Am Wochenende ist die Zahl neuer EHEC-Infektionen nicht so stark gestiegen wie die Tage zuvor. In Bayern gingen die Zahlen dagegen hoch. Entwarnung gibt daher noch nicht.

Hamburg/Erlangen. Die Zahl der EHEC-Infektionen in Bayern steigt weiter. Am Sonnabend lag die Zahl der Menschen, die am Hämolytisch-Urämischen Syndrom (HUS) litten, bei 19, zudem gab es zwei HUS-Verdachtsfälle und 53 weitere EHEC-Fälle, wie das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Erlangen mitteilte. Am Sonntag wurden keine aktuellen Zahlen erhoben. Es gelte weiterhin, dass noch niemand im Freistaat an der Krankheit gestorben sei, hieß es am Sonntagnachmittag.

Bundesweit ging die Suche nach der Quelle für den aktuellen EHEC-Ausbruch auch am Wochenende weiter. Mehr als einen Monat nach Beginn der Erkrankungswelle ist noch unklar, wie sich der Erreger verbreiten konnte.

Engpässe in manchen Krankenhäusern wegen EHEC

Wegen der EHEC-Infektionswelle gibt es in manchen Krankenhäusern in Norddeutschland bereits Engpässe. „Wir haben bei der Krankenversorgung eine angespannte Lage“, sagte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) der „Bild am Sonntag“. Man könne dies aber bewältigen, indem fehlende Kapazitäten – etwa in den Städten Hamburg und Bremen – durch freie Plätze in den umliegenden Krankenhäusern ausgeglichen würden. Bei der Suche nach der Herkunft des Erregers tappen die Experten noch im Dunkeln. Eine Spur führt nach Lübeck.

Bahr wollte sich am Sonntag vor Ort im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf einen Überblick über die Versorgung der EHEC-Patienten verschaffen. Im Zusammenhang mit der Erkrankungswelle ist ein Treffen der Gesundheits- und Verbraucherschutzminister von Bund und Ländern geplant. Ort und Zeitpunkt seien noch offen, sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums.

Die Opposition forderte die Einrichtung eines Krisenstabes. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, erklärte, immer noch arbeiteten Ministerien, Bundesbehörden, Bundesländer, Kliniken und Gesundheitsämter unkoordiniert nebeneinander her. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kritisierte in der „B.Z. am Sonntag“, dass es keine Hotline gebe, bei der sich die Bevölkerung informieren könne.

Bei der Suche nach dem Verbreitungsweg des EHEC-Erregers rückte unterdessen ein Restaurant in Lübeck ins Visier der Behörden. Dort haben sich offenbar mehrere Gäste infiziert, eine Frau starb. Zu den Betroffenen zählen Teilnehmerinnen eines Treffens der Deutschen Steuergewerkschaft, wie deren Vorsitzender Dieter Ondracek auf dapd-Anfrage sagte. Die „Lübecker Nachrichten“ berichteten über insgesamt 17 Infizierte.

Ein Sprecher des Kieler Gesundheitsministeriums sagte, Untersuchungen in Lübeck liefen, Ergebnisse lägen noch nicht vor. Er bestätigte, dass Mitarbeiter des Robert-Koch-Instituts (RKI) in der Hansestadt gewesen seien. Experten erhoffen sich Erkenntnisse über die Lieferwege möglicherweise infizierter Lebensmittel.

Ondracek sagte, an dem Treffen der Bezirks- und Landesfrauenvertretung Mitte Mai in Lübeck hätten etwa 30 Frauen teilgenommen. Am Freitagabend, dem 13. Mai, hätten sie in dem besagten Restaurant gegessen. Später seien acht Frauen an einer EHEC-Infektion erkrankt. Eine Frau aus Nordrhein-Westfalen sei inzwischen gestorben, sie werde am Montag beigesetzt.

