Energiewende in Deutschland: Vier junge Hamburger forschen und arbeiten mit Wind, Sonne, Biomasse und Erdwärme. Ihnen gehört die Zukunft.
Hamburg. Katja Reimann, 25, möchte einmal ganz oben stehen. Hoch oben auf der Offshore-Plattform eines Windrades und aufs Meer blicken. Auf die Nordsee, die sie schon als Kind geliebt hat. Küstenschutz, Bauwesen und neue Technologien, dafür hat sie damals schon geschwärmt. Heute erforscht die Diplom-Ingenieurin an der TU Hamburg-Harburg, wie sich der für Tiere schädliche Lärm beim Bau der Windräder im Meer minimieren lässt.
Katja Reimann sitzt in Raum 2.06 im Gebäude der TU an der Harburger Schlossstraße. Sie ist Doktorandin am Institut für Geotechnik und Baubetrieb. Sie sagt, sie habe sich dieses Berufsfeld nicht aus Kalkül ausgesucht, weil sie gehofft habe, dass in Deutschland irgendwann ein Umdenken stattfinde. Zwar wisse sie, dass ihre Branche boomt und dass das für ihr persönliches Berufsleben äußerst positive Aussichten sind. Aber der eigentliche Reiz bestand für sie darin, "ganz neuen Fragestellungen nachzugehen".
Jetzt hat das Institut für Geotechnik beim Bundesministerium für Umwelt (BMU) einen Antrag für ein dreijähriges Forschungsprojekt gestellt. Die zentrale Frage, mit der sich Katja Reimann beschäftigen wird, lautet: Welcher Schall entsteht und wie breitet er sich aus, wenn die gewaltigen Stahlrohre für die Windräder in den Meeresboden gerammt werden?
Bei der Errichtung von Offshore-Anlagen wird unter Wasser durch den Rammvorgang ein erheblicher Geräuschpegel verursacht. Dieser Rammschall trifft Schweinswale, Robben und Fische besonders heftig, da sich die Schallwellen im Wasser mit 1500 Meter pro Sekunde erheblich schneller ausbreiten als in der Luft (340 m/s). Der zulässige Grenzwert im Wasser? "160 dB re 1µPa", sagt Katja Reimann. Was bedeutet das? "Das entspricht in etwa einem Kampfflugzeug in 100 Meter Entfernung." Der Grenzwert, der nicht direkt am Pfahl, sondern in einer Entfernung von 750 Metern von der Quelle eingehalten werden muss, bezeichnet die Schwelle, ab der mit einer temporären Schädigung des Gehörs der Meeressäuger zu rechnen ist.
Da die Schweinswale über Schallwellen kommunizieren, sind sie beim Bau von Offshore-Windanlagen besonders gefährdet. Deshalb fordert der Naturschutzbund Deutschland, bei der Errichtung solcher Anlagen sogenannte Blasenschleier einzusetzen. "Mit solch einem Vorhang aus Luftblasen kann der Immissionswert um bis zu 30 Dezibel im hohen Frequenzbereich gesenkt werden", sagt Katja Reimann. Wenn sie ihr Forschungsprojekt durchführen kann, lägen am Ende erstmals prognosefähige Computermodelle über die Schallentstehung beim Bau von Windkraftanlagen im Meer vor.
Davon würden viele profitieren, sagt sie. "Die Firmen, weil sie bisher mit einem Baustopp belegt werden, wenn sie die Grenzwerte nicht einhalten." Und natürlich die Tiere, die vor einer gewaltigen Lärmbelästigung geschützt würden. Insbesondere die Schweinswale, die liegen ihr am Herzen.
Xiaolong Ma, 31, ist schon einen Schritt weiter. Sein Forschungsprojekt ist begehbar und kann vorgezeigt werden. Die Pilotanlage für "geothermisch- und sorptionsgeschützte Klimatisierung" steht in der HafenCity. Was dort genau passiert? "Bei unserem Projekt geht es um Wärme- und Kältegewinnung - und um Stromersparnis", sagt er.
Xiaolong Ma kam vor zehn Jahren aus Jimo, einer Millionenstadt in der chinesischen Ostküsten-Provinz Shandong, nach Hamburg. Er studierte an der TU Harburg Bauingenieurwesen. "Als ich 2002 anfing, habe ich mit erneuerbaren Energien noch nicht viel anfangen können", sagt er. Vier Jahre später, am Ende seines Studiums, war sein Interesse "sehr groß". Xiaolong will bis zum Ende des Jahres seinen Doktor machen. Ihm geht es nicht darum, in seinem Beruf viel Geld zu verdienen, sondern etwas Sinnvolles für die Gesellschaft zu entwickeln.
