt werden möchte.

Im konkreten Fall will Torun laut Aussage in seinem eigenen Post dafür kämpfen, „jedes einzelne Kind vor Trans-Ideologen zu schützen“. Seine Kritiker finden das homophob, er selbst sagt, er wolle nur aufklären.

Facebook-Gruppe „Geesthachter“: „Der Admin lässt viele Themen gar nicht zu“

Der Beitrag von Lilly Christens wurde jedenfalls vom Admin gelöscht, sie selbst flog aus der Facebook-Gruppe raus. „Ich risse Inhalte aus dem Kontext und beginge somit üble Nachrede, nur um ein paar Likes zu erhalten“, fasst sie die Begründung zusammen, die sie erhalten habe. Zuvor hatte sie beobachtet: „Mir war der Tonfall bezüglich bestimmter Themen schon länger aufgefallen. Und dass viele Themen von Torun gar nicht zugelassen werden.“ Lilly Christens sieht darin einen Verstoß gegen die selbst auferlegten Gruppenregeln. Eine besagt, dass politische Themen nicht behandelt werden sollen.

Jessica Woehr (vorn rechts) mit Christian Barbarousis von der BfG. Hinten: Erdal Torun (links) und Marco Woehr (verdeckt).
Jessica Woehr (vorn rechts) mit Christian Barbarousis von der BfG. Hinten: Erdal Torun (links) und Marco Woehr (verdeckt). © Dirk Schulz | Dirk Schulz

Ein anderer Geesthachter meldete sich bei der Redaktion mit den Worten: „Ich bin ein Opfer, das aus der Gruppe geflogen ist.“ Namentlich will er nicht genannt werden. Begründung: „Aufgrund der Vorkommnisse und der aggressiven Grundhaltung kann ich für mich und meine Familie nicht das Risiko eingehen, in eine ähnlich bedrohliche Situation wie Frau Woehr zu kommen!“

Facebook-Gruppe „Geesthachter“: Für ein Like aus Gruppe geflogen

Er habe versucht, mit Torun sachlich über dessen Gruppenmanagement zu reden – vergeblich. Sein Fazit: „Torun darf abwerten, andere fliegen für einen Like aus der Gruppe. Wenn er sich an seine eigenen Regeln und Aussagen halten würde, wäre alles okay.“ Der Geesthachter verwies auf einen anderen User, der für ein Like unter einem Kommentar rausgeflogen sei, Toruns Beitrag lese sich wie vom AfD-Parteitag.

Apropos AfD: Von der Partei distanziert sich Erdal Torun entschieden. Dass sie erstarkt ist, überrascht ihn unterdessen nicht. In einer langen Nachricht an Geesthachts Bürgermeister Olaf Schulze hat er einmal geschrieben: „Der Aufstieg der AfD ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass wir Gesellschaftsspalter wie Links/Grün tun lassen, was man in einer Demokratie nicht tun sollte. Nämlich zu spalten, abzuwerten, zu stigmatisieren, auszugrenzen und zu framen.“ Framing bezeichnet die Durchsetzung einer bestimmten Lesart bei der Betrachtung eines Sachverhalts.

Bürgermeister thematisiert soziale Medien in Neujahrsansprache

Das Schreiben war eine Reaktion auf die Neujahrsansprache des Verwaltungschefs, in der Schulze die Diskussionskultur im Internet ebenfalls thematisiert hatte. Er hatte gesagt, dass man im digitalen Raum diskutieren solle, anstatt zu löschen. Dies bezog Torun auf sich, antwortete: „Mir ist bewusst, dass Ihnen scheinbar von einigen Genossen Ihrer oder anderer Parteien zugetragen wurde, dass man sich ungerecht behandelt fühlt [...] Das ist natürlich, wie so oft, wenn man sich in die Opferrolle begibt, nur die halbe Wahrheit.“

In aller Regel lösche oder blockiere er Nutzer nur nach vorheriger Nachricht mit der Aufforderung, ein Verhalten zu unterlassen, wenn es den Gruppenregeln widerspreche. „Passiert es erneut, muss die Person die Gruppe verlassen, ohne dass ich mir noch Stunden meiner kostbaren Freizeit nehme, einem erwachsenen Menschen zu erklären, dass die Aussagen Beleidigungen, Hass, Hetze etc. sind“, heißt es in dem Schreiben Toruns an den Bürgermeister weiter.

Facebook-Gruppen: Gibt es einen Anspruch auf Mitgliedschaft?

Aber wie ist die Rechtslage? Rechtsanwältin Iris Duch von Hamburger Kanzlei Sidit Legal betont, dass zunächst der Charakter einer Facebook-Gruppe entscheidend sei. „Ein Anspruch auf eine Mitgliedschaft in einer Gruppe kann nur angenommen werden, wenn diese etwa von offizieller Seite, zum Beispiel von der Stadt, als Kommunikationskanal angeboten wird. Hiervon ist bei der Gruppe ‚Geesthachter‘ nicht auszugehen“, sagt sie.

Sich auf die Verwaltung von Inhalten beschränken und eine neutrale Haltung einnehmen müsse ein Admin auch nicht. Zum konkreten Fall sagt Duch: „Der Admin äußert sich nicht neutral, sondern vermischt Annahmen mit seinen persönlichen Weltanschauungen und Meinungen.“ Ob in der Gruppe verschiedene Kriterien zur Meinungsfreiheit anlegt würden, müsste gegebenenfalls abschließend ein Gericht klären.

Facebook-Gruppen: Bürgermeister bevorzugt objektiven Austausch

„Es ist allerdings ein höchst fraglicher Stil im gesellschaftlichen Umgang miteinander, eine Person von einem Diskurs auszuschließen, um anschließend einen (widerspruchslosen) Monolog über diese weiterzuführen. Durch die Art der Gruppenführung wird die freie Meinungsäußerung zwar eingeschränkt, jedoch unterliegt auch dies dem Ermessensspielraum eines Admins. Da die ausgeschlossenen Mitglieder selbst eine eigene Facebook-Gruppe zum Austausch eröffnen könnten, wiegt dieser Eingriff in die Meinungsfreiheit objektiv nicht zu schwer“, so Anwältin Iris Duch.

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Generell sei Aufgabe eines Facebook-Administrators, die Inhalte einer Gruppe zu verwalten, wobei sich alle User und der Admin an zentrale Rechtsgrundsätze wie das seit 75 Jahren bestehende Grundgesetz halten müssen. Also auch die freie Meinungsäußerung, wobei die Grenze zur ehrverletzenden Äußerung Auslegungssache sei. Darüber hinaus verbiete Facebook jede Form von Diskriminierung oder Mobbing.

Bürgermeister Olaf Schulze sagt auf Anfrage zum konkreten Fall: „Ich würde mich freuen, wenn sich in allen Gruppen objektiv ausgetauscht würde.“