Spurensicherer übersehen Beweismaterial gegen Martin N. Nachmieter findet Festplatten und USB-Stick mit gefälschten Zeugnissen in Dunstabzugshaube
Hamburg/Stade. Als beim Wohnungsputz die Küche an der Reihe war, traute Markus Schmüser (Name geändert) seinen Augen kaum: Da steckte etwas in der Dunstabzugshaube.
Was er dort entdeckte, ist für die Polizei alles andere als schmeichelhaft - und könnte den Prozess um den mutmaßlichen Dreifach-Kindermörder Martin N. noch gehörig durcheinanderwirbeln. Drei Festplatten, einen USB-Stick und eine Musik-CD fand Schmüser im Fettfilter der Dunstabzugshaube - sie gehören seinem Vormieter Martin N. Der sogenannte Maskenmann muss sich seit Mitte Oktober wegen 20-fachen Kindesmissbrauchs und dem Mord an drei Jungen vor dem Landgericht Stade verantworten. Schmüser gab die Speichermedien sofort an die Behörden weiter. Jetzt versuchen Spezialisten des Hannoveraner Landeskriminalamts, die teils verschlüsselten Daten auszulesen.
+++ Die Spur des Maskenmanns führt nach Stormarn +++
+++ Der Maskenmann Martin N. verzieht keine Miene +++
"Nach oberflächlicher Schau enthält der USB-Stick gefälschte Zeugnisse, mit denen sich Martin N. womöglich um Stellen im sozialpädagogischen Bereich bewerben wollte", sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Stade, Kai Thomas Breas. Ob sich auf der CD nur Musik oder noch weitere Daten befinden, ist unklar. Die drei Festplatten sind passwortgesichert.
Der überraschende Fund ist für die Ermittler mehr als heikel. Fahnder der federführenden Soko "Dennis" und Hamburger Polizisten stellten die Wohnung an der Jägerstraße in Wilstorf stundenlang auf den Kopf, nachdem Martin N. am 13. April festgenommen worden war. Und doch übersahen sie die im Fettfilter versteckten Beweismittel. Ob sich das Malheur zum handfesten Skandal ausweitet, hängt entscheidend davon ab, wie brisant die Daten sind. "Es ist gewissermaßen peinlich, wenn jemand anders als die Polizei diese Beweismittel findet", sagt Breas. Allerdings habe Martin N. damals frühzeitig ein Geständnis abgelegt. "Das hat die Intensität der Nachsuche etwas in den Hintergrund treten lassen."
Dass Martin N. die Passwörter preisgibt, ist so gut wie ausgeschlossen. Der 40 Jahre alte Pädagoge weigert sich beharrlich, die Passwörter für seinen im April beschlagnahmten Computer und seinen E-Mail-Account zu verraten. Begründung: Er wolle nicht, dass "noch andere Menschen in die Geschichte hineingezogen werden". Bislang sind LKA-Experten an der vertrackten Verschlüsselung gescheitert. Damit die Passwörter doch noch geknackt werden, hat die Staatsanwaltschaft Stade gerade erst 30 000 Euro für eine optimierte Technik bereitgestellt.
Allein das Versteck und die komplexe Verschlüsselung deuten darauf hin, dass die Speichermedien brisante Daten enthalten könnten. Fotos von weiteren Opfern des Maskenmannes? Belege für die These der Nebenklage, dass Martin N. die drei Jungs zur Befriedigung seines Sexualtriebs erwürgte? "Vielleicht ergibt sich genau das aus den Datenträgern", sagt Johannes Giebeler, Anwalt eines Opfer-Vaters. "Jetzt müssen die Daten schnell ausgelesen werden, wir verhandeln unter Zeitdruck."
Schon lange vor seiner Festnahme hatte Martin N. Fotos seiner Opfer zu Hause auf dem Computer gehortet. Bei einer Routinekontrolle beschlagnahmte die Hamburger Polizei 2006 seinen Computer, zwölf CD-ROM und 88 Disketten. Unter den rund 30 000 Bildern fanden sich Fotos unbekleideter Jungen, rund 1000 kinderpornografische Aufnahmen - und auch Fotos des 1995 ermordeten Dennis R. und eines Achtjährigen, der 1999 aus dem Schullandheim Wulsbüttel entführt und missbraucht worden war. Aus Verjährungsgründen musste das Hamburger Verfahren damals eingestellt werden. Erst nach dem Fingerzeig eines früheren Opfers konnte die Soko "Dennis" Anfang März 2011 eine Verbindung zum Fall des "Maskenmanns" herstellen.
Mehrere Ermittlungspannen überschatten inzwischen die Jagd nach dem Triebtäter, der die Morde an drei Jungs eingeräumt hat und mit mindestens zwei weiteren Kindstötungen in Frankreich und den Niederlanden in Verbindung gebracht wird. Zweimal sind Akten vorzeitig vernichtet worden. Zudem fanden "Stern"-Reporter im Müll von Martin N. ein Schachspiel, in dem eine Liste mit den Namen von Kindern versteckt war, die 1993 an einer Ferienfreizeit in der Pfalz teilnahmen. Sie hatten von einem Entrümpler Reste des Hausstands erworben - auch dieses Beweismittel hatte die Polizei übersehen.