Salzhausen. Auf Achse: Landwirt Lutz Marquardt verbringt derzeit den größten Teil seiner Arbeitstage auf dem Mähdrescher. Wenn das Wetter mitspielt.
„Schließen Sie die Tür bitte komplett. Ich brauche eine gleich bleibende Geräuschkulisse, um hören zu können, wenn etwas nicht rund läuft.“ Die Tür zur Fahrerkabine des XL-Mähdreschers T560i vom US-Hersteller John Deere ist für untrainierte Frauenarme kaum zu schließen, Landwirt Lutz Marquardt hilft ein bisschen nach. Es ist kurz nach 15 Uhr. Vor ihm liegen 16,5 Hektar Sommergerste, die abgeerntet werden wollen. Dafür braucht der Landwirt fünf bis sechs Stunden, wenn alles rund läuft.
Als Marquardt den fast 400 PS (285 kW) starken Motor startet, ist er eigentlich schon im Verzug. Denn wenn die Sonne abends das Getreidefeld nicht mehr bescheint, kriecht die Feuchtigkeit aus dem Boden die Halme hinauf, und die Gerste ist nicht mehr ordentlich zu schneiden. Doch früher anzufangen, war nicht möglich: Am Vortag hatte es geregnet – Marquardt musste warten, bis das Getreide ausreichend abgetrocknet ist. „Bei einem Feuchtigkeitsgehalt von 14,5 Prozent und darunter gilt es als trocken“, erläutert der 45-Jährige. „Wenn das Korn etwas feuchter ist, besteht noch ein Ermessensspielraum des Landhandels. Aber ab 15 Prozent gibt es Preisabschläge, weil das Korn dann getrocknet werden muss.“
Heute Nachmittag beginnt Marquardt bei einer Feuchtigkeit von knapp 16 Prozent mit dem Ernten, noch länger warten will er nicht. Das Korn wird im Laufe des Nachmittages weiter abtrocknen, so dass er die etwas zu feuchte Gerste mit trockenerer mischen kann. Der Landwirt ist als Lohnunternehmer unterwegs. Insgesamt wird er am Ende der Erntesaison (voraussichtlich in der kommenden Woche) auf rund 400 Hektar Getreide gedroschen haben, davon sind 150 Hektar eigene Flächen seines Hofes in Egestorf. Rund zwei Drittel der 400 Hektar sind jetzt abgeerntet, und das war bei dem schauerlichen Wetter der vergangenen Wochen kein Kinderspiel. Immer wieder haben ihm Regengüsse ins Handwerk gepfuscht.
Auch an diesem Vormittag war Marquardt zwei Stunden mit dem Auto unterwegs und maß die Feuchtigkeit der Getreideschläge, die noch abgeerntet werden mussten. „Normalerweise weiß ich morgens, wo ich zuerst und dann anschließend dresche. Aber in diesen Tagen muss ich kurzfristig schauen, ob und wo überhaupt etwas geht.“ In der Landwirtschaft drehe sich generell alles ums das Wetter, sagt Marquardt. Das gilt erst recht in der Erntesaison. Deshalb fällt morgens einer der ersten Blicke auf die Wetter-App vom Smartphone.
Auf der langen Geradenläuft es mit GPS-Steuerung
Marquardt startet die imposante Maschine und dreht die ersten Runden über das Gerstenfeld. Auf den langen Geraden kann er die Lenksäule mit dem Lenkrad nach vorn wegklappen, dann übernimmt die automatische GPS-Steuerung. Dennoch muss Marquardt hellwach sein und schauen, dass alles rund läuft. Am Ende der Geraden übernimmt der Fahrer, wendet und fährt wieder schnurgerade zurück. Marquardt wirft ein Blick durch das Sichtfenster hinter ihm. Dort sieht er, wie sich der Korntank stetig füllt und prüft dabei, ob sich Halmreste oder sonstige Verunreinigungen unter das Korn gemischt haben. Mit seinem Bordcomputer kann er während der Fahrt die fünf Rüttelsiebe nachjustieren, die die gedroschene Gerste von Reststoffen trennen.
Der Korntank fasst 10.000 Liter und ist nach kurzer Zeit gefüllt. Knapp alle Viertelstunde ruft Marquardt seinen Mitarbeiter Benjamin Blecken mit seinem Trecker und Anhänger (Muldenkipper) zu sich, um das Korn während der Fahrt abzunehmen. Mit einem Joystick neben dem Lenkrad fährt Marquardt das sogenannte Entleerrohr aus, und Blecken steuert den Anhänger unter das Rohr. Marquardt drückt auf einen weiteren Knopf, und schon schießt das Korn in den Muldenkipper – mit einer Geschwindigkeit von 125 Liter pro Sekunde.
Marquardt steuert nach der nächsten Wende am Feldrand entlang. Der ist nicht gradlinig, deshalb ist das automatische Lenksystem abgeschaltet. Nach wenigen Metern stoppt der Landwirt und kommentiert seinen nächsten Arbeitsschritt: „Oh, hier ist es nass. Ich muss rückwärtssetzen, damit wir uns nicht festfahren.“ Der schwere Mähdrescher zieht sich zurück und hinterlässt tiefe, schwarze Furchen zwischen den goldgelben Stoppeln. Hier ist vorerst kein Durchkommen, die Senke am Feldrand wird für später aufgehoben.
