Der CDU-Spitzenkandidat Jost de Jager über die Übereinstimmungen mit den Grünen und über die Kernbotschaft seiner Partei: den Schuldenabbau.
Ahrensburg. Ein paar Tage Urlaub noch zwischen Weihnachten und Silvester - dann geht es los: Jost de Jager (46) steht vor seinem ersten Wahlkampf als Spitzenkandidat der CDU Schleswig-Holstein. Ihm wird dabei geholfen. Am 13. Januar rückt die Bundesprominenz an. Der CDU-Bundesvorstand kommt zu einer abendlichen Klausurtagung nach Kiel. Zuvor besuchen die Vorstandsmitglieder mit der Kanzlerin Angela Merkel an der Spitze überall in Schleswig-Holstein Neujahrsempfänge ihrer Partei. Jost de Jager, der CDU-Landesvorsitzende, ist seit 1996 Landtagsabgeordneter. Der Eckernförder hat in Kiel Geschichte, Englisch und Politik studiert und danach kurz für den Evangelischen Pressedienst (epd) gearbeitet. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.
Hamburger Abendblatt:
Herr de Jager, was würde der gelernte Journalist de Jager vom CDU-Spitzenkandidaten de Jager wissen wollen?
Jost de Jager: Er würde wissen wollen, welche Ziele der Spitzenkandidat hat und wie er sie erreichen will.
Sie wollen die Schleswig-Holstein-Wahl gewinnen. Wie wollen Sie das bewerkstelligen?
de Jager: Mit einem überzeugenden Konzept, das wir ja bereits vorgelegt haben. Als Partei wollen wir deutlich machen, wie wir aus der Kontinuität unserer Arbeit ein Stück Erneuerung schaffen. Wir müssen darstellen, was wir geleistet haben für das Land. Das Thema Finanzen ist unser Markenkern. Die Konsolidierung des Haushaltes haben wir zusammen mit der FDP in den Mittelpunkt gestellt. Denn gesunde Finanzen sind Grundlage für weiteres Wohl und Wachstum.
Wird das genügen?
de Jager: Nein. Wichtig ist auch eine vernünftige Verkehrsinfrastruktur, die die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes sichert. Die dafür sorgt, dass Pendler vernünftig zur Arbeit kommen. Dass Schleswig-Holstein als Logistik-Standort stark bleibt. Beim Thema Bildung werden wir einen sehr eigenständigen Kurs fahren. Das, was wir uns 2009 vorgenommen haben, produktive Ruhe an den Schulen, Schulfrieden und ein Ende des Strukturstreits, wollen wir erreichen. Wir wollen ein zweigliedriges Schulwesen, bei dem wir Gemeinschaftsschule und Regionalschule zusammenführen, um den ständigen Veränderungsdruck aus den Schulen herauszunehmen. Das ist die Voraussetzung für Schulfrieden.
Schulfrieden? Die Wahrnehmung vieler Lehrer und Eltern ist eine völlig andere.
de Jager: Das ist leider so. Bei der Schulpolitik gibt es unterschiedliche Problemlagen. Wir haben es leider durch das Schulgesetz 2007 nicht hinbekommen, dass ein endgültiger Zustand eingetreten ist, der keinen weiteren Veränderungsdruck nach sich gezogen hat. Das hat dazu geführt, dass es weiter Unruhe gibt. Es gibt Probleme bei der Unterrichtsversorgung. Im statistischen Mittel hat sich der Unterrichtsausfall seit 2005 halbiert. Doch es gibt Probleme, die im Koalitionsausschuss mit der FDP aufgearbeitet werden. Zum Beispiel die Debatte, ob es sein kann, dass bei rückläufigen Schülerzahlen auch die Zahl der Lehrer im gleichen Maße zurückgehen kann. Das hat die Koalition zwar so beschlossen. Wenn es uns aber gelingt, schneller zu sparen als im Konsolidierungspfad vorgesehen, dann wollen wir auch reinvestieren. Das wird gerade errechnet.
Werden also möglicherweise nicht so viele Lehrerstellen gestrichen wie eigentlich geplant?
de Jager: Das wissen wir noch nicht. Kernbotschaft des Koalitionsausschusses ist, dass der Konsolidierungspfad so oder so eingehalten wird bis 2020. Diese Kernbotschaft bewahrt Glaubwürdigkeit von Politik.
