Lauenburg. Statt ständigem Druck, mehr Eigenverantwortung. Zukunftsforscher Prof. Dr. Olaf-Axel Burow erklärt, warum Schüler so besser lernen

Fast jedes Kind freut sich darauf, in die Schule zu gehen. Lesen und Schreiben lernen, neue Freunde kennenlernen – für die meisten Sechsjährigen eine tolle Vorstellung. Doch oft hält die Begeisterung nicht lange an. Manche ABC-Schützen haben schon nach ein paar Wochen keine Lust mehr, in die Schule zu gehen.

Prof. Dr. Olaf-Axel Burow weiß, woran das liegt. „Das Schulsystem, wie es im Moment ist, ist angelegt, um das Lernen zu verhindern“, sagt er. Der Erziehungswissenschaftler und Zukunftsforscher der Universität Kassel ist überzeugt, dass Kinder – wenn man sie lässt – ihrem natürlichen Drang folgen, sich Wissen anzueignen. Was sie daran hindere, seien die starren Strukturen des heutigen Bildungssystems. Am Montag, 2. Oktober, ist Olaf-Axel Burow in Lauenburg zu Gast. Unter dem Titel „Schule der Zukunft“ stellt er sieben Handlungsoptionen vor, die das Schulsystem aus seiner Sicht grundlegend revolutionieren. Los geht es um 18.30 Uhr im Forum der Albinus-Gemeinschaftsschule

„Ich durfte ein Jahr länger erleben, was schlechte Pädagogik ist“

Olaf-Axel Burow hat Pädagogik von der Pike auf gelernt. Bevor er sich dem Thema wissenschaftlich näherte, unterrichtete er an einer Grundschule in Berlin-Neukölln. Danach war er Lehrer an einer Berliner Gesamtschule. „Ich wusste schon damals, dass Schule, wie wir sie seit über 200 Jahren praktizieren, keine Zukunft hat“, sagt der heute 72-Jährige. Diese Erfahrung hatte er als Schüler selbst gemacht. „Ich bin einmal sitzen geblieben. Ich durfte also ein Jahr länger erleben, was schlechte Pädagogik ist“, sagt er lachend.

Dass es auch anders gehe, habe er ausgerechnet durch einen Religionslehrer erfahren. „Er hat uns ohne Vorgaben ermutigt, ein Theaterstück zu schreiben und eine Zeitung zu verfassen. Jeder war mit Feuereifer dabei. Bei einem Klassentreffen nach über 40 Jahren waren wir uns alle einig, dass wir nie in der Schule so viel gelernt haben, wie bei diesem Projekt“, erzählt Burow. Dies sei ein Schlüsselerlebnis gewesen. „Ein guter Pädagoge ist der, der den Schülern die Fähigkeit zum selbst organisierten Lernen vermittelt“, ist er überzeugt.

„Das Smartphone ist kein Teufelswerk“

Für ihn hat der Typus Lehrer ausgedient, der vorn an der Tafel steht und der Klasse versucht beizubringen, was der Lehrplan vorsieht. „Wenn die Kinder alles vorgekaut bekommen, haben sie eben keine Lust mehr, eigene Entdeckungen zu machen“, hat er die Erfahrung gemacht. Aus seiner Sicht sei es kein Wunder, dass junge Pädagogen nach kurzer Zeit der Schule den Rücken kehren, weil sie frustriert feststellen, dass Unterricht heute so nicht mehr funktioniere.

