Elmenhorst / Aumühle. Experten widersprechend dem Märchen vom blutrünstigen Wolf. Viele Sichtungen gehen auf Grenzpendler und Reviersucher zurück.
Der Landes-Artenschutzexperte hat jüngst im Forstausschuss des Kreises Herzogtum Lauenburg über das Wolfsmanagement in Schleswig-Holstein berichtet. Drei der vier an Hamburg grenzenden Kreise (außer Stormarn) sowie Steinburg und Dithmarschen sind als Wolfspräventionsgebiete ausgewiesen. Hier können Tierhalter auf Antrag Zuschüsse für wolfssichere Zäune und Herdenschutzhunde erhalten.
Herzogtum Lauenburg: Zahl der Wölfe steigt nur langsam an
Die Zahl der dauerhaft im Lande lebenden Räuber ist jedoch nur geringfügig gestiegen, ist nach aktuellem Stand kaum zweistellig. Doch schwankt die Zahl der Sichtungen. Wölfe, die beiderseits der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern leben, tragen dazu bei, ebenso Tiere, die Schleswig-Holstein auf dem Weg nach Norden durchstreifen. Die meisten Sichtungen wurden von Mai 2023 bis April 2024 aus dem Herzogtum gemeldet. Über die Konsequenzen streiten Umwelt- und Landwirtschaftsministerium.
Dauerhaft in den jeweiligen Gebieten lebende Wölfe sind aktuell nur aus dem Kreis Segeberg und dem Lauenburgischen gemeldet. Zu einem seit rund zwei Jahren im Sachsenwald lebenden Paar ist ein drittes Tier hinzugekommen, im Kreis Segeberg hat dagegen ein Wolfspaar Nachwuchs. Ein Jungwolf ist im Winter von einem Auto überfahren worden, seine vielleicht noch fünf Geschwister bilden mit ihren Eltern das erste nachgewiesene Rudel im Bundesland.
Im Sachsenwald lebt jetzt ein dritter Wolf
Ein Blick auf Zahlen aus Brandenburg und Niedersachsen bestätigt die Aussage, Schleswig-Holstein ist kein Wolfsland. Nach der Zuwanderung von ersten Wölfen 2005/2006 ist die Zahl der Rudel in Brandenburg auf 52 gestiegen, 2022/23 wurden 190 Welpen verzeichnet. Ihre Zahl ist ständig gestiegen, neue Rudel haben sich abseits der zuerst bevorzugten weitläufigen und menschenleeren Truppenübungsplätze etabliert.
Dies gilt ebenso für Niedersachsen, wo das erste Rudel auf dem Truppenübungsplatz Munster in der Heide entdeckt wurde. Bis heute ist Zahl der Rudel auf 51 gestiegen, haben sich die Wölfe besonders östlich der Autobahn 7 zwischen der Elbe im Norden sowie der A2 bis zum Großraum Hannover und Wolfsburg im Süden etabliert.
In Niedersachen leben bereits gut 50 Rudel
Dichte Besiedlung und stark genutzte Verkehrsadern bereiten den wieder heimisch gewordenen Raubtieren Probleme, weiß Gunther Esther, Wolfsexperte aus Wentorf. „Der Sachsenwald wird von A24 und der Bundesstraße 207 durchschnitten, dazu kommt die starke Nutzung als Ausflugsziel.“ Der Jäger und Naturschützer ist zuständig für das Wolfsmonitoring in der Region.
Ob das Paar im Kreis Segeberg auch dieses Jahr wieder Nachwuchs hat, wird sich frühestens in den kommenden Wochen zeigen, ebenso für das Paar aus dem Sachsenwald. Die meist im April oder Mai geborenen Wolfswelpen verlassen die ersten Lebenswochen die Wurfhöhle nicht, in der sie geboren wurden. Sollte jedoch die Unruhe im Umfeld zu groß werden, transportiert die Wolfsfähe die Welpen in eine andere, von ihr im Winter gegrabene Höhle.
Welpen verbringen die ersten Wochen in Wurfhöhle
Inwieweit einzelne Tiere, Rudel oder Nachwuchs entdeckt werden, wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. „Der Nachweis hängt natürlich auch davon ab, wo und wie gut Wildkameras positioniert sind, der Sachsenwald ist in großen Teilen in Privatbesitz“, erläutert Martin Schmidt, Pressesprecher des Landesamtes für Umwelt (LfU) und der dort angesiedelten Projektgruppe Wolfsmanagement.
