Am Wochenende ist die Zahl neuer EHEC-Infektionen bisher nicht so stark gestiegen wie die Tage zuvor. Entwarnung gibt es aber noch nicht.

Hamburg. In Hamburg steigt die Zahl neuer EHEC-Infektionen inzwischen etwas langsamer. Von Freitag auf Sonnabend habe es 19 neue Fälle von EHEC-Infektionen oder Verdacht darauf gegeben, zitierte der NDR am Sonntag die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). Darunter sei ein neuer Fall der schweren Komplikation HUS (hämolytisch-urämisches Syndrom). Es gebe aber keinen Grund zur Entwarnung. Die Empfehlung, auf rohen Salat, Salatgurken und Tomaten zu verzichten, gelte weiter.

Am Nachmittag wird Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) besuchen. Dort will er sich über die Versorgung von EHEC- und HUS- Patienten informieren. (dpa)

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Bei der Suche nach der Quelle des EHEC-Erregers führt eine Spur offenbar zu einer Gaststätte in Lübeck Bei dem Restaurant handelt es sich um den "Kartoffelkeller" in der Lübecker Altstadt. "Wir hatten am 13. Mai eine Gruppe von 37 Damen zu Gast", bestätigte Restaurant-Betreiber Joachim Berger gegenüber abendblatt.de. Die Frauen trafen sich nach Angaben der "Lübecker Nachrichten" im Rahmen einer Versammlung einer Gewerkschaft. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Dieter Ondracek, sagte: "Bislang wissen wir von acht, teilweise sehr schweren Fällen. Eine Teilnehmerin aus Nordrhein-Westfalen ist verstorben."

"Sie haben alle unterschiedliche Bestellungen aufgegeben." Zudem seien die Gäste mehrere Tage in Lübeck gewesen "und haben somit nicht nur bei uns gegessen", betonte Berger im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. "Bei uns waren sie am letzten Abend. Sie waren im Hotel und haben Frühstücksbüffet gemacht, sie haben eben überall etwas zu sich genommen." Bei ihm sei unter anderem Fleisch und Salat serviert worden. "Ob sie nun alle Salat gegessen haben, das weiß ich nicht", sagte Berger.Deshalb ist auch unklar, was genau zu den EHEC-Erkrankungen geführt hat. Anfang dieser Woche habe das Gewerbeaufsichtsamt Berger über die Infektionen informiert und darüber, dass diese offenbar von seinen Rohkost-Speisen stammen könnten. "Auch für uns waren die Tage nicht sehr schön." Es seien Proben von Salat, Tomaten und Gurken genommen worden. "Kartoffelkeller"-Chef Berger gab an, dass er sein Gemüse von einem Unternehmen aus Mölln beziehe, welches wiederum beim Hamburger Großmarkt einkaufe. Er könne zudem nachweisen, das er Vorschriften, etwa das Aufrechterhalten der Kühlkette, eingehalten habe. "Wir bieten vorerst keinen Salat mehr an, bis wir wirklich wissen, was genau die EHEC-Erkrankungen hervorruft", sagte Berger.

Anfang der Woche seien bereits Hygiene- und Reinigungspläne sowie Lieferwege kontrolliert worden, berichtete Bergers Küchenchef Frank Michel der dpa. Nach Bergers Worten stehen die Ergebnisse von Stuhlproben noch aus, die alle Mitarbeiter hätten abgeben müssen. Die Ergebnisse sollen Montag vorliegen. Michel betonte, die Belegschaft werde mit demselben Essen versorgt wie die Gäste, und niemand sei erkrankt. Beide schließen nicht aus, eine verseuchte Lieferung bekommen zu haben. Die Ware komme über Zwischenhändler vom Großhandel in Hamburg, berichtete Berger. "Wir sind als Restaurant selbst Endverbraucher und von unseren Lieferanten abhängig", sagte Michel.

EU-Experten warten nun auf Testergebnisse aus dem "Kartoffelkeller" in Lübeck. Bundesweit gibt es inzwischen rund 2.500 Menschen, bei denen der Durchfallerreger EHEC vermutet wird oder bereits nachgewiesen wurde.

Insgesamt 17 Patienten hätten sich möglicherweise in dem "Kartoffelkeller" infiziert, berichteten die "Lübecker Nachrichten“ (Sonnabend) unter Berufung auf das Kieler Verbraucherschutzministerium. Am Sonnabend ruderte das Ministerium jedoch wieder zurück und bezeichnete den Bericht als überzogen. "Wir haben keine heiße Spur“, sagte Ministeriumssprecher Christian Seyfert der Nachrichtenagentur dpa. Untersuchungsergebnisse des zuständigen Robert Koch-Instituts (RKI) lägen bislang nicht vor. Eine RKI-Sprecherin bestätigte, dass ein Team zu Kontrollen in Lübeck war.

Selbst mehrere Wochen nach einer EHEC-Infektion könne der gefährliche Darmkeim an einer Quelle noch nachgewiesen werden, erklärte der Vorsitzende des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure, Martin Müller. Solange die Umgebung das Wachstum eines Erregers begünstige, sei er nachweisbar. Die in Verdacht geratenen Räumlichkeiten würden nun komplett untersucht. "Hier wird wirklich akribisch, detektivisch jede Schublade, jede Gabel, jedes Lebensmittel einmal umgedreht."

