Aurich (dpa/lni). Für sichere Deiche halten Schafe das Gras kurz und treten den Boden fest. Mit Sorge sehen Jäger und Schäfer, dass es auch an der Küste immer mehr Wolfsrisse gibt. Sie fürchten um die Deichsicherheit und nehmen die Politik in die Pflicht - ein Ministerium widerspricht.
Jäger in Niedersachsen und Bremen sehen angesichts immer mehr von Wölfen gerissener Schafe entlang der Küste die Deichsicherheit in Gefahr und rufen die Landes- und Bundespolitik zum Handeln auf. Vertreter der zehn niedersächsischen Küstenjägerschaften zwischen Emden und Stade sowie von den Landesjägerschaften Niedersachsens und Bremens unterzeichneten dazu am Donnerstag im ostfriesischen Aurich ein Positionspapier. Darin fordern die Jäger, wolfsrudelfreie Zonen entlang der Küste zu schaffen, und den Vorrang der Deichsicherheit vor dem Schutz von Wölfen.
„Der Druck durch Wolfsrisse steigt“, sagte Gernold Lengert, stellvertretender Bezirksvorsitzender der ostfriesischen Jägerschaft. Im Schnitt komme es entlang der Küste mittlerweile jeden zweiten Tag zu Rissen von Nutztieren. „Das Nichtstun der Politik hat die Akzeptanzgrenze der Bevölkerung für den Wolf längst überschritten. Wir verstehen nicht, dass Landespolitiker und verantwortliche Bundespolitiker dabei zuschauen“, sagte Lengert.
Für den Küstenschutz in Niedersachsen sind die tausenden Deichschafe die fleißigsten Helfer. Sie halten nicht nur die Grasnarbe der Küstenschutzbauwerke kurz, sondern treten mit ihren Hufen auch den Boden fest. „Nur die Beweidung durch die Schafe macht die Deiche sicher“, sagte Lengert. Rund 1,2 Millionen Menschen in Niedersachsen und Bremen verließen sich darauf, dass die Deiche sicher seien.
Der Wolf steht unter strengem Naturschutz. Nur in Ausnahmen dürfen einzelne Tiere von den Behörden zum Abschuss freigegeben werden, etwa wenn sie mehrfach Rinder trotz wolfsabweisender Zäune gerissen haben.
Laut Landesjägerschaft leben in Niedersachsen mittlerweile 44 Wolfsrudel, ein Wolfspaar und vier residente Einzelwölfe. Im Nordwesten sind Wolfsrudel etwa in Friedeburg (Landkreis Wittmund) und bei Cuxhaven erfasst. „Die Wolfspopulation ist längst in Niedersachsen in einem sehr guten Erhaltungszustand“, sagte Lengert. Die Jäger fordern daher, den Schutzstatus des Wolfes neu zu bewerten.
„Niedersachsen will an einem Konzept der Bundesregierung für ein europarechtskonformes und regional differenziertes Bestandsmanagement intensiv mitarbeiten“, hieß es zuletzt vom Umweltministerium in Hannover. Den Küstenschutz sieht das Ministerium durch die Wolfsrisse nicht in Gefahr. Es gebe mit Zäunen und Herdenschutzhunden Maßnahmen, um die für die Deiche wichtige Weidetierhaltung mit Schafen aufrecht zu erhalten, teilte eine Sprecherin auf dpa-Anfrage mit.
„Die Zäunung ist völlig praxisfern. Da brauchen wir gar nicht drüber reden“, sagte dagegen der Vorsitzende der ostfriesischen Jägerschaft, Simon Grootes. Auch Herdenschutzhunde könnten an den Deichen, die auch touristisch genutzt werden, nicht zum Einsatz kommen. Neben den Deichschäfern gehe es auch um Pferdehalter, die ihre Tiere an die Küste brächten und Landwirte, die ihre schwarzbunten Milchkühe dort weiden ließen. Eine Regulierung der Wolfsbestände sei unausweichlich.
„So langsam muss etwas passieren“, forderte auch Janko Schneider. Der junge Deichschäfer betreibt seit zehn Jahren eine Schäferei mit 2000 Tieren in Arle (Landkreis Aurich), mit denen er 110 Hektar Deichfläche bewirtschaftet. Seit 2018 habe er in seiner Herde fünf Angriffe von Wölfen gehabt. Zumindest die übergriffigen Wölfe müssten schnell und unkompliziert entnommen werden. „Mit ganz schnell meine ich unverzüglich“, sagte Schneider. „Wenn ein Riss an einem Tag entsteht, muss unverzüglich am nächsten Tag der Wolf liegen. In der Regel kommt er wieder und will sich Beute holen.“
Jeder Deichschäfer, der aufgebe, komme nicht wieder, mahnte der Vizepräsident der Landesjägerschaft in Bremen, Marcus Henke. Er forderte die Politik auf, mehr „vom Ende her zu denken“. „Deichschutz ist so existenziell, die Beweidung der Deiche ist so wichtig. Wenn wir das gefährden, dann ist das weit mehr als nur die Betrachtung der Ökosysteme und als nur die Betrachtung der Weidetierhalter. Wir betrachten dabei den Menschen.“