Kiel. 2021 und 2022 suchten 51.000 Menschen und damit mehr als 2015/16 Zuflucht in Schleswig-Holstein. Die Folgen, die Debatte.

Viele schleswig-holsteinische Kommunen können nicht mehr. Bezahlbare Wohnungen zur Unterbringung der Flüchtlinge finden sich schon lange nicht mehr. Stattdessen leben die Frauen und vor allem Männer, die in erster Linie aus Syrien, der Türkei und Afghanistan kommend hier Asyl suchen, in ausgedienten Hotels, Containern, Turnhallen und inzwischen sogar Dorfgemeinschaftshäuser.

Allein im Oktober hat das Land 1709 neue Schutzsuchende registriert, hinzukommen in dem Monat noch 621 Menschen, die vor Putins Krieg aus der Ukraine nach Schleswig-Holstein geflohen sind. In der Addition sind 2022 und 2023 bislang schon 51.000 Flüchtlinge und Asylsuchende in dem kleinen Bundesland zwischen Flensburg im Norden und Lauenburg im Süden angekommen.

Zum Vergleich: Das sind noch einmal rund 5000 mehr als 2015 und 2016, wo von einer nie gekannten Flüchtlingswelle die Rede war. Noch einige Zahlen, die zeigen, wie stark Land und Kommunen gefordert sind. 1709 Schutzsuchende im Oktober markieren mit Abstand einen neuen Höchstwert. In keinem anderen Monat in den zurückliegenden Jahren suchten auch nur ansatzweise so viele Menschen Unterkunft und Hilfe im Norden. Im gesamten Jahr 2021 waren es nur gut doppelt so viele wie allein diesen Oktober. Von den 2023 in Schleswig-Holstein registrierten Flüchtlingen waren gut 70 Prozent Männer oder Jungen.

Flüchtlinge in Schleswig-Holstein: Zu viel Migranten? Die Menschen sorgen sich

„Die Aufnahmesituation für Flüchtlinge ist am Limit. Die Kapazitäten sind vielerorts erschöpft, wenn nicht sogar schon überschritten. Es stehen keine Unterkünfte mehr zur Verfügung, in manchen Schulklassen und Kita-Gruppen spricht kaum noch ein Kind Deutsch, und Sprach- und Integrationskurse können nicht mehr in ausreichender Zahl angeboten werden.“ Diese Bilanz zieht der CDU-Fraktionsvorsitzende im schleswig-holsteinischen Landtag, Tobias Koch, am Mittwoch.

Laut einer NDR-Umfrage machen sich zwei von drei Teilnehmern Sorgen, dass Deutschland zu viele Migranten aufnimmt. Vor diesem Hintergrund sieht Koch die gesellschaftliche Stimmung in Deutschland kippen. „Statt Willkommenskultur verzeichnet die AfD immer größere Wahlerfolge.“ Der CDU-Fraktionschef erinnert an die Situation Anfang der 90er Jahre, als eine halbe Million Flüchtlinge aus Südosteuropa „für Wahlerfolge von Republikanern und DVU in den Landtagen sorgten – auch in Schleswig-Holstein“.

Flüchtlinge in Schleswig-Holstein: Migration besser steuern

Vor diesem Hintergrund fordert Koch in der Landtagsdebatte – wie Abgeordnete anderer Parteien auch –, die gemeinsamen Beschlüsse von Bundeskanzler und Ministerpräsidenten von Anfang November rasch umzusetzen. Die sehen unter anderem Grenzsicherungen vor illegaler Migration, Asylverfahren an den EU-Außengrenzen, schnellere Verfahren und schnellere Abschiebungen, eine Bezahlkarte statt Bargeld für Asylbewerber und umgehenden Zugang zu regulärer oder ehrenamtlicher Arbeit für hier angekommene Menschen vor.

Dass auf den Maßnahmen zeitlicher Druck liegt, zeigen weitere Zahlen aus Schleswig-Holstein und Deutschland. Demnach waren Ende Oktober bis auf sieben Prozent alle Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen belegt. Hier hat sich die Lage mit der Neueröffnung einer weiteren Großeinrichtung in dieser Woche in Kiel vorübergehend etwas entspannt. Und deutschlandweit rechnen Fachleute mit mehr als 300.000 Geflüchteten allein am Ende dieses Jahres.

FDP hinterfragt geringe Zahl an Abschiebungen

Wenn die etablierten demokratischen Parteien die großen Herausforderungen, die sich aus diesen Zahlen ergäben, nicht meisterten, profitierten Populisten und Extremisten, warnt FDP-Fraktionschef Christopher Vogt. „Bei der Stärkung der Demokratie spielt die Migrationspolitik natürlich nicht die alleinige, aber aus unserer Sicht schon die wichtigste Rolle.“

Vogt und sein Fraktionskollege Bernd Buchholz forderten ein stärkeres Engagement auch der Landesregierung, statt nur den Blick nach Berlin zu richten. Buchholz wirft dem Land vor, die Probleme nicht schnell genug abzuarbeiten. So gebe es einen Rückstau von 1200 nicht bearbeiteten Asylanträgen in Schleswig-Holstein.“

Den 13.000 nach Schleswig-Holstein geflüchteten oder hierher verteilten Menschen in den ersten zehn Monaten 2023 stehen gerade einmal 660 Abschiebungen oder freiwillige Ausreisen im selben Zeitraum gegenüber. Der offizielle Zuwanderungsbericht des Landes für den Monat Oktober weist 35 freiwillige Ausreisen und 15 Abschiebungen aus. „Warum finden derzeit in Schleswig-Holstein trotz vollmundiger Ankündigungen kaum Abschiebungen statt? Und warum finden nur so wenige freiwillige Ausreisen statt? Schleswig-Holstein braucht ein funktionierendes Rückkehrmanagement“, kritisiert die FDP die Arbeit der schwarz-grünen Landesregierung.

Flüchtlinge in Schleswig-Holstein: SPD nimmt Landesregierung in die Verantwortung

SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller sieht die Landesregierung in der Pflicht angesichts schwindender Akzeptanz in der Bevölkerung. „Offene Politik für Geflüchtete und Arbeitsmigration funktionieren dauerhaft nur, wenn wir verhindern, dass daraus Verteilungskonflikte entstehen. Politisch heißt das: Für ausreichend Wohnraum zu sorgen. Kommunen nicht zu überfordern. Ausreichend Kapazitäten in Kitas und Schulen zu organisieren. Menschen schnell in Arbeit zu bringen. Für Integration zu sorgen. Für Sicherheit zu sorgen und Menschen ohne Bleibeperspektive auch wieder abzuschieben“, fordert der SPD-Politiker.

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In Vertretung des stark erkälteten Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) musste dessen Stellvertreterin Monika Heinold von den Grünen am Mittwoch die Regierungserklärung zum Thema Migration abgeben. Es brauche klare Regeln und eine Steuerung der Zuwanderung, schnellere Asylverfahren, einen stärkeren Grenzschutz und mehr Tempo bei Abschiebungen, die Heinold lieber Rückführungen nennt. „Es werden nicht alle Menschen, die wollen, zu uns kommen können“, stellt sie sich hinter die in der Ministerpräsidentenrunde mit dem Kanzler vereinbarten Gesetzesverschärfungen und zeigt damit Geschlossenheit in der Koalition bei einem für Grüne hochsensiblen Thema.