Egestorf. Seit Wochen wartet Lutz Marquardt darauf, sein Getreide ernten zu können. Der Regen lässt es nicht zu. Und verdirbt die Kornqualität.
Der Roggen wiegt sich im Wind, doch er trägt keine goldenen Ähren. Sie sind eher grau – Spuren der verregneten Sommerwochen. Eigentlich hätte das Feld von Lutz Marquardt längst abgeerntet werden sollen. Doch der Landwirt muss auf besseres Wetter warten. Noch nie hat er so viel Geld in den Aufwuchs stecken müssen. Und wird dennoch unterdurchschnittliche Erlöse erzielen. Manche Kollegen habe es noch härter getroffen, sagt Marquardt: „Was hier gerade abläuft, ist für viele Betriebe existenziell.“
Der Hof Marquardt ist einer von zwei übrig gebliebenen Vollerwerbsbetrieben im Heideort Egestorf. Von den 420 Hektar (ha) Getreide, das er auf eigenen Feldern (200 ha) und als Dienstleister für andere Landwirte in diesem Sommer abernten muss, sind erst 80 ha eingefahren. Es ist Wintergerste. „Sie wird als erste reif. Die haben wir in der ersten Juliwoche geerntet, als das Wetter noch schön war.“ Mit gutem Ertrag und in guter Qualität.
Ernte 2023: Erst ein Bruchteil des Getreides ist eingefahren
Gewöhnlich gebe es dann sechs bis zwölf Tage Pause, bevor Roggen, Weizen, Sommergerste, Raps und Hafer erntereif sind. „Mein Vater spricht dann immer von normalen Jahren. Aber es gibt keine normalen Jahre mehr“, sagt der 51-jährige Sohn. Mal kämpfen die Landwirte mit anhaltender Trockenheit, mal mit langen Regenphasen. In diesem Jahr mit beidem. Bei der Bildung der Blüten und Fruchtansätze fehlte Wasser; jetzt gibt es zu viel.
Seit dreieinhalb Wochen steht der Mähdrescher still. „Das Wetter bestimmt unser Leben. Das müssen Sie auch in der Familie aushalten“, sagt der Vater eines Sohnes (28) und einer Tochter (18). Bei passendem Wetter werde sieben Tage die Woche durchgearbeitet. Und auch bei schlechtem Wetter kann der Bauer seinen Hof nicht verlassen. Schließlich könnte sich zwischendurch einmal ein Zeitfenster auftun, in dem geerntet werden kann. Nicht in diesem Jahr. „Das Holz für den Winter ist gehackt und alle Dachrinnen gesäubert“, sagt er lakonisch.
Raps trocknet schnell ab und ist als nächstes dran
Angesichts der seit Tagen angekündigten Wiederkehr des Sommers keimt Hoffnung auf. „An einem regenfreien Tag mit Wind und Sonne kann ich abends anfangen zu ernten“, so Marquardt. Als erstes käme der Raps dran. Der trocknet relativ schnell ab, und seine winzigen Körner sind regengeschützt in Schoten verpackt. 50 Hektar eigener Raps könnten bestenfalls ab Donnerstag eingebracht werden, hofft der Landwirt.
So bald wie möglich müssen 30 Hektar Saatweizen eines Kunden geerntet werden. Denn der Anbau von Saatgut ist mit besonderen Qualitätsanforderungen verbunden, deren Einhaltung mit höheren Preisen belohnt wird. Vier weitere Kunden warten dringlich auf seinen Mähdrescher. Sie werden nacheinander bedient, für jeden Kunden hat Marquardt einen Tag reserviert. Und dann sind da noch die eigenen Flächen: 20 ha Weizen, 30 ha Roggen und – etwas später – 30 ha Lupinen.
Nicht nur Regen: Kalte Nächte mit Tau verzögern die Ernte ebenfalls
30 bis 40 Hektar kann Lutz Marquardt pro Tag abernten – wenn das Wetter mitspielt. Dazu sollten die Nächte wärmer werden. Denn neben Regen behindert auch Tau die Erntearbeit. Solange das Getreide morgens noch nass ist, kann es nicht geschnitten werden: „Feuchte Halme verkleben und verstopfen die Maschine.“ Und wenn abends der Tau fällt, ist Feierabend. So reduziert sich die Arbeitszeit und damit die abgeräumte Fläche.
Wenn das Getreide trocken genug sei, um geerntet zu werden, könne er auch die Geestböden befahren, sagt der Bauer und Lohnunternehmer – sein Mähdrescher habe ein Raupenlaufwerk. Betriebe in der Marsch oder in Flussniederungen haben es dagegen schwerer. Ebenso Biobetriebe, die im Vergleich zu konventionell wirtschaftenden Betrieben weniger Möglichkeiten haben, um das jetzt sprießende Unkraut in Schach zu halten.
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„Ich brauche jetzt zwölf gute Tage“, hofft Marquardt. Dann wäre die Getreideernte um den 22. August abgeschlossen. Viel Zeit bleibt dann nicht mehr, um die Äcker für die nächste Rapsaussaat vorzubereiten, denn die ist für den 28. August eingeplant. Zuvor sollten die auf dem Boden liegengebliebenen Weizen- oder Roggenkörner ausgekeimt und mechanisch abgeräumt sein, damit sie die nächste Kultur nicht stören. Anschließend muss der Boden noch tiefgründiger bearbeitet werden, bevor die Aussaat beginnen kann. „Ich stelle dann den Mähdrescher weg und springe auf den Trecker“, schildert Marquardt die letzte Augustwoche.
Mais, Zuckerrüben und Kartoffeln reduzieren Wetterrisiken
Auf einigen seiner 240 Hektar Fläche wächst Mais. Dem gehe es dank der üppigen Wasserversorgung sehr gut, sagt der Landwirt. Andere Kollegen bauen zusätzlich zum Getreide Zuckerrüben und Kartoffeln an und streuen damit die Risiken, die den Betrieben durch ungünstiges Wetter entstehen. Dennoch bleibt 2023 für viele Hofbetreiber ein schlechtes Jahr, auch für die Familie Marquardt. „Die Kosten für Saatgut, Dünger, Pflanzenschutzmittel und Diesel sind deutlich gestiegen, das wird die teuerste Ernte, die wir je erstellt haben. Gleichzeitig werden die Erlöse unterdurchschnittlich sein.“
Wenn das Getreide zu feucht ist, gibt es Abschläge. Einige Körner sind verloren, weil sie durch die Feuchtigkeit angefangen haben zu keimen. Zudem haben sich schwarze Pilze in den Ähren angesiedelt, die Mykotoxine (giftige Stoffwechselprodukte) bilden. Jede beim Landhandel abgelieferte Charge werde beprobt, so Marquardt: „Wenn die Belastung zu hoch ist, kann das Getreide nicht einmal mehr als Viehfutter verwendet werden.“ Einzige Abhilfe sei, schlechte mit guten Qualitäten zu mischen, damit die Werte eingehalten werden.
Eigentlich müsste Marquardt jetzt, um den 10. August, drei Viertel der Getreideernte eingefahren haben, die dann beim Landhandel in Winsen, Soltau oder Lüneburg abgeliefert wurde. In diesem Jahr ist es nicht einmal ein Viertel. Marquardt schaut auf eines seiner Rapsfelder. Auch hier sind die Feuchtigkeit der Körner und dazu deren Ölgehalt maßgebliche Kriterien. „Der Raps sieht okay aus. Aber er ist eine Wundertüte. Bei ihm weiß man erst nach der Ernte, was Sache ist.“