Vermutungen, nach denen Großveranstaltungen wie der Hamburger Hafengeburtstag als Ausbreitungsort für die EHEC-Welle infrage kommen, wiesen die Behörden am Samstag zurück. Die Hamburger Gesundheitsbehörde berichtete auf Nachfrage, RKI-Experten hätten bereits vor zehn Tagen das Hafenfest als Auslöser der EHEC-Welle ausgeschlossen. Auch das RKI betonte, "Pressemeldungen, wonach EHEC-Infektionen mit Großveranstaltungen in Verbindung gebracht werden, decken sich nicht mit den Erkenntnissen des RKI und stehen im Widerspruch zu dem epidemiologischen Profil des Ausbruchs".

Die EU-Kommission will Deutschland bei der Suche nach dem EHEC-Ausbruchsort helfen und künftig stärker zusammenarbeiten. EU-Gesundheitskommissar John Dalli bot an, EU-Experten zu schicken. Außerdem soll eine eigene EHEC-Internetplattform bis Montag auf die Beine gestellt werden, über die Behörden gezielt Informationen austauschen können. Unter anderem sollen zudem Hinweise auf Behandlungsformen vom RKI ins Englische übersetzt und den EU-Staaten bereitgestellt werden. Der Ausbruch soll am Montag auch eines der Themen beim Treffen der EU-Gesundheitsminister in Luxemburg werden.

+++Auf der Spur des unheimlichen EHEC-Erregers+++

Bundesweit stieg die Zahl der EHEC-Infektionen am Wochenende weiter. Allein in Niedersachsen wurden am Samstag 458 Fälle und Verdachtsfälle gezählt – 40 mehr als am Vortag. Mindestens 520 Patienten leiden im ganzen Land an dem lebensgefährlichen HU-Syndrom (HUS). Daran sind in Deutschland mindestens 18 Menschen gestorben.

Unter führenden Wissenschaftlern ist inzwischen Streit über das Krisenmanagement ausgebrochen. Der Ärztliche Direktor der Berliner Charité kritisierte die Arbeit des RKI. Das Universitätsklinikum habe erst in dieser Woche Fragebögen für die Patienten bekommen, sagte Ulrich Frei dem "Tagesspiegel" (Sonnabend). „Das reicht nicht. Man hätte die Patienten interviewen sollen.“

Es sei zudem nicht erkennbar, was das RKI erarbeite. "Wir brauchen eine bessere Informationspolitik", forderte Frei. Dass sich der EHEC-Erreger seit Anfang Mai ausbreite, außer Gurken aus Spanien aber keine mögliche Quelle ermittelt worden sei, mache ihn unruhig. Laut "Tagesspiegel" wies eine RKI-Sprecherin die Vorwürfe zurück. Das Institut habe nach Ausbruch des Darmkeims zügig reagiert.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert die Einrichtung eines zentralen EHEC-Krisenstabs im Bundesgesundheitsministerium. Bislang seien die Zuständigkeit etwa zwischen Gesundheitsämtern, Kliniken und dem Robert Koch-Institut nicht klar genug geregelt, sagte Lauterbach der in Berlin erscheinenden "BZ am Sonntag".

+++Vorsicht bei rohen Lebensmitteln+++

Bei der Einfuhr in die USA werden aus Sicherheitsgründen Tomaten, Gurken und Salat aus Deutschland und Spanien streng kontrolliert. Russland hatte den Import von Gemüse aus der EU komplett gestoppt. In Italien gibt es mittlerweile einen ersten EHEC-Verdachtsfall. Ein deutscher Tourist leide an einer schweren Durchfallerkrankung. Nach Erkenntnissen der Weltgesundheitsorganisation gibt es EHEC-Infektionen zudem in Österreich, Tschechien, Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, Spanien, Schweden, Schweiz, Großbritannien und den USA. Von den meisten Patienten ist bekannt, dass sie zuvor in Deutschland waren.

(sba/abendblatt.de/dpa)

Angst vor der Infektion: Und was Essen Sie noch?

Kopfsalat, Gurken, Tomaten, Erdbeeren und Johannisbeeren - auch in Zeiten von EHEC kauft Isemarktbesucher Heinz Schnoor, 69, ein wie immer. "Tomaten und Früchte übergieße ich mit kochendem Wasser, bevor ich sie esse", beschreibt der Kanarienvogelzüchter aus Stellingen seine Strategie gegen den gefährlichen Darmkeim, von dem momentan niemand weiß, wo er lauert. Gurke und Salat sind für seine Vögel bestimmt. Täglich serviert er ihnen das rohe Gemüse, vor dessen Verzehr das Robert-Koch-Institut warnt. Symptome wie Durchfall oder andere Auffälligkeiten haben die kleinen Sänger trotz ihres empfindlichen Organismus bisher nicht gezeigt - Schnoor glaubt an diesen "Beweis", sodass auch er Salat und Gurke unbedenklich essen könne. Eine Einstellung, die Lebensgefährtin Menina Ellerbrock, 64, nicht teilt. "Ich verzichte seit Tagen auf rohes Gemüse", sagt sie.