Bei der Bildungspolitik hat die schwarz-gelbe Regierung im nördlichsten Bundesland bislang ähnlich viel Vertrauen verspielt wie die Bundesregierung beim Versuch, die Finanzkrise zu bewältigen. Viele Bürger äußern ihr Empfinden, dieses Land werde in Wahrheit nur noch von der Wirtschaft regiert.
de Jager: Unter der Führung von Angela Merkel sind richtige politische Entscheidungen getroffen worden. Beim Thema Eurokrise haben die Märkte sicher ihren Anteil. Auslöser war eine Reaktion des Kapitalmarktes auf die Krise in Griechenland. Eine wichtige Lektion für uns ist, dass wir es nicht zulassen dürfen, dass die öffentliche Verschuldung außer Kontrolle gerät. Deshalb ist Konsolidierungspolitik so wichtig.
Es gibt Kritik aus eigenen Reihen. Ein CDU-Bürgermeister kritisierte kürzlich das Landeswahlprogramm Ihrer Partei mit den Worten, es fehlten "zündende Ideen, um die schlafende Mehrheit der Desinteressierten wachzurütteln". Seine Befürchtung war, dass viele Bürger ihre demokratischen Rechte und Pflichten nicht mehr wahrnehmen werden und nicht mehr zur Wahl gehen.
de Jager: Die Aussagen wurden in einem anderen Kontext gemacht. Er meinte, dass in der Wahlauseinandersetzung die Punkte zugespitzt werden müssten. Und das werden wir auch tun. Wir müssen darlegen, hinter welcher Programmatik sich die CDU als Partei versammelt. Das machen wir gerade. Unser Programm beschreibt sehr gut, wie man Schleswig-Holstein in eine gute Zukunft führen kann. Das haben wir im Unterschied zur SPD sehr klar gemacht. Die Sozialdemokraten haben bisher nur einen 27-seitigen Entwurf vorgelegt, in dem eigentlich nichts drinsteht. Damit wollen wir die nicht durchkommen lassen. Wir werden die SPD im Wahlkampf stellen.
Mit welcher Partei wollen Sie in Kiel eine Regierung bilden?
de Jager: Ich setze zunächst auf eigene Stärke. Ziel ist, die stärkste Kraft zu werden. Eine Regierungsbildung soll ohne uns nicht möglich sein. Nach der Wahl sehen wir weiter.
Also gibt es von Ihnen zurzeit keine Koalitionsaussage?
de Jager: Wir sind in einer Wunschkoalition. Und wir regieren gern mit der FDP.
Immer noch?
de Jager: Ja. Der letzte Koalitionsausschuss war der erste, der öffentlich wahrgenommen wurde. Dass es jetzt einmal kurz vor einer Wahl unterschiedliche Auffassungen gab, würde ich nicht überbewerten. Jetzt geht es darum, deutlich stärker zu werden als bei der letzten Wahl, bei der wir 31,5 Prozent erreicht haben.
Weder der Bundespräsident noch Ihr Koalitionspartner spielen Ihnen derzeit in die Karten.
de Jager: Den Streit um Herrn Wulff kann und will ich nicht bewerten. Es ist allerdings immer ärgerlich, wenn in Wahlkampfzeiten durch eigene Leute Glaubwürdigkeitsfragen aufgeworfen werden. Das könnte Folgen für den Wahlkampf haben.
Wäre auch eine schwarz-grüne Koalition in Kiel denkbar? Sie treten demnächst mit dem grünen Spitzenkandidaten Robert Habeck in Ahrensburg auf.
de Jager: Die Grünen haben mich eingeladen zu einer Debatte über das Thema Wirtschaftspolitik. Und das, was ich einmal etwas despektierlich das Grünen-Wohlfühl-Bruttoinlandsprodukt nennen will. Da werden wir die Klingen kreuzen.
