Geesthacht. Die Nikolausfahrt mit der Museumseisenbahn ist bei Familien beliebt. Für den Lokführer ist sie eine besondere Entschleunigung.
Wer braucht schon Schnee, wenn er ordentlich Dampf machen kann. „Karoline“ ist am Gleis in Geesthacht angekommen und zaubert weiße Wolken. Aufgeregt wuseln kleine und große Fahrgäste um die Lok herum. Bis zur Rückfahrt nach Bergedorf-Süd bleibt für alle genügend Zeit, um den Zug zu inspizieren.
Zwei historische Waggons haben sich die Organisatoren der Arbeitsgemeinschaft Geesthachter Eisenbahn e.V. in diesem Jahr von den Kollegen aus Lübeck ausgeliehen. Um alle Fahrgäste unterzubringen, gibt es zusätzlichen Platz in einem Waggon mit Abteilen der ersten und zweiten Klasse und im großzügig möblierten Speisewagen „Hansetreff“. Es grüßt der Charme der fünfziger Jahre!
Historische Dampflok „Karoline“ bringt den Weihnachtsmann
Die Adventsfahrten mit der Museumseisenbahn sind ein beliebtes und erschwingliches Familien-Event. Schon bei der ersten morgendlichen Abfahrt in Bergedorf-Süd ist der Andrang groß. Der Herr an der improvisierten Fahrkartenausgabe lässt sich davon nicht beirren. Akribisch locht er braune Pappkärtchen. Wer die noch aus der Kindheit kennt, dem wird es jetzt schon warm ums Herz.
Anders ergeht es manch jüngerem Gast: Der Nikolaus ist noch in weiter Ferne, da jagt die pfeifende, dampfende „Karoline“ den kleinen Besuchern am Gleis ordentlich Respekt ein. Besser sitzt man bei ihrer Ankunft auf dem Arm eines Großen. Kinder unter vier Jahren fahren bei frei, das Ticket für Erwachsene kostet einfach 5 Euro.
Rund 20 Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft organisieren den Ablauf
Und dann geht´s los. Einige suchen noch nach einer Sitzgelegenheit, andere stehen sowieso lieber am Fenster. Wie viele Fahrgäste sind wir denn nun? „Keine Ahnung. Das ist hier wie bei der echten Bahn“, grinst Zugbegleiter Hendrik. Er und Kollege Felix strahlen aus jedem Knopfloch. Auch ohne genaue Zahlen wissen sie, dass Dampflok „Karoline“ in den letzten Jahren Fahrgast-Rekorde eingefahren hat. „An den Adventstagen fahren wir mehr Gäste denn je“, sagt Hendrik.
Seit zwölf Jahren engagiert er sich im Verein. Im eigentlichen Beruf Jurist und Werkstoffwissenschaftler, genießen Hendrik und Felix jede Fahrt. Rund 20 Vereinsmitglieder organisieren den reibungslosen Ablauf. Zugbegleiterin Franziska ist schon von klein auf dabei. Auch in der fahrtfreien Zeit kümmert sie sich mit ihren Kollegen Christian und Johannes um die Aufarbeitung und Pflege der Waggons. Mit Anfang zwanzig zu den jüngeren Lok-Liebhabern zählend, werben die drei für ihr Engagement: „Wir können jede helfende Hand gebrauchen.“
Nikolaus und Helfer durchstiefeln jedes Abteil des historischen Zugs
Im Advent spielen die Helferinnen und Helfer in historischer Eisenbahner-Uniform aber nur Nebenrollen. Stargast ist der Mann im roten Mantel. Zum zweiten Mal gibt Andreas Bruhns in diesem Jahr den Nikolaus. Mit Weihnachtself Frederic und Engel Helen an seiner Seite durchstiefelt er jedes Abteil. Tamme, Mattis und Benno sind zu dritt. Da lässt es sich leicht singen und Gedicht aufsagen. Manch anderen Fahrgast ergreift jetzt die Panik. Ein kleines Präsent aus dem Geschenkesack bekommen alle, wenn nicht vom Nikolaus persönlich, dann von einem seiner Helfer.
