Die Kanzlerin und ehemalige deutsche Umweltministerin solle zu möglichen politischen Manipulationen von Gutachten befragt werden.

Hannover. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) soll nach Auffassung der Grünen im Bundestags-Untersuchungsausschuss zum möglichen Atommülllager Gorleben als Zeugin aussagen. Das sagte die niedersächsische Grünen-Bundestagsabgeordnete Dorothea Steiner am Mittwoch in Hannover.

Sie soll neben der atompolitischen Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting-Uhl, einen Sitz im Untersuchungsausschuss erhalten. Merkel könnte zu ihrer Zeit als frühere Bundesumweltministerin befragt werden. CDU und FDP würden sicher auch die ehemaligen Minister Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) auf die Zeugenliste setzen, sagte Steiner.

Der Untersuchungsausschuss soll klären, warum Gorleben vor rund 30 Jahren als Atomendlager-Standort ausgewählt wurde und ob Gutachten politisch manipuliert wurden.

Grüne erwarten neuen Schub für Anti-Atom-Bewegung

Die Grünen in Niedersachsen rechnen durch den Bundestags-Untersuchungsausschuss mit einem neuen Schub für die Anti-Atom-Bewegung. „Wir werden mehr Drive reinkriegen in die Debatte“, sagte Steiner. Der Atom-Widerstand werde erstarken.

Beim Grünen-Landesparteitag an diesem Sonnabend und Sonntag in Northeim will Steiner nicht mehr als Vorsitzende kandidieren, weil sie sich ihrem Bundestagsmandat widmen will. Für ihre Nachfolge bewirbt sich die Vize-Landesvorsitzende Anja Piel aus Hessisch Oldendorf. Mit Blick auf die bevorstehende Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai sagte die Osnabrückerin Steiner: „Schwarz-Gelb bewegt sich aufs Scheitern zu.“

CDU: SPD und Grüne sollten zu Gorleben stehen

Die Union hat unterdessen SPD und Grüne aufgefordert, zu ihrer Beurteilung über den möglichen Standort Gorleben aus dem Jahr 2000 zu stehen. Damals hätten beide Regierungspartner die nach damaligen Erkenntnissen anzunehmende Eignung des Salzstocks nicht infrage gestellt, sagte der CDU-Obmann des Gorleben-Untersuchungsausschusses, Reinhard Grindel, am Mittwoch in Berlin.

Das ergebe sich aus einer Anlage zum Atomausstiegsvertrag, den Rot-Grün im Jahr 2000 mit der Energiewirtschaft geschlossen hatte. Der Ausschuss wird nächste Woche zur konstituierenden Sitzung zusammenkommen. Grindel warnte davor, „längst bekannte und nicht zu beanstandende Sachverhalte im Zusammenhang mit der Endlagerfrage zu skandalisieren“. Die Erkundung in Gorleben solle jetzt nach zehnjähriger Unterbrechung „ergebnisoffen“ wieder aufgenommen werden. Sollte sich der Salzstock im Wendland doch noch als ungeeignet erweisen, werde nach anderen Standorten gesucht.

Greenpeace sieht Zweifel an Gorleben erhärtet

Der niedersächsische Salzstock Gorleben hätte nach Einschätzung von Greenpeace niemals als atomares Endlager infrage kommen dürfen. Das sollen bislang unbekannte Behördenakten aus den 70er Jahre belegen, die die Umweltorganisation am Dienstag in Berlin vorstellte. Darin zeige sich, dass damals Wassereinlagerungen „verschwiegen wurden, die zum Ausschluss des Standortes hätten führen müssen“, erläuterte Greenpeace-Atomexperte Mathias Edler.

Belegt werde in den Unterlagen zudem, dass die Auswahl von Gorleben unter dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) politisch motiviert und wissenschaftlich nicht abgesichert war. Albrecht wird in einer Notiz von 1977 mit den Worten zitiert, das Endlager werde „entweder bei Gorleben oder überhaupt nicht in Niedersachsen gebaut“.

Umweltministerium: Keine Geheimpapiere

Niedersachsens Umweltministerium in Hannover erklärte jedoch, bei den Wassereinlagerungen in Gorleben handele es sich – ganz anders als beim einsturzgefährdeten Atommülllager Asse – um Laugen fossiler Art. Das heißt, sie resultieren aus der Entstehungsphase der Salzstöcke vor Millionen Jahren. Die Landesregierung habe Greenpeace die Akten zur Verfügung gestellt, von Geheimpapieren könne keine Rede sein, sagte die Sprecherin des Umweltministeriums. Eine Veröffentlichung der Akten sehe die Behörde gelassen.

Nach einem Dokument vom Februar 1976 werden in einer geologischen Studie für die Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungsgesellschaft (KEWA) die niedersächsischen Standorte Börger, Weesen-Lutterloh und Ahlden favorisiert. Eine Studie des TÜV Hannover sprach sich im gleichen Jahr für das schleswig-holsteinische Nieby aus. In beiden Dokumenten ist von Gorleben keine Rede. Der Salzstock im Wendland an der damaligen innerdeutschen Grenze taucht erst im November 1976 durch eine schriftliche Notiz in den vorliegenden Unterlagen auf – drei Monate vor der Entscheidung der niedersächsischen Landesregierung für eine Erkundung von Gorleben.

Roth: „atompolitischer Wahnsinnskurs"

Vor diesem Hintergrund forderte die atompolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting-Uhl: „Die Gorleben-Historie ist ein Sumpf, der trocken gelegt werden muss.“ Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth nannte es einen „atompolitischen Wahnsinnskurs“, dass die jetzige Bundesregierung am Standort Gorleben festhalten wolle. Auch Edler rief zur Aufgabe des Standorts auf. Der jetzige Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) will den vor zehn Jahren von Rot-Grün verhängten Erkundungsstopp für den Salzstock aufheben.

Greenpeace will die Akten nach und nach ins Internet stellen. Die Organisation stützt den Anspruch auf Akteneinsicht bei der Landesregierung auf das Umweltinformationsgesetz. „Bis jetzt konnten 110 Aktenbände mit vertraulichen Kabinettsvorlagen, Gesprächsprotokollen, Vermerken und Studien mit mehr als 12000 Einzelseiten ausgewertet werden“, sagte Edler.

In den 80er Jahren hatte sich auch die damalige Bundesregierung von Helmut Kohl (CDU) für Gorleben ausgesprochen. Ob fachliche Erwägungen bei der Entscheidung die Hauptrolle spielten oder ob damals Gutachten aus politischen Gründen manipuliert wurden, soll ein Ende März eingesetzter Untersuchungsausschuss des Bundestags klären.