Hamburger Karabag stellt europaweit einzigartige Wohnsiedlung vor, die in Glashütte entstehen soll. Sauberes Wohnen und Autofahren im Verbund.
Norderstedt. Sirri Karabag steht im Foyer der "TriBühne" in Norderstedt und spricht Angela Merkel direkt an. Die sitzt zwar im Berliner Kanzleramt. Doch Karabag ist einer mit enormem Sendungsbewusstsein. "Frau Merkel, falls Sie mich hören können: Wenn Sie die Energiewende suchen, dann kommen Sie doch mal nach Norderstedt!"
Genauer gesagt: An die Müllerstraße nach Glashütte. Hier soll entstehen, was Karabag als europaweit einzigartig bezeichnet: Energieautarkes Wohnen im Verbund mit einem Elektroauto, das gleichsam für Mobilität sorgt und als Speicher für regenerative Energie dient (wir berichteten).
25 Häuser sollen entstehen, die sich komplett über eine hauseigene Fotovoltaik-Anlage und ein Blockheizkraftwerk mit Energie versorgen. Beim Energiemanagement des Hauses kommt Karabags eigentliches Produkt ins Spiel. Der Hamburger Fiat-Händler hat in Eigenregie 2009 einen Fiat 500 zum Elektro-Auto gemacht. 2010 war er Marktführer in Deutschland, weil er noch vor allen großen Autofirmen der Republik der einzige Anbieter eines alltagstauglichen Serien-E-Mobils war. Jedes fünfte Elektroauto in Deutschland kommt von Karabag.
Der 500e dient in der Norderstedter Modellsiedlung als Speicher. Regenerative Energie, die das Haus produziert, muss nicht ins Netz eingespeist werden, sondern kann über das Auto zur Mobilität und nachts zur Versorgung des Hauses eingesetzt werden. Statt der sonst üblichen Eigenverbrauchsquote von 30 Prozent wird eine von 80 Prozent erreicht. Bei der Finanzierung gilt das Auto im Wert von 30 000 Euro als Teil des Hauses und wird gleich mitbezahlt "Was wir umsetzen, bekommt keiner sonst in Europa auf die Kette", sagt Karabag selbstbewusst. Entwickelt hat er das Norderstedter Projekt gemeinsam mit Werner Schilling aus Bad Salzuflen, der mit seiner Firma Schilling Immobilien seit drei Jahrzehnten Bauvorhaben in Norddeutschland umsetzt. "Zwei mittelständische Unternehmer haben geklönt und heraus kam die energieautarke Siedlung", sagt Karabag.
Ganz autark ist die Siedlung dann doch nicht. Denn das Blockheizkraftwerk, das zwischen 20 und 40 Prozent der Energie für die 25 Häuser produziert, wird ganz herkömmlich mit Gas der Stadtwerke Norderstedt befeuert. Ursprünglich hatte Karabag sogar den Bau einer Bio-Gas-Anlage angedacht, die er mit einem benachbarten Bauer realisieren wollte. Nun soll aber doch das Heizkraftwerk kommen.
Wichtiger als die Frage, ob die Siedlung nun völlig autark ist oder nicht, ist für Thomas Bosse, den Baudezernenten der Stadt Norderstedt, der visionäre Charakter der Norderstedter Modellsiedlung. Bosse und die Stadt unterstützen das Projekt mit Inbrunst und Überzeugung. Und dahinter steht für Bosse die für jede Stadt im 21. Jahrhundert zentrale Frage, woher sie ihre Energie beziehen möchte. "Fukushima hat unseren Fokus auf die regenerativen Energien gelenkt", sagt Bosse. Was für ihn persönlich allerdings fast ebenso einschneidend gewesen sei, waren die Bürgerbegehren im Kreis Segeberg, die den Bau von Windkraftanlagen in der Nähe von kleinen Dörfern verhinderten. Das platte Land wehre sich, für den Energiehunger der Städte die nötigen Anlagen zu liefern. Für Bosse sei das einzusehen: "Denn vielmehr müssen sich die Städte fragen, wie sie ihre benötigte Energie selbst produzieren können." Karabags Idee sei eine intelligente Verbindung zwischen energieautarkem Wohnen und der Elektromobilität und schließe die Lücke zwischen den Zeiten der Stromerzeugung und des Strombedarfs. Bosse: "Das Auto speichert die am Tag erzeugte Energie, damit ich abends Tatort gucken kann."
Laut Werner Schilling gibt es für die Häuser an der Müllerstraße schon an die 250 Interessenten. Der Quadratmeterpreis soll bei 260 Euro liegen. Die nötige Technik lasse sich in günstigen oder teuren Hausmodellen realisieren. Unter dem Strich komme ein Norderstedter Modell-Haus etwa 25 000 Euro teurer als ein herkömmliches Eigenheim. Und diese Differenz amortisiere sich später über die Energieeinsparung.
An der Straße Feldweg entstehen derzeit drei Pilothäuser von Schilling Immobilien, die im Frühjahr zu besichtigen sein werden. Bis an der Müllerstraße die Energiewende Formen annimmt, wird es noch etwa ein Jahr an Planung brauchen. Die Diskussion mit den Nachbarn der neuen Siedlung über die Baustelle ist nicht abgeschlossen.