Das Wort „Lehrer“ vermeidet Burow ohnehin. In der Schule der Zukunft, davon ist er überzeugt, gibt es stattdessen Lernbegleiter. Die Schüler bekommen keine Instruktionen wie im traditionellen Unterricht, sondern entwickeln selbstständig Lernwege. „Dazu stehen heutzutage so viele digitale Möglichkeiten zur Verfügung. Man muss sie nur nutzen“, meint der Wissenschaftler. Dass es inzwischen in vielen Schulen im Unterricht ein Handyverbot gibt, sei absurd. „Das Smartphone ist kein Teufelswerk. Der Umgang damit will gelernt werden“, sagt er. Einer seiner Lieblingssätze: „Das Handy ist das Schweizer Messer des digitalen Zeitalters.“

In Wutöschingen hat die Zukunft der Schule schon begonnen

Wenn Olaf-Axel Burow Vorträge über die Schule der Zukunft hält, bringt er gern ein Beispiel, wo diese heute schon sieht: in der Gemeinde Wutöschingen (Baden-Württemberg) mit knapp 7000 Einwohnern. „Die Alemannenschule war eine Hauptschule, die eigentlich geschlossen werden sollte. Der Schulleiter trat die Flucht nach vorn an und krempelte das Konzept innerhalb von zwölf Jahren komplett um“, erzählt Burow.

Ein Schüler lernt in Wutöschingen (Baden-Württemberg) an der Gesamtschule an seinem Schreibtisch. Jeder Schüler an der Alemannenschule hat ein Tablet. Klassenzimmer gibt es nicht mehr.
Ein Schüler lernt in Wutöschingen (Baden-Württemberg) an der Gesamtschule an seinem Schreibtisch. Jeder Schüler an der Alemannenschule hat ein Tablet. Klassenzimmer gibt es nicht mehr. © picture alliance / Patrick Seeger/dpa | Patrick Seeger

In der Alemannenschule gibt keine Schulbücher und bis zur neunten Kasse auch keine Noten. Statt Klassenräumen gibt es Inputräume oder Lernateliers. Unterricht im klassischen Sinne gibt es nicht, sondern kurze Lern-Inputs von 15 Minuten auf freiwilliger Basis. Die Kinder heißen Lernpartner und haben alle ein iPad. Sie eignen sich das Wissen an, wo und wann und wie sie wollen: allein, im Team, im Freien, zu Hause, natürlich auch in der Schule. Auch Klassenarbeiten werden nicht geschrieben. Wenn die Kinder meinen, eine Leistungsstufe in einem bestimmten Fachgebiet erreicht zu haben, gehen sie zum Lernbegleiter und wünschen sich einen Test. Danach gibt es einen differenzierten Gelingensnachweis. Besteht der Schüler den nicht, wird er gecoacht, um sich zu verbessern.

Kritik am Konzept: „Schlag ins Gesicht jeder Lehrkraft“

„Die Kinder und Jugendlichen, die in der Alemannenschule lernen, haben im Durchschnitt bessere Schulabschlüsse, als ihre Altersgefährten an anderen Schulen“, weiß Olaf-Axel Burow. Der Pädagoge ist davon überzeugt, dass die Absolventen meist selbstständiger und kreativer an Problemlösungen herangehen, als Gleichaltrige, die während ihrer Schulzeit ausschließlich konservativ unterrichtet wurden.

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Doch es gibt auch Kritik am alternativen Bildungsgedanken, den Olaf-Axel Burow vertritt. „Wutöschingen als Vorbild zu nehmen, bedeutet, dass demnächst Klassenzimmer zunehmend durch Lernlandschaften ersetzt, Lehrkräfte zu Lernbegleiterinnen werden und Kinder sich nur noch mit den Fächern und Themen beschäftigen, auf die sie gerade Lust haben“, sagte Cornelia Schwartz, rheinland-pfälzische Landesvorsitzende gegenüber dem Onlinemagazin News4teachers. Dies sei ein „Schlag ins Gesicht jeder Lehrkraft“. Ein möglicher Irrweg ließe sich in ein paar Jahren nur noch mit Mühe rückgängig machen.

Dass seine Thesen nicht nur auf Wohlwollen stoßen, hat Burow in der Vergangenheit schon mehrfach erfahren. „Viele können sich anfangs nicht vorstellen, dass Lernen selbstorganisiert funktioniert. Dazu bedarf es nicht nur engagierter Schulleitungen und Eltern. Auch die Politik und die Behörden müssen umdenken. Wir müssen weg von der Schulverwaltung und hin zur Schulgestaltung“, ist er überzeugt.