Lauenburg. Aus einer privaten Initiative wurde ein unverzichtbares Integrationsprojekt. Doch jetzt steht die Frage nach der Finanzierung im Raum.

Ob am Küchentisch, am Arbeitsplatz oder in diversen Fernsehrunden – kaum ein Thema wird derzeit so intensiv diskutiert, wie die Flüchtlingsproblematik. Städte und Gemeinden fühlen sich mit dem anhaltenden Zustrom zunehmend überfordert. Und selbst wenn die Unterbringung noch einigermaßen gelingt, die Integration steht dann noch auf einem ganz anderen Blatt. Anders als in anderen Städten leben die neu angekommenen Menschen in Lauenburg auf das gesamte Stadtgebiet verteilt. Die Stadt hat knapp 90 Wohnungen speziell für Flüchtlinge angemietet. Die dezentrale Unterbringung hat den Vorteil, dass die zum Teil schwer traumatisierten Familien in ihren eigenen vier Wänden erstmal zur Ruhe kommen können.

Es gibt aber auch einen gravierenden Nachteil: Integrationsangebote vor Ort gibt es nicht, so wie das in zentralen Sammelunterkünften möglich ist. Hilfe vor Ort gibt es in Lauenburg trotzdem – ehrenamtlich und professionell. Zur Initiative „SML individuell“ hatten sich zu Beginn des Ukraine-Krieges drei Lauenburgerinnen zusammengeschlossen. Die Arbeit von Leyla Novruzova, Marzena Podolski, Sylwia Sobotko begann damit, Spenden zu sortieren und deren Transport in das Kriegsgebiet zu organisieren.

Flüchtlingshilfe SML: Diakonie übernahm die Trägerschaft

Als die ersten ukrainischen Frauen mit ihren Kindern in Lauenburg eintrafen, wurden die drei Freundinnen zur ersten Anlaufstelle nach der Registrierung bei der Stadt. Kann das auf Dauer funktionieren? Davon machten sich am Freitag, 12. April, die grünen Landtagsabgeordneten Oliver Brandt und Ute Röpcke selbst ein Bild.

Marzena Podolski und Sylwia Sobotko sind immer noch dabei. Das Hilfsprojekt wurde vom Diakonischen Werk des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg übernommen. „Die Stadt Lauenburg bat uns darum. Als wir die Arbeit vor Ort angeschaut hatten, mussten wir nicht lange überlegen“, sagt Geschäftsführer Ulf Kassebaum. Die Initiative SML individuell sei jetzt die größte im Kreis unter Trägerschaft der Diakonie. Mit Fördergeld aus dem „Aktionsprogramm familienunterstützende Maßnahmen für Geflüchtete“ konnten die beiden Frauen eine Festanstellung erhalten.

Klönen, Kochen und Hilfe bei Behördengängen

Aus der Initiative SML ist mittlerweile ein multikultureller Treffpunkt geworden. An fünf Tagen bieten die beiden Frauen feste Angebote vor allem für Familien an. Die reichen von der Kindergruppe für Kinder ohne Kitaplatz über tägliche Hausaufgabenbetreuung, niedrigschwellige Deutschkurse bis zu gemeinsamen Aktionen wie Backen und Kochen. Jeden Donnerstag gibt es um 10 Uhr einen internationalen Brunch. In den Bürozeiten leisten sie Hilfe bei Arztbesuchen und Behördengängen, aber auch beim Ausfüllen von Papieren.

„Die Initiative SML individuell ist die größte im Kreis unter Trägerschaft der Diakonie“, sagt Geschäftsführer Ulf Kassebaum 
„Die Initiative SML individuell ist die größte im Kreis unter Trägerschaft der Diakonie“, sagt Geschäftsführer Ulf Kassebaum  © Elke Richel | Elke Richel

Maryna Litucha ist fast jeden Tag hier. Vor zwei Jahren hatte sie sich mit ihren beiden Kindern auf den Weg nach Deutschland gemacht. In ihrer Heimatstadt Dnipro im Osten der Ukraine war der Krieg angekommen. „Bringt euch in Sicherheit“, hatte ihr Mann sie gebeten. Er selbst durfte das Land nicht mehr verlassen. Schweren Herzens ist sie seinem Wunsch gefolgt.

Geschützter Raum nach traumatischen Erlebnissen

„Ich wusste wirklich nichts. Zwar konnte ich ein paar Brocken Deutsch, aber es war mir alles fremd hier. Ohne die Begleitung von SML hätte ich keinen einzigen Antrag ausfüllen können“, erzählt die junge Frau. Mittlerweile arbeitet sie halbtags im Jobcenter Geesthacht als Sprachvermittlerin. Hilfe braucht sie trotzdem noch manchmal, besonders wenn es um komplizierte deutsche Formulierungen geht.

Bis zu 70 Menschen besuchen täglich den Treffpunkt SML an der Berliner Straße 5. Längst sind es nicht nur Ukrainerinnen und ihre Kinder. „Vor ein paar Monaten war der Imam der türkisch-islamischen Gemeinde bei uns und hat sich über unsere Arbeit erkundigt“, erzählt Sylwia Sobotko. Seitdem kämen auch türkische und syrische Frauen in die Begegnungsstätte.

Sprache ist die größte Hürde für Integration

Sie hätten in den zwei Jahren selbst vieles dazu gelernt, nicht nur Papiere auszufüllen und bei Ämtern gelegentlich mit der Faust auf den Tisch zu hauen, wenn ein Antrag mal wieder zu lange liegengeblieben war. „Ich weiß jetzt mehr zu schätzen, wie gut es mir selbst geht“, sagt Marzena Podolski. Aber sie hätten auch gelernt, sich abzugrenzen, die Schicksale nicht mit an den Familientisch zu nehmen.

Den beiden Landtagsabgeordneten gaben sie mit auf den Weg, welche Probleme ihnen besonders auf den Nägeln brennen. „Viele Ukrainerinnen sind gut ausgebildet und wollen arbeiten, aber dazu brauchen sie in Schleswig-Holstein in den meisten Fällen ein Zertifikat über qualifizierte Sprachkenntnisse. Auf der anderen Seite gibt es viel zu wenig Kursangebote und die Wartezeiten sind lang“, erläutert Sylwia Sobotko das Dilemma. In anderen Bundesländern seien die Hürden diesbezüglich weniger hoch. „Das nehmen wir mal so mit nach Kiel“, versicherte Oliver Brandt.

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Integration: Eine rein kommunale Angelegenheit?

Auch seine Fraktionskollegin Ute Röpcke zeigte sich beeindruckt von der Arbeit der beiden Frauen. Allerdings, so räumte sie ein, hätte sie auch gemischte Gefühle dabei. „Müsste sich die Stadt Lauenburg an dem Integrationsprojekt finanziell nicht mehr beteiligen, als lediglich die Miete für die Räumlichkeiten zu bezahlen?“, fragte sie. Hintergrund: Für dieses Jahr sind die Mittel aus dem Aktionsprogramm noch sicher. Ob die Landesmittel im nächstem Jahr noch fließen, dagegen nicht.

Dass sich die Lauenburger Politiker diesen Schwarzen Peter zuschieben lassen, ist kaum vorstellbar. Während der Diskussion, ob die Stadt ein Intergrationskonzept brauche oder nicht, brachte es der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Thorsten Pollfuß kürzlich auf den Punkt: „Wir leiden als Kommune darunter, dass alle Aufgaben nach unten wegdelegiert werden und der Aufwand nicht richtig erfasst wird.“