Neue Beschwerden von Patienten und Kontroversen um die e-Card: Gesundheitsminister Gröhe will Ärzte und Krankenkassen bestrafen, wenn die elektronische Gesundheitskarte nicht bald richtig funktioniert.

Hamburg. Frau H. ist jetzt 80, und da muss man häufiger zum Arzt, als einem lieb ist. Am Anmeldungstresen wurde die Hamburgerin jedoch gestoppt. „Damit können wir Sie heute nicht behandeln“, sagte die Arzthelferin mit Blick auf H.s Krankenkassenkarte. „Sie benötigen die neue elektronische Gesundheitskarte. Wir müssen einen neuen Termin machen. Und dann bringen Sie bitte die e-Card mit.“ Die neue Fotokarte ist seit dem 1. Januar Pflicht. Von den 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland haben sie mutmaßlich knapp zwei Millionen noch immer nicht. Vergessen, eine zu beantragen, den Brief der Kasse weggeworfen, totale Verweigerung – dafür gibt es viele Gründe.

Auf der bisherigen Karte von Frau H. steht, dass sie noch lange gültig ist. Stimmt nicht, sagen Krankenkassen und Ärzte. Sie müssen die Pflicht zur elektronischen Gesundheitskarte rigide umsetzen. Ihnen selbst drohen künftig erhebliche Strafen, wenn sie die politischen Vorgaben nicht umsetzen. Die 80-Jährige wird dann doch behandelt, weil die Krankenkasse einen Versicherungsnachweis in die Praxis faxt.

Normalerweise gilt solch ein Nachweis länger, nunmehr nur für einen Tag. Wer sich dauernd Rezepte holen muss oder mehrere Ärzte in kurzer Zeit besucht, muss immer wieder eine Bescheinigung beantragen. Ärzte drohen mit Privatrechnungen. Patienten sind verwirrt. Das Klima zwischen ihnen, Ärzten und Krankenkassen ist empfindlich gestört.

Die Hamburger Patienten-Aktivistin Gabi Thiess spricht von massivem Druck der Krankenkassen und „schäbigem Verhalten“ der Mitarbeiter. Das Bundesversicherungsamt habe ihr nach einer Beschwerde geschrieben: „Der Leistungsanspruch der Versicherten darf nicht mit der bestehenden Verpflichtung zur Übersendung des Lichtbildes verknüpft werden“.

Die Krankenkassen dagegen sprechen von einem „nahezu reibungslosen Ablauf“ seit dem 1. Januar. Auch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hamburg hat nur wenige Beschwerden registriert. Patienten ohne Fotokarte könnten innerhalb von zehn Tagen eine gültige Karte nachreichen. „Nach Ablauf dieser Frist kann der Arzt oder Psychotherapeut eine Privatvergütung für die Behandlung verlangen“, heißt es bei der KV.

Lege ein Patient bis zum Ende des laufenden Quartals eine elektronische Gesundheitskarte oder einen anderen Nachweis vor, müsse die Privatrechnung erstattet werden.

Neues E-Health-Gesetz sorgt für Unruhe

In diesen Tagen hat Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) den Entwurf eines neuen E-Health-Gesetzes vorgestellt. Darin sind verschiedene Schritte geregelt, wie die Internetanbindung der Gesundheitskarte vorangetrieben werden soll – und wie Ärzte und Kassen bei Verzögerungen bestraft werden.

Die Karte sollte bereits vor acht Jahren eingeführt werden. Gröhes Vorvorgängerin Ulla Schmidt (SPD) sprach davon, Kosten zu senken. Mittlerweile hat die neue Fotokarte Milliarden verschlungen und kann praktisch nichts mehr als die bisherigen Chipkarten. Gesundheitsminister

Gröhe sagte dem ZDF zwar zuletzt: „Die Karte ist der notwendige Schritt hin zu einer geordneten Digitalisierung im Gesundheitswesen.“ Ein Sprecher des Verbandes der gesetzlichen Kassen erwiderte jedoch: „Der Versicherte hat erschreckend wenig von der neuen Karte, mit der man theoretisch viel machte könnte, aber die Infrastruktur ist nicht da.“

Patientenakten helfen, Gesundheitsdaten selbst zu managen

Viele Versicherte wollen ihre Gesundheitsdaten online selbst managen, wollen Allergien und Notfalldaten eintragen. Das soll die Karte eines Tages ermöglichen. Allerdings warnen Ärzte davor, dass manch Kranker eine unangenehme Behandlung oder ein heikles Medikament verschweigt – aus Angst, die Daten könnten an seinen Arbeitgeber gelangen.

Das kann eine körperliche Schwäche sein, ein Schwangerschaftsabbruch oder eine Psycho-Pille. Und wenn nicht alle Rezepte und Behandlungen vom Arzt einsehbar sind, ist die Datensammlung wiederum wertlos.

Thüringens Datenschutzbeauftragter Lutz Hasse warnte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur vor einer großflächigen und arztübergreifenden Nutzung von elektronischen Patientenakten. Rechtlich und technisch seien die Anforderungen viel komplexer als bisher.

Expertentagung in Hamburg zur Gesundheitskarte

In Hamburg findet am Montag und Dienstag eine Expertentagung zur digitalen Zukunft im Gesundheitswesen statt. Ärzte, Juristen und Informatiker streiten im Hotel Hafen Hamburg über den Sinn der Gesundheitskarte. Im Vorfeld kündigten Hamburger Ärzte bereits an, gegen Gesundheitsminister Gröhes neue Vorgaben klagen zu wollen. Das dürfte wegen der informationellen Selbstbestimmung von Patienten beim Bundesverfassungsgericht landen.

Zuletzt hatten sogar die Krankenkassen der Karten-Gesellschaft Gematik den Geldhahn zugedreht, weil es wieder zu Verzögerungen kam. Jetzt fließen die gesperrten 60 Millionen Euro wieder. In einem Schreiben des Spitzenverbandes der Kassen heißt es: „Weitere Projektinvestitionen aus Beitragsgeldern sind nur zu verantworten, wenn die Potentiale für das deutsche Gesundheitswesen sowohl hinsichtlich der Qualität als auch der Wirtschaftlichkeit der gesundheitlichen Versorgung endlich nutzbar gemacht werden.“

Die Innungskrankenkassen sind über die Verschwendung so sauer, dass sie auf ihrer Website eine Kostenuhr für die elektronische Gesundheitskarte installiert haben. Sie zeigt derzeit gut 1,2 Milliarden Euro Kosten an.