Das tun derzeit viele Hamburger - die täglichen Hiobsbotschaften über die Erkrankung haben sie verunsichert und beeinflussen ihr Konsum- und Ernährungsverhalten. "Wir sind nicht hysterisch. Aber wir geben den Kindern keine Gurken mehr und essen nur noch gekochtes Tiefkühlgemüse", sagen die Marktbesucher Johannes Kahlke, 40, und seine Frau Birte, 37, aus Tangstedt. Auch Tomaten und Salat stehen bei dem Berufsschullehrer im Gesundheitsbereich und der stellvertretenden Kita-Leiterin auf dem Index. Valentina Masu, 44, in Hamburg lebende Italienerin, geht noch weiter. "Ich esse kein Obst und Gemüse mehr, das am Boden wächst und roh verzehrt wird", sagt die Marketingmanagerin bei Montblanc.

Stattdessen hat sie Blumenkohl, Auberginen und Nektarinen in ihre Einkaufstasche gepackt. Die Tomaten, die ganz oben liegen, will sie einkochen. Auch die Berliner Freundinnen Lala, 16, und Juliana, 17, die zu Besuch in Hamburg sind, kaufen Tomaten. "Wir machen Spätzle mit Tomatensauce", sagten die Mädchen. "Salat haben wir seit vielen Tagen nicht mehr gegessen." Nicole Brandt, 30, aus Othmarschen verzichtet wegen EHEC ebenfalls seit Langem auf grünes Gemüse. "Ich bin total verunsichert, weil niemand weiß, woher der Erreger stammt", sagt sie. Ihr Freund Fabian Behrens, 30, hat gerade Erdbeeren gekauft. "Ich lasse mich nicht verrückt machen", sagt er. "Vorsichtig bin ich nur bei Salat und Gurke."

Für die Markthändler bedeutet die Zurückhaltung ihrer Kunden hohe Umsatzeinbußen. "Salat haben wir nur noch als Deko", sagt Artur Fischer, Verkäufer am Gemüsestand vom Obsthof Mojen aus Jork. Statt wie früher 60 Salatköpfe pro Woche würden jetzt nur vier verkauft. Bei Gurken sei es ähnlich: statt 70 bis 80 wöchentlich wären es jetzt nur drei bis vier. Die Kunden würden auch die ersten Vierländer Tomaten nur zaghaft kaufen - obwohl die Bauern auf Zertifikaten die Unbedenklichkeit der Ware garantieren. Händler Fischer kann die Warnung vor Gurken, Tomaten und Salat nicht verstehen. "Seit zwei Wochen wird dieses Gemüse kaum noch verkauft. Wäre es die Infektionsquelle, müsste die Zahl der Krankheitsfälle doch zurückgehen, statt anzusteigen", sagt er. "Außerdem fassen wir unsere Ware täglich an. Trotzdem ist von uns bisher keiner krank geworden."

Nicht nur auf dem Markt, auch in den Supermärkten sind Salat, Gurken und Tomaten Ladenhüter. "Wir haben in den vergangenen drei Tagen kein frisches Gemüse mehr gegessen", sagt Jonathan Roolf, 26, der mit einer vollen Plastiktüte aus einem Penny-Markt in Eimsbüttel kommt. Gegenüber hat Elke Stehr, 69, gerade bei Aldi eingekauft. "Solange der Infektionsherd nicht herausgefunden wird, verzichte ich auf Salat, Gurken und Tomaten", sagt sie. Sie isst stattdessen Äpfel, die sie gründlich wäscht. Stefanie Fahlfeder, 35, kauft für sich und ihren Sohn, 5, nur Gemüse, das sie kochen kann. "Obst kaufe ich nur, wenn es aus Spanien kommt", sagt die Werbekauffrau. "Dort ist schließlich noch keiner krank geworden."

Die Gastronomen reagieren unterschiedlich. Während Restaurants wie das Farinelli auf der Uhlenhorst und das Season Food in der City seit Tagen weder Salat noch Gurken und frische Tomaten anbieten, steht das anderswo noch auf der Speisekarte. "Wir bieten Salat weiterhin an, auch wenn wir einen Rückgang beim Verzehr feststellen", sagt Steakhouse-Unternehmer Dirk Block. "Die Lieferanten garantieren uns eine einwandfreie Ware. Außerdem wird der Salat bei uns gründlich gewaschen." Die Kajüte an der Außenalster hat sogar noch einen Kartoffel-Gurken-Salat im Programm. "Solange unsere Gäste das essen, bieten wir es an", sagt die Bedienung. Im Vapiano, das neben Pizza und Pasta auch Salat anbietet, gibt es seit zwei Wochen keine Gurken mehr. Die Nachfrage nach Salat sei rückläufig, nicht aber der Umsatz, heißt es aus dem Unternehmen. In einer Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes wurden die veränderten Essgewohnheiten bei einem Teil der Restaurantgäste bestätigt.