Welche Übereinstimmungen gibt es bei CDU und Grünen?
de Jager: Neue Übereinstimmungen gibt es in der Bildungs- und der Energiepolitik. Bildungspolitik wird nicht mehr ganz so ideologisch diskutiert. Trennungspunkt bleibt, dass sowohl SPD als auch Grüne auf lange Sicht die einheitliche Schule wollen. Das lehnen wir ab. Wir werden immer für das Gymnasium eintreten.
Und bei der Energiepolitik?
de Jager: Da ist ein ideologisch besetzter Streitpunkt weggefallen. Wir sehen in der Energiewende eine große Chance für den Standort Schleswig-Holstein.
Sie meinen die Windenergie. Scheinbar befürwortet sie jeder. Doch Windräder vor der eigenen Haustür lehnen viele ab.
de Jager: Landesweit sind die Widerstände gegen neue Anlagen nicht so ausgeprägt wie in Stormarn. Ärger haben wir mehr mit den Gemeinden, bei denen wir zu wenige Flächen ausweisen können. Es gibt eine breite Akzeptanz. Das ist auch gut so, denn die Windenergie wird unverzichtbar sein. Eine Energiewende wird ohne den Beitrag Schleswig-Holsteins zu Land und zur See nicht funktionieren.
Hamburger Abendblatt: Gibt es Trennlinien zu den Grünen?
de Jager: Ja, bei der Verkehrsinfrastruktur. Die Grünen haben bei ihrem Parteitag fundamentalistische Positionen eingenommen. Sie lehnen die Fehmarnbelt-Querung ab, den Weiterbau der A 20. Das sind extrem wichtige Projekte für unser Land.
Themenwechsel. Die Pendlerströme nehmen zu, besonders in den Städten und Gemeinden am Rande Hamburgs. Im Kreis Segeberg ebenso wie in Pinneberg und Stormarn. Viele Züge sind überfüllt, an vielen Bahnhöfen sind Parkplätze Fehlanzeige.
de Jager: Ja. Auch die Zahl der Pendler aus Hamburg nimmt zu, weil viele Unternehmen wegen Platzmangels nach Schleswig-Holstein gehen. In Tornesch suchen wir derzeit nach einer pragmatischen Lösung, wir brauchen mehr Verbindungen nach Hamburg. Wir wollen die S 21 ausbauen. Aber wir nehmen auch mit Hamburg und dem Bund zusammen Fahrt auf in Sachen S4 nach Stormarn.
Wann fährt die erste S 4 zwischen Hamburg und Bad Oldesloe?
de Jager: Noch in dieser Dekade.
Der Gütertransport auf der Straße stellt Kommunen östlich und westlich der A 1 zwischen Lübeck und Hamburg vor große Probleme. Die Raststätte Buddikate wird immer wieder wegen Überfüllung geschlossen. Lastwagenfahrer weichen in umliegende Städte und Dörfer aus. Wie wollen Sie dem begegnen?
de Jager: Wir bauen zusätzliche Ruheplätze für Lastwagenfahrer, planen neue Autohöfe. Wir haben ein elektronisches Leitsystem an der A 7 auf den Weg gebracht. So wird eine bessere Nutzung freier Plätze gewährleistet.
Die Wirtschaft macht sich stark für einen Ausbau der A 21, für eine östliche Umfahrung Hamburgs. Was halten Sie davon?
de Jager: Ich halte viel davon, wenn wir erst einmal die westliche Elbquerung machen. Denn die wachsende Verkehrsdichte gerade im Norden Hamburgs macht die Fortführung der A 20 mit einer westlichen Elbquerung für uns kompromisslos. Wir brauchen diesen Ring um Hamburg - er ist die einzige leistungsfähige Ost-West-Verbindung in Schleswig-Holstein.
Wie wichtig ist die Metropolregion für Schleswig-Holstein?
de Jager: Extrem wichtig. Sie ist in Bezug auf Wachstum und Dynamik hervorragend aufgestellt. Die Strukturdaten Stormarns zum Beispiel sind vergleichbar mit den besten Regionen Baden-Württembergs. Auch Pinneberg und Norderstedt fallen in Sachen Wettbewerbsfähigkeit kaum ab.
Doch es gibt Klagen darüber, dass die Ausweisung neuer Gewerbegebiete zu lange dauert.
de Jager: Ich wünsche mir als Wirtschaftsminister, dass solche Dinge schneller gehen. Wir brauchen Vereinfachungen in den örtlichen Verwaltungsverfahren.