Mit einem lauten „Ho-ho-ho“ sind die Drei auch schon im nächsten Abteil. Im Speisewagen sitzt Familie Walpuski am runden Tisch. Ob sie das ganze Jahr über schön artig waren, werden die beiden Jungs nach alter Nikolaus-Tradition gefragt. Papa, der es besser weiß, nimmt‘s gelassen. „Kann ja nicht schaden, mal direkt zu fragen“.
Wasser wird bei jedem Halt des Dampfzugs in Geesthacht nachgetankt
Im Zug wird gesungen und gedichtet, gelacht und über die Zukunft der Bahnstrecke diskutiert. In der Lok kriegen Christian Scheffler und Peter Schmudde davon nichts mit. Lokführer und Heizer schauen nach vorn. Das Gleis ist frei, der nächste Bahnübergang in Sichtweite. Lokführer Scheffler bremst ab, Heizer Schmudde steigt aus, um den Übergang zu sichern. Dann müssen auch schon wieder neue Kohlen ins Feuer. Alle vier, fünf Minuten muss der Heizer nachlegen.
Zweieinhalb Tonnen Kohle hat „Karoline“ geladen. Der Zug ist durch die zwei zusätzlichen Wagen diesmal um einiges schwerer als sonst. Das will alles bewegt sein. Die Kohle reicht für den Tag, Wasser wird bei jedem Halt in Geesthacht nachgetankt. Während der Fahrt rufen sich Lokführer und Heizer kurze Kommandos zu. Wenn Scheffler das Dampfrohr schließt, kann Schmudde die Wasserleitung öffnen.
Weidende Pferde dürfen nicht durch die Dampfpfeife erschreckt werden
Dazwischen legt Christian Scheffler lässig den linken Arm auf einem Hebel ab, zieht rechts an einem anderen, lässt Dampf nach oben ab und „Karoline“ ordentlich pfeifen. Da ist es, das Traumbild vom Lokführer-Sein. Aber auch das Pfeifen geht nur auf bestimmten Streckenabschnitten. Dazwischen darf Karoline nur stampfen, um weidende Pferde nicht zu verschrecken. Die Tiere nehmen es gelassen. Die Menschen, wo immer sie stehen, winken „Karoline“ und den Fahrgästen zu.
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Bei der Einfahrt in Bergedorf-Süd steht der Bahnsteig wieder voller Leute. „Wir werden wohl bald Doppelstockwagen anschaffen müssen“, sagt Christian Scheffler. Kleiner Scherz. Lokführer und Heizer wissen sehr wohl, dass „Karoline“ gelebte Nostalgie ist. Aus den Diskussionen um die Reaktivierung der Bahnstrecke zwischen Geesthacht und Bergedorf halten sie sich raus. „Da macht man sich nur Feinde, egal was man sagt“, so ihr Kommentar.
Der geprüfte Dampflok-Führer fährt im Hauptberuf die schnellen ICE
Geprüfte (Dampf-)Lokführer und Heizer gibt es nicht mehr wie Sand am Meer. Im Geesthachter Verein sind es jeweils drei. Neben ihren regulären Berufstätigkeiten stemmen sie alle Betriebstage im Jahr. Auch 2024 werden Christian Scheffler und Peter Schmudde wieder dabei sein. Bis dahin müssen sie an diesem Wochenende noch ordentlich schaufeln.
Ab Mittwoch sitzt Christian Scheffler dann wieder im ICE vor einem Display mit vielen Knöpfen. Hamburg-Köln, Hamburg-Frankfurt, Hamburg-Berlin, Fernverkehr im Netz der Deutschen Bahn. War er artig oder hat er gestreikt? „Ich bin verbeamtet, teure Altlast und artig“, lacht Scheffler und lässt Karoline noch einmal laut pfeifen.