Das Restaurant sei deshalb ins Visier der Gesundheitsbehörden geraten, weil am 13. Mai dort auch eine dänische Besuchergruppe gegessen habe, von denen sich einige ebenfalls mit EHEC infiziert hätten, sagte Ondracek. Der Wirt der Gaststätte sagte im ZDF, er schließe nicht aus, dass eine Charge seines Lieferanten mit EHEC-Keimen belastet gewesen sein könnte. Nach seinen Angaben wurde das Lokal mittlerweile von den Gesundheitsbehörden untersucht – ohne Befund.

„Das Restaurant trifft keine Schuld, allerdings kann die Lieferantenkette möglicherweise den entscheidenden Hinweis geben, wie der Erreger in Umlauf gekommen ist“, wird Werner Solbach, Mikrobiologe am Universitätsklinikum Lübeck, in den „Lübecker Nachrichten“ zitiert. Er berichtete von einem weiteren schweren Infektionsfall: Ein erkranktes Kind aus Süddeutschland sei bei einer Familienfeier ebenfalls im betreffenden Zeitraum in dem Restaurant gewesen.

Mehr als einen Monat nach Beginn der Erkrankungswelle ist noch unklar, wie sich der Erreger verbreiten konnte. Der Ärztliche Direktor der Berliner Charité, Ulrich Frei, kritisierte im „Tagesspiegel“ die Arbeit des RKI: Die Charité habe erst in dieser Woche Fragebögen für die EHEC-Patienten bekommen. „Das reicht nicht. Man hätte die Patienten interviewen sollen“, wird er zitiert

Als mögliche Verbreitungsquelle rückten auch Biogasanlagen ins Blickfeld. Veterinär- und Labormediziner halten es für möglich, dass der Keim dort herkommt, wie die „Welt am Sonntag“ berichtete. Die Biogasbranche wies dies ebenso zurück wie das Bundesverbraucherschutzministerium. Dessen Sprecher Holger Eichele sprach von „purer Spekulation“. Die Behörden hätten dafür keinerlei Anhaltspunkte, erklärte er in Berlin. (dapd)

Angst vor der Infektion: Und was Essen Sie noch?

Kopfsalat, Gurken, Tomaten, Erdbeeren und Johannisbeeren - auch in Zeiten von EHEC kauft Isemarktbesucher Heinz Schnoor, 69, ein wie immer. "Tomaten und Früchte übergieße ich mit kochendem Wasser, bevor ich sie esse", beschreibt der Kanarienvogelzüchter aus Stellingen seine Strategie gegen den gefährlichen Darmkeim, von dem momentan niemand weiß, wo er lauert. Gurke und Salat sind für seine Vögel bestimmt. Täglich serviert er ihnen das rohe Gemüse, vor dessen Verzehr das Robert-Koch-Institut warnt. Symptome wie Durchfall oder andere Auffälligkeiten haben die kleinen Sänger trotz ihres empfindlichen Organismus bisher nicht gezeigt - Schnoor glaubt an diesen "Beweis", sodass auch er Salat und Gurke unbedenklich essen könne. Eine Einstellung, die Lebensgefährtin Menina Ellerbrock, 64, nicht teilt. "Ich verzichte seit Tagen auf rohes Gemüse", sagt sie.

Das tun derzeit viele Hamburger - die täglichen Hiobsbotschaften über die Erkrankung haben sie verunsichert und beeinflussen ihr Konsum- und Ernährungsverhalten. "Wir sind nicht hysterisch. Aber wir geben den Kindern keine Gurken mehr und essen nur noch gekochtes Tiefkühlgemüse", sagen die Marktbesucher Johannes Kahlke, 40, und seine Frau Birte, 37, aus Tangstedt. Auch Tomaten und Salat stehen bei dem Berufsschullehrer im Gesundheitsbereich und der stellvertretenden Kita-Leiterin auf dem Index. Valentina Masu, 44, in Hamburg lebende Italienerin, geht noch weiter. "Ich esse kein Obst und Gemüse mehr, das am Boden wächst und roh verzehrt wird", sagt die Marketingmanagerin bei Montblanc.