Die relativ neue gemeinsame Geschäftsstelle der Industrie- und Handelskammern Hamburg und Lübeck in Norderstedt wurde als historisches Ereignis bezeichnet. Zu Recht?
de Jager: Das ist ein echtes Erfolgsprojekt. Wir sehen aber mit großem Bedauern, dass vieles in der Zusammenarbeit Hamburgs mit Schleswig-Holstein recht schleppend verläuft. Oft wird nur von Fall zu Fall entschieden. Der politische Wille allein reicht nicht aus. Ich habe das Lorenz-von-Stein-Institut, ein Institut für öffentliches Recht, um einen Vorschlag gebeten, wie man durch einen Staatsvertrag die Kooperation auf eine andere Grundlage stellen kann. Landes- und Verkehrsplanung darf nicht an den Ländergrenzen Halt machen. Der Streit um den Standort der Landesmedienanstalt, die dann in Norderstedt ihren Sitz gefunden hat, hat gezeigt, dass wir Nachholbedarf haben.
BMW zieht in Kürze mit seinem Gebrauchtwagenzentrum aus Hamburg fort ins Stormarnsche Barsbüttel. Die Hansestadt hat lange für den Verbleib der Firma gekämpft. Ist diese Art von Wettbewerb noch zeitgemäß?
de Jager: Wir können den Hamburgern nicht vorwerfen, dass sie kämpfen. Es darf nur nicht in einen Förderungswettbewerb ausarten. Wir in Schleswig-Holstein haben das ausgeschlossen, indem wir die einzelbetriebliche Förderung gestrichen haben. Auf der anderen Seite sind Hamburg bei der Ausweisung von Gewerbeflächen natürliche Grenzen gesetzt.
Geben Sie bitte eine Prognose für die CDU bei der Landtagswahl im Mai ab.
de Jager: Ohne Zweckoptimismus: Es wird uns gelingen, die mit Abstand stärkste Kraft zu werden. Nach den schwierigen Zeiten im Sommer haben wir uns wieder gut aufgestellt.
Mit schwierigen Zeiten meinen Sie die Affäre von Boetticher?
de Jager: Wenn Sie sich als Partei kurz vor einer Wahl neu aufstellen müssen, dann ist das nicht leicht. Das haben wir aber geschafft. Wir stehen am Ende des Jahres gut da. Wir werden es schaffen, die Leute für uns zu begeistern.
Wie?
de Jager : Die Konsolidierung der Haushalte steht obenan. Und wir werden keine Steuererhöhungen ins Programm schreiben. Das ist eine klare Trennlinie zu Rot und Grün. Die Haushalte müssen vor allem dadurch konsolidiert werden, dass wir unser Ausgabeverhalten verändern. Die Steuereinnahmen sind in den letzten zwei, drei Jahren immer gestiegen. Die Einnahmeseite ist also nicht das Hauptproblem.
Sie befürworten also schlankere Behördenstrukturen?
de Jager: Das wird zwangsläufig kommen müssen. Wir haben uns darauf verständigt, dass 5500 Stellen bis zum Jahr 2020 im Landesdienst abgebaut werden müssen. Durch Veränderungen in der Verwaltung.
Wie ernst nehmen Sie Steuersenkungspläne, die die FDP auf Bundesebene immer wieder äußert?
de Jager: Die letzten Aktivitäten zu Steuersenkungen haben der FDP nicht gerade zu einem demoskopischen Feuerwerk verholfen.
Ihr Vater war Pastor, ihr Bruder ist Theologe in Hamburg, Sie haben für den Evangelischen Pressedienst gearbeitet. Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrem Leben, wie beeinflusst er Ihre Arbeit in der Christlich Demokratischen Union?
de Jager: Glaube spielt eine große Rolle in meinem Leben. Ich glaube an Gott. Politik muss, so steht es auch in unserer Präambel, vor Gott verantwortet werden. Das ist eine Richtschnur. Übrigens: Den Pastoren-Sohn bekommen Sie nicht wieder raus.
Herr de Jager, wir danken Ihnen für das Gespräch.
(abendblatt.de)