Der freundliche Wissenschaftler kann sehr anschaulich erklären, welchen Nutzen das Gemeinschaftsprojekt der Professoren Gerhard Schmitz (Thermodynamik) und Jürgen Grabe (Geotechnik und Baubetrieb) vor allem in Bürogebäuden haben könnte. Durch die Entwicklung eines umweltverträglichen Klimatisierungssystems sei es möglich, "60 Prozent an nicht erneuerbaren Energien gegenüber herkömmlichen Klimaanlagen einzusparen".
In konventionellen Anlagen muss die Luft, die im Sommer von draußen hereinströmt, abgekühlt und entfeuchtet werden - und zwar unter die Taupunkttemperatur von zwölf Grad. Anschließend wird sie wieder auf behagliche 20 Grad Raumtemperatur erwärmt. Zwei widersprüchliche Prozesse, die zudem sehr viel Energie schlucken. In der Pilotanlage wird die Luft nun durch ein sogenanntes Sorptionsrad geleitet, wodurch ihre Feuchtigkeit entzogen wird. Sie muss dann im Sommer nur noch auf 20 Grad runtergekühlt werden. "Dadurch sparen wir eine große Menge Energie", sagt Xiaolong.
Xiaolong sagt, dass erneuerbare Energien auch in seinem Heimatland eine immer größere Rolle spielen. Vor der atomaren Katastrophe in Fukushima hätte die Regierung den Bau von zwei bis drei neuen Atomkraftwerken geplant, dies sei jetzt erst einmal gestoppt und die Sicherheitsanforderungen neu definiert worden. "Das Ziel in China lautet, bis 2020 insgesamt 20 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen", sagt Xiaolong.
Die Energiewende in Deutschland findet er richtig, allerdings sollte die Industrie durch einen steigenden Strompreis nicht zu stark belastet werden.
Verena Schmitt sagt, man müsse sich das ein bisschen so wie Sandburgenbauen vorstellen. Da ginge es ja auch darum, dem Sand die richtige Menge Wasser beizumischen, damit das Kunstwerk nicht zu bröselig wird. Und genau so sei das mit den Halmgütern wie Weizenstroh. Damit aus ihnen stabile Pellets gepresst werden können, die dann zwecks Wärmeerzeugung verbrannt werden, ist ebenfalls die Zugabe der richtigen Menge Wasser erforderlich. Verena Schmitt, 26, geht der Frage nach, was bei der Verbrennung von Biomasse passiert und welche Rohstoffe mit welchen Bindemitteln und anderen Zugaben am besten pelletiert und verbrannt werden können. Sie ist auf der Suche nach dem alternativen Brennstoff der Zukunft.
Verena Schmitt hat eine Welt im Kopf, die irgendwann ohne Öl, Gas und Kohle auskommen muss. "Und dann wird Biomasse für die Wärmeerzeugung eine große Rolle spielen", sagt sie. "Wenn wir in unserer Welt immer mehr Energie verbrauchen, müssen wir unsere Abfälle viel besser energetisch nutzen, als wir das heute tun."
Verena Schmitt kam vor 13 Jahren mit ihren Eltern und zwei Geschwistern aus München an die Elbe, ging in Reinbek zur Schule und machte ihr Abitur am Gymnasium Sachsenwald. Sie sagt, 0dass der Klimawandel schon immer ein wichtiges Thema für sie gewesen ist. Sie möchte für das, was sie jeden Tag tut, einstehen können, "auch wenn man damit vielleicht nicht gleich die Welt retten kann".
In ihrer Welt spielen Atomkraftwerke keine Rolle mehr. Und weil auch die Sonne nur am Tag scheint und der Wind nicht ständig weht, "wird die Bedeutung der Biomasse als grundlastfähige erneuerbare Energie bei der Energieversorgung zunehmen".
Im Moment werden Strohpellets wegen ihrer ungünstigen Verbrennungseigenschaften - hoher Aschegehalt, hoher Chlorgehalt, niedriger Abschmelzpunkt - noch nicht für die energetische Nutzung verwendet. Im Bereich Brennstoff-Optimierung von Halmgutpellets werde "viel probiert und wenig Wissenschaft betrieben".
