Ministerpräsident Carstensen und EU-Energie-Kommissar Oettinger besichtigten eine 120 Meter hohe Windenergieanlage.
Brunsbüttel. Der Wind blies stark, so als wollte er zeigen, wie kraftvoll diese Energiequelle der Zukunft sein kann. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) und EU-Energie-Kommissar Günther Oettinger hatten am Dienstag zum Pressetermin ins Industriezentrum nach Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen) geladen und besichtigten die gigantische Windenergieanlage 5M der Firma Repower in Brunsbüttel – wenige hundert Meter vom Atomkraftwerk entfernt.
Zuvor hatte Oettinger dort an einer auswärtigen Kabinettssitzung der Landesregierung teilgenommen. Es ging um den für die Energiewende notwendigen Netzausbau, der vielen immer noch viel zu langsam voranschreitet – obwohl die schleswig-holsteinische Landesregierung Druck macht und hinter den Kulissen auch gewisse Ungeduld über das im Vergleich zum Norden weniger zügige Tempo des Bundes zu hören ist.
"Wir haben Oettinger klar gemacht, dass wir auch eine europäische Initiative brauchen, denn die Netze sind ein Verbund“, betonte Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Jost de Jager (CDU), bevor er mit Carstensen und dem EU-Kommissar die Windenergieanlage besichtigte. Die 61,5 Meter langen Rotorblätter mitgerechnet, ragt die 5M über 180 Meter in den Himmel.
Bis zuletzt war wegen des stürmischen Wetters offen, ob die Besichtigung der Anlage überhaupt möglich sein würde. Doch Carstensen (64), der sturmerfahrene Nordfriese aus Nordstrand, wischte alle Bedenken beiseite, und auch der gebürtige Stuttgarter Oettinger (58) - "ich bin Bergwanderer, allerdings nicht ganz schwindelfrei“ – und de Jager wagten den Aufstieg.
Im weißen Schutzanzug und mit gelben Schutzhelm ging es ins Innere des Stahlturms. Zuerst über eine senkrechte Leiter, gesichert ähnlich wie Bergsteiger mit einer persönlichen Schutzausrüstung samt Karabinern, gelangten die Politiker schließlich bis ins Maschinenhaus in 120 Meter Höhe. Ein Fahrkorb, in den ein Servicetechniker und zwei weitere Menschen passen, ermöglichte den bequemsten Teil des Aufstiegs. Durch eine Luke kraxelten Carstensen und Oettinger dann auf die offene Plattform. Sie dient normalerweise als Landeplattform für Servicetechniker, die mit einem Hubschrauber zur Anlage gebracht oder wieder abgeholt werden.
Denn die 5M ist eine Offshore-Anlage, konzipiert für Windparks auf dem Meer – so wie im Windpark Ormonde in der irischen See; dort erzeugt Vattenfall mit 30 dieser Anlagen Strom. In Brunsbüttel wurde die Pilotanlage "Hugo“ zu Demonstrationszwecken errichtet. Bei ihrer Fertigstellung im Jahr 2004 war die 5M die leistungsstärkste Windenergieanlage der Welt. "Sie produziert 5 Megawatt, inzwischen gibt es Anlagen, die sogar über 6 Megawatt leisten“, sagte Repower-Firmensprecherin Claudia Zimmermann. Im Durchschnitt – je nach Windjahr – schafft allein "Hugo“ bis zu 17 Millionen Kilowattstunden. „Das reicht für fast 5000 Haushalte oder 9000 Menschen.“ Seit 2004 hat die Anlage mehr als 100 Millionen Kilowattstunden erzeugt.
Doch die Zukunft von "Hugo“ ist nicht ganz sicher. Eine Hand voll Demonstranten diskutierte am Fuße der Windanlage kurz mit den Politikern über das angedachte Kohlekraftwerk Brunsbüttel, dessen Planung zurzeit auf Eis liegt. "Kein Kohledreck für Brunsbüttel“ stand auf einem Plakat. Sollte das Kohlekraftwerk gebaut werden, würde "Hugo“ ihm auf dem Grundstück weichen müssen. Oettinger und de Jager machten klar, dass der Ausbau der Windenergie konsequent weitergeht – bundesweit von zurzeit etwa 7,5 Prozent auf 25 Prozent um 2022. Das entspricht etwa dem Anteil der Atomenergie, deren Zeit dann abgelaufen sein wird.
Ohne fossile Energien werde Deutschland aber nicht auskommen können, "sonst laufen wir uns einen Wolf“, sagte de Jager. Die Planungen im Norden bleiben ehrgeizig: Zurzeit produzieren 2648 Windanlagen 3200 Megawatt – das sind rechnerisch 46,5 Prozent des Stromverbrauchs. In einigen Jahren soll die Leistung auf 9000 Megawatt gesteigert werden.
Von Matthias Hoenig