Für die jeweiligen Erhebungen zugrunde gelegt werden nur eindeutige Erkenntnisse oder als gesichert geltende Spuren, betont Schmidt. Ein laufender Wolf erzeugt ein anderes Trittbild als etwa ein Hund. Die größte Sicherheit bieten eindeutige Fotos oder noch besser genetische „Fingerabdrücke“. Mit Hilfe von Kot oder Urin lässt sich klären, ob die Hinterlassenschaft einem Wolf oder einem Hund zuzuordnen ist. Das funktioniert auch anhand von Speichelresten an gerissenem Wild oder getöteten Weidetieren, bestätigt Gunther Esther.
Genetischer Fingerabdruck klärt: Hund oder Wolf der Räuber?
Auch die Abstimmung der Tiere und die Zuordnung zu bestimmten Vorfahren und Rudeln ist über DNA-Tests möglich. Esther: „Nicht bei jeder angeblichen Wolfsichtung handelt es sich tatsächlich um einen Wolf. Und nicht jedes getötete Reh oder Schaf ist wirklich Beute eines Wolfes geworden.“ Gen-Tests können klären, ob bestimmte Wölfe gelernt haben, wie sie trotz Schutzmaßnahmen Weidetiere erbeuten können. In Niedersachsen sind bestimmte Wölfe nach entsprechender Beweisführung zum Abschuss freigegeben worden.
Häufige Probleme bereiteten streunende Hunde oder solche, die trotz Verbots im Wald oder im Schutzgebiet Wentorfer Lohe abgeleint würden. Immer wieder wird Esther, der zugleich Wentorfs Stadtjäger ist, zur Hilfe gerufen, um schwer verletzte Rehe oder Hasen zu erlösen. „Der Schäfer auf der Lohe berichtet von vier bis fünf Zwischenfällen im Jahr, wenn Hunde in die Herde eindringen.“
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„Eine Objektivierung des Themas Wolf ist vernünftig“, sagt Henner Niemann, Chef der Lauenburgischen Kreisforsten. „Aus meiner Sicht und aufgrund der Rückmeldungen an die Jagdbehörde kann ich sagen, dass an der aktuellen Entwicklung nichts Dramatisches zu erkennen ist.“ Die Auffassung teilt auch Esther: Es liege schon Jahre zurück, dass nach einer Probenentnahme festgestellt wurde, das getötete Wild ist von einem Wolf gerissen worden. „Wird er nicht gestört, verwertet ein Wolf seine Beute fast komplett, frisst etwa an mehreren Tagen das erlegte Tier komplett auf.“
Wölfe im Blutrausch? Fliehende Tiere befeuern Jagdinstinkt
Der Jäger widerspricht zudem Behauptungen, Wölfe fielen in eine Art Blutrausch, wenn es ihnen gelinge, in eine Schafherde einzudringen. „Wie bei anderen Beutegreifern lösen fliehende Tiere den Jagdinstinkt aus. Das ist nicht anders als etwa bei Füchsen oder Mardern, die in einen Hühnerstall gelangen.“ Dort überlebe im Fall der Fälle die alte Henne, die sich regungslos auf eine Stange zurückziehe, während die aufgeregt umherlaufenden Junghühner den Räubern zum Opfer fallen.
In das Feld der Märchen verweisen Wolfsexperten auch Gerüchte, immer mehr Wölfe verlören zunehmend die Angst vor Menschen. Durch die Orte streifende oder sich neugierig nähernde Wölfe haben sich häufig als unerfahrene Jährlinge erwiesen.
Jährlinge versetzen Dörfer in Panik
Von den Elterntieren nach der Geburt der jüngeren Geschwister aus dem Rudel vertrieben, machen sie sich auf der Suche nach einem neuen Revier auf den Weg. Dabei können Wölfe in einer Nacht bis zu 70 Kilometer zurücklegen. Wenn Wölfe gefüttert werden, drohe dagegen die Gefahr, dass sie tatsächlich die natürliche Schau vor Menschen verlieren.