Im Streit über die Schuldenbremse verteidigt Baden-Württembergs Regierungschef Günther Oettinger den Kompromiss als “alternativlos“.
Hamburg. Abendblatt: Herr Oettinger, Teile der SPD dringen auf eine Lockerung der geplanten Schuldenbremse. Sind die Regelungen zu streng?
Günther Oettinger: Die Argumente, die von Bundestagsabgeordneten und dem Kollegen Platzeck vorgebracht werden, haben wir in der Föderalismuskommission bereits berücksichtigt: Das Neuverschuldungsverbot für die Länder greift erst im Jahr 2020, und es gibt Ausnahmen in wirtschaftlichen Notlagen und bei Naturkatastrophen.
Abendblatt: Sie lehnen jede Korrektur ab?
Oettinger: Das Ergebnis der Föderalismuskommission ist ein ausgewogener Kompromiss. Wenn wir das Paket in letzter Minute aufschnüren, gefährden wir die gesamte Finanzreform. Der von Peter Struck und mir erarbeitete Vorschlag ist alternativlos.
Abendblatt: Auf die FDP jedenfalls können Sie im Bundestag nicht setzen. Parteichef Westerwelle sagt, er helfe einem toten Vogel nicht über die Hürde.
Oettinger: Der Vogel fliegt mit beiden Flügeln! Ich erwarte von der FDP, dass sie der Schuldenbremse im Bundestag und im Bundesrat zustimmt. Ich erwarte aber auch, dass die Große Koalition die erforderliche Zweidrittelmehrheit alleine zustande bringt.
Abendblatt: 64 Hochschulprofessoren haben in einem Brief an alle Bundestagsabgeordneten appelliert, die Schuldenbremse zu stoppen. Sie verhindere notwendige Investitionen, etwa in Bildung.
Oettinger: Bildung ist außerordentlich wichtig, deshalb müssen Bildungsausgaben auch Vorrang haben. Sie dürfen jedoch nicht auf Schulden aufgebaut sein. Der Vorstoß der Professoren kommt spät und ist falsch.
Abendblatt: Das Bundeskabinett hat soeben den zweiten Nachtragshaushalt verabschiedet - mit 47,6 Milliarden Neuverschuldung. Wie sollen die Staatshaushalte in ein paar Jahren ohne Kredite auskommen?
Oettinger: Das ist eine ehrgeizige Vorgabe. Ich befürchte, dass die Neuverschuldung in diesem Jahr ganz erheblich steigt, und 2010 sieht es nicht viel besser aus. Wir sollten noch vor der Bundestagswahl prüfen, wo wir Ausgaben kürzen können. Großflächige Steuersenkungen sind wenig realistisch.
Abendblatt: Dann bereitet die CDU-Zentrale einen Wahlbetrug vor.
Oettinger: Nein. Die Union wird im Wahlkampf keine schnellen Steuersenkungen versprechen. Erst muss die Krise bewältigt werden, dann brauchen wir Wachstum der Wirtschaft. Und wenn die Steuereinnahmen wieder steigen, sollten wir sie zur Schuldentilgung, zur Finanzierung notwendiger Aufgaben und für gezielte Steuersenkungen einsetzen.
Abendblatt: Wann sinkt die Einkommenssteuer?
Oettinger: 2010 und 2011 sind sicher keine Steuersenkungen drin. In der zweiten Hälfte der Wahlperiode kann es anders aussehen.
Abendblatt: Die Union dümpelt in den Umfragen bei 35 Prozent. Müssen Sie Ihr Wahlziel 40 plus x korrigieren?
Oettinger: Ich halte ein Ergebnis, das deutlich über dem der letzten Bundestagswahl liegt, für denkbar.
Abendblatt: Also 35 plus x.
Oettinger: Wir können in die Nähe der 40 Prozent kommen.
Abendblatt: Und bei der Europawahl?
Oettinger: Die letzte Europawahl war auch Protestwahl gegen Rot-Grün, daher werden wir unser Ergebnis nicht halten können. 40 Prozent sind aber zu schaffen.
Abendblatt: Wie wichtig ist es, dass der nächste deutsche EU-Kommissar ein CDU-Politiker ist?
Oettinger: Ich erwarte von der Kanzlerin, dass sie ein starkes Aufgabenfeld für einen deutschen Kommissar aushandelt - ein Gebiet, das für Deutschland wichtig ist und zur Kernkompetenz der Europäischen Union zählt. Dann kann die Entscheidung über die Person bis nach der Bundestagswahl warten. Aber klar ist: Die CDU muss als stärkste Partei in der Bundespolitik nach 15 Jahren wieder einen Kommissar stellen.
Abendblatt: Wirtschaftspolitiker der Union haben den Finanzexperten und früheren Fraktionschef Friedrich Merz ins Spiel gebracht. Könnte er das?
Oettinger: Friedrich Merz ist ein ganz starker Kopf und kommt für viele Aufgaben infrage. Aber ihn zum jetzigen Zeitpunkt als EU-Kommissar zu handeln, schadet ihm und dem Amt. Daran will ich mich nicht beteiligen.