Stattdessen hat sie Blumenkohl, Auberginen und Nektarinen in ihre Einkaufstasche gepackt. Die Tomaten, die ganz oben liegen, will sie einkochen. Auch die Berliner Freundinnen Lala, 16, und Juliana, 17, die zu Besuch in Hamburg sind, kaufen Tomaten. "Wir machen Spätzle mit Tomatensauce", sagten die Mädchen. "Salat haben wir seit vielen Tagen nicht mehr gegessen." Nicole Brandt, 30, aus Othmarschen verzichtet wegen EHEC ebenfalls seit Langem auf grünes Gemüse. "Ich bin total verunsichert, weil niemand weiß, woher der Erreger stammt", sagt sie. Ihr Freund Fabian Behrens, 30, hat gerade Erdbeeren gekauft. "Ich lasse mich nicht verrückt machen", sagt er. "Vorsichtig bin ich nur bei Salat und Gurke."

Für die Markthändler bedeutet die Zurückhaltung ihrer Kunden hohe Umsatzeinbußen. "Salat haben wir nur noch als Deko", sagt Artur Fischer, Verkäufer am Gemüsestand vom Obsthof Mojen aus Jork. Statt wie früher 60 Salatköpfe pro Woche würden jetzt nur vier verkauft. Bei Gurken sei es ähnlich: statt 70 bis 80 wöchentlich wären es jetzt nur drei bis vier. Die Kunden würden auch die ersten Vierländer Tomaten nur zaghaft kaufen - obwohl die Bauern auf Zertifikaten die Unbedenklichkeit der Ware garantieren. Händler Fischer kann die Warnung vor Gurken, Tomaten und Salat nicht verstehen. "Seit zwei Wochen wird dieses Gemüse kaum noch verkauft. Wäre es die Infektionsquelle, müsste die Zahl der Krankheitsfälle doch zurückgehen, statt anzusteigen", sagt er. "Außerdem fassen wir unsere Ware täglich an. Trotzdem ist von uns bisher keiner krank geworden."

Nicht nur auf dem Markt, auch in den Supermärkten sind Salat, Gurken und Tomaten Ladenhüter. "Wir haben in den vergangenen drei Tagen kein frisches Gemüse mehr gegessen", sagt Jonathan Roolf, 26, der mit einer vollen Plastiktüte aus einem Penny-Markt in Eimsbüttel kommt. Gegenüber hat Elke Stehr, 69, gerade bei Aldi eingekauft. "Solange der Infektionsherd nicht herausgefunden wird, verzichte ich auf Salat, Gurken und Tomaten", sagt sie. Sie isst stattdessen Äpfel, die sie gründlich wäscht. Stefanie Fahlfeder, 35, kauft für sich und ihren Sohn, 5, nur Gemüse, das sie kochen kann. "Obst kaufe ich nur, wenn es aus Spanien kommt", sagt die Werbekauffrau. "Dort ist schließlich noch keiner krank geworden."

Die Gastronomen reagieren unterschiedlich. Während Restaurants wie das Farinelli auf der Uhlenhorst und das Season Food in der City seit Tagen weder Salat noch Gurken und frische Tomaten anbieten, steht das anderswo noch auf der Speisekarte. "Wir bieten Salat weiterhin an, auch wenn wir einen Rückgang beim Verzehr feststellen", sagt Steakhouse-Unternehmer Dirk Block. "Die Lieferanten garantieren uns eine einwandfreie Ware. Außerdem wird der Salat bei uns gründlich gewaschen." Die Kajüte an der Außenalster hat sogar noch einen Kartoffel-Gurken-Salat im Programm. "Solange unsere Gäste das essen, bieten wir es an", sagt die Bedienung. Im Vapiano, das neben Pizza und Pasta auch Salat anbietet, gibt es seit zwei Wochen keine Gurken mehr. Die Nachfrage nach Salat sei rückläufig, nicht aber der Umsatz, heißt es aus dem Unternehmen. In einer Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes wurden die veränderten Essgewohnheiten bei einem Teil der Restaurantgäste bestätigt.