Weiter geht’s auf trockenerem Grund. Ein Fasan flieht vor dem 7,6 Meter breiten Schneidwerk. Dann räumt ein Rebhuhn das Feld. Etwas später springt ein Reh mühselig durch das knapp einen Meter hohe Getreide. Es sei noch nie vorgekommen, dass ihm beim Dreschen ein Kitz ins Mähwerk gekommen sei, sagt Marquardt. „Zur Getreideernte im Juli und August sind die Kitze bereits so groß, dass sie flüchten und sich nicht abducken. Probleme treten eher bei der frühen Wiesenmahd auf.“ Auf der benachbarten unbewirtschafteten Wiese hoppelt ein Hase durch das Grün. Abgesehen von den Geräuschen der Motoren und der Mechanik des Mähdreschers sowie der Staubfahne, die das Gefährt beim Auswerfen der Stroh-Häcksel hinter sich herzieht, ist das hier ländliche Idylle.
Um 17.30 Uhr sind 9,5 ha abgemäht. Marquardt hofft weiterhin, noch am gleichen Tag mit dem Getreideschlag fertig zu werden. Von seinem Computerdisplay neben dem Lenkrad ist eine Feuchtigkeit zwischen 13 und 14 Prozent abzulesen – alles im Lot. Auch die in Echtzeit angezeigte Erntemenge liegt mit sechs bis sieben Tonnen je Hektar im Soll. „Das hier ist ein gut geführter Bestand“, kommentiert der Mähdrescherfahrer die Werte. Aber nach der ersten Charge, die der Auftraggeber bei der Raiffeisen-Genossenschaft abgeliefert hat, zeigt sich, dass die Sommergerste einen zu hohen Eiweißgehalt hat, um als Braugerste mit rund 180 Euro je Tonne vermarktet zu werden.
Die Nerven des betroffenen Landwirts liegen blank. Marquardt hat Verständnis für seinen Kollegen: „Er kann die Ernte nun nur noch als Futtergerste verkaufen und hat dadurch Einbußen von rund 50 Euro pro Tonne“, macht 300 bis 350 Euro pro Hektar. „Die Sommergerste wurde im April eingesät. Monatelang versucht man, das Beste aus dem Feld heraus zu holen. Und dann wird es nur Futtergetreide.“
Allmählich taucht die Abendsonne das Gerstenfeld in einen goldenen, warmen Farbton. Als romantisch empfinde er das nicht, sagt Marquardt – „höchstens, wenn meine Frau jetzt neben mir säße“. Aber entspannend sei das Fahren mit der fast 250.000 Euro teuren Landmaschine schon, „besonders, wenn ich im Radio die Staumeldungen höre und an manche armen Nachbarn denke, die nach Hamburg pendeln und dabei morgens und abends im Stau stehen“.
Die Art wie Lutz Marquardt über seine Arbeit spricht, zeigt: Die Landwirtschaft ist sein Traumberuf. Für seine Frau Bettina (47), die aus Hamburg-Eimsbüttel zu ihm aufs Land zog, sei es zunächst nicht einfach gewesen, weiß der Familienunternehmer: „Bei uns dreht sich alles nur ums Wetter und um den Betrieb. Alle privaten Termine haben sich dem unterzuordnen, das muss man als Bauernfrau aushalten.“ Sein Sohn Kristof (22) sei jedenfalls nicht daran interessiert, den Hof zu übernehmen, er ist ausgebildeter Elektriker.Und Tochter Karla ist erst zwölf Jahre alt.
Mehr als 100 Stunden verbringt der Familienvater im Sommer in der klimatisierten Fahrerkabine seines Mähdreschers. Auch seine politischen Funktionen – er ist für die FDP Ratsmitglied der Samtgemeinde Hanstedt und der Gemeinde Egestorf – kommen jetzt zu kurz. „Heute ist Bauausschuss-Sitzung“, sagt Marquardt, „da muss ich mich mal wieder vertreten lassen“.
Drei Hektar bleiben stehen –es wird am Abend zu feucht
Zur Tagesschau-Zeit zeigt er während der Fahrt durch das Kabinenfenster auf die Aufhängung des Schneidwerks: „Sehen Sie, wie sich dort die Halme stauen? Jetzt wird das Schnittgut nicht mehr flüssig in den Mähdrescher eingezogen. Das liegt am Tau – wir müssen aufhören.“ Drei Hektar Sommergerste bleiben stehen, Marquardt muss wiederkommen. „Das muss ich hinnehmen. So ist halt Landwirtschaft.“
Lutz Marquardt entlädt den Mähdrescher auf den bereit stehenden Muldenkipper und fährt zu einem speziellen Anhänger am Feldrand, auf den er das überbreite Schneidwerk ablädt. Anschließend fegt er Front und Heck des Fahrzeugs sauber, kuppelt den Anhänger an. Gegen 20.15 Uhr tritt er mit gut 20 Kilometer pro Stunde den neun Kilometer langen Heimweg nach Egestorf an. Dort wollen Marquardt und sein Mitarbeiter noch ein hofeigenes Weizenfeld abernten – Weizen ist weniger tauempfindlich.
Eine gute Stunde werden die beiden Männer noch in der Abenddämmerung über das Weizenfeld fahren, bis es gegen 22 Uhr auch dort zu feucht wird.