Die lebhafte Diplom-Ingenieurin ist gerade dabei, das zu ändern. Verena Schmitt hat an der TU Hamburg-Harburg anfangs Energie- und Umwelttechnik studiert, ist dann zur Verfahrenstechnik gewechselt und hat ihr Studium vor einem Jahr abgeschlossen. Seitdem arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU.
"Holz lässt sich wesentlich besser pelletieren als Stroh", sagt sie. Aber das Ziel ist es, "halmgutartige Abfallprodukte für die energetische Verwendung nutzbar zu machen". Die richtige Mischung macht's, und vielleicht wird die Brennstoff-Designerin Verena Schmitt irgendwann fündig. Mit den Sandburgen hat das ja früher auch geklappt.
Hier scheint die Sonne auf Knopfdruck. Karl Sybis, 33, sitzt in einem Sonnensimulator. Das 150 000 Euro teure Stahlgehäuse steht in der riesigen Maschinenhalle auf dem Gelände der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) am Berliner Tor. Karl Sybis ist der Sonne auf der Spur. Weil ihre Strahlen für Wärme sorgen und jeden Tag kostenlos vom Himmel fallen.
Karl Sybis ist auf Umwegen unterwegs. Als er sieben Jahre alt ist, kommt er mit seinen Eltern aus Polen nach Deutschland. Besucht das Gymnasium Bondenwald, macht dort aber kein Abitur. Spielt ab 1997 Football und macht eine Lehre als Zentralheizungslüftungsbauer. Geht auf die Abendschule, erlangt die Fachhochschulreife und beginnt im Sommer 2008, noch während er sein Abitur macht, mit dem Maschinenbau-Studium in Energie- und Anlagetechnik auf der HAW.
Karl Sybis hat sich "weit vor Fukushima" für die Nutzung der erneuerbaren Energien interessiert. Und dabei insbesondere für die Sonne, "die ein unglaubliches Potenzial hat, weil sie jeden Tag mehr Energie auf die Erde schickt, als die Menschheit verbrauchen kann". In seiner Familie, sagt er, war die Energie-Frage immer ein streitbares Thema. Während die Eltern und der Bruder weiter mit dem Auto fahren, benutzt er konsequent die Bahn. Er sagt, die Leute verschließen die Augen, wenn sie nicht sehen wollen, dass es irgendwann kein Öl und kein Gas mehr gibt. Wenn sie nicht wissen wollen, was mit dem strahlenden Atommüll passiert. "Solange der nicht bei ihnen vor die Tür gekippt wird, interessieren sich die Menschen nicht dafür, dass das Problem bisher nicht gelöst worden ist."
Den jetzt beschlossenen Atomausstieg der Regierung findet er "absolut richtig", Politik habe schließlich auch die Aufgabe, "Druck auf die Wirtschaft auszuüben". Karl Sybis hält es für möglich, dass Deutschland mit dieser Entscheidung erst einmal schweren Zeiten entgegengeht, aber auf lange Sicht werde man sich mit der Abkehr von der Nach-mir-die-Sintflut-Politik an die Spitze setzen. Zumal man sich mit dieser "vorausschauenden Weichenstellung" einen Wissensvorsprung und damit auch einen wirtschaftlichen Vorteil auf dem großen Feld der erneuerbaren Energien verschafft habe.
Das gilt auch für sein Gebiet. Karl Sybis ist der Projektleiter eines kleinen Studenten-Teams an der HAW, das die Wirkungsgrade von Sonnenkollektoren untersucht. Dabei geht es um Solarthermie, also die Umwandlung der Sonnenenergie in Wärme. "Mithilfe des Sonnensimulators können wir jederzeit konstante Strahlungsbedingungen erzeugen und somit gültige Versuchsergebnisse gewinnen", sagt er. Während Flachkollektoren die günstigere Alternative bieten, erzielen Röhrenkollektoren einen wesentlich besseren Wirkungsgrad bei gleicher Einstrahlungsleistung und höheren Temperaturdifferenzen.
"Mit vier Quadratmetern Kollektorfläche auf dem Dach lässt sich an einem sonnigen Tag das Wasser in einem 700-Liter-Tank auf 60 Grad aufheizen", sagt Karl Sybis. Ingenieure aus den Bereichen Energie- und Anlagetechnik sind gefragt. "Ich kenne niemanden, der hier sein Studium beendet und Probleme hat, einen Job zu finden", sagt Karl Sybis. Sonnige Aussichten sind das.