Der Berliner Bischof und EKD-Ratsvorsitzende Wolfang Huber fordert ein klares Bekenntnis zum Schuldenabbau. Die Schuldenbremse geht ihm nicht weit genug. Er reagierte damit auf den Beschluss des Bundestages, eine Bremse bei der Neuverschuldung einzuführen.

Berlin. Abendblatt:

Herr Bischof, wir feiern an diesem Wochenende Pfingsten. Das Fest wird auch der Geburtstag der Kirche genannt. Wie geht es der Kirche an ihrem Ehrentag?

Wolfgang Huber:

Der Kirche geht es sehr gut. Sie hat natürlich auch mit Problemen zu kämpfen, aber der Grundton ist ein Ton der Freude. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir zum Pfingstfest gut besuchte Gottesdienste haben.

Abendblatt:

Wie ist Ihnen zumute angesichts des Ausmaßes der Wirtschaftskrise?

Huber:

Ich bin tief beunruhigt, vor allem, weil ich an die Folgen der Wirtschaftskrise für die Menschen denke. Ich frage nicht nur, welche Bank von systemischer Bedeutung ist und daher gerettet werden muss. Ich denke an die Menschen, die ihre Arbeitsplätze verloren haben oder um ihre Arbeitsplätze fürchten. Ich glaube, wir müssen alle stärker auf die persönlichen Situationen der von dieser Krise betroffenen Menschen schauen.

Abendblatt:

Sind die Verantwortlichen der Krise ausreichend benannt worden?

Huber:

Man sollte die Schuld nicht nur bei den Banken sehen, sondern muss sich auch die Wechselwirkung zwischen staatlicher Politik und der Reaktion der Bankinstitute vor Augen führen. Beide Seiten haben einen ganz eigenständigen Anteil an dieser Krise.

Abendblatt:

Hat der Staat als Kontrollinstanz versagt?

Huber:

Der Staat hat nicht nur als Kontrollinstanz versagt, sondern auch als Gestaltungsinstanz. In den USA, in Europa und in Deutschland ist die Entwicklung riskanter Finanzpapiere gleichsam sehenden Auges akzeptiert worden. Ausdrücklich wurde seitens der Politik gefordert, man müsse den Finanzmarkt so liberalisieren, dass solche Produkte platziert werden können. Genau das, was wir heute alle für einen Skandal halten, ist vor wenigen Jahren eindeutig legitimiert worden.

Abendblatt:

Was muss der Staat jetzt tun?

Huber:

Der Staat als Gestaltungsinstanz muss gesetzlich regeln, was am Finanzmarkt erlaubt ist. Das hat er bisher in teilweise unzureichender Weise getan. Der Staat ist auch Akteur dieser Krise, der beispielsweise in den Landesbanken operativ mithaftet. Man muss ehrlich zugeben: Er hat nicht sich nicht besser verhalten als die Banken.

Abendblatt:

Ist die allgemeine Gier heute größer als früher?

Huber:

Die Gier ist ausgeprägter als vor 20 Jahren oder 30 Jahren. Je mehr Gestaltungsmöglichkeiten ein Mensch hat, desto mehr giert er danach, noch mehr Geld zu bewegen. Der Geist unserer Zeit ist ein Geist des Habenwollens. Den merkt man quer durch alle Schichten.

Abendblatt:

Ist denn nirgends ein Umdenken festzustellen?

Huber:

Doch, es gibt positive Signale. Die Menschen erwarten, dass wir aus dieser Krise Konsequenzen ziehen und nicht alles weiter so machen wollen wie vorher. Die Erwartung ist, dass wir Regeln finden, die das Ausleben menschlicher Gier und das Ausleben der Interessen an kurzfristiger Profitsteigerung begrenzen. Deswegen muss nicht jede Art des Eigennutzes verurteilt werden, denn Eigennutz ist auch ein legitimes Motiv für wirtschaftliches Handeln. Aber Eigennutz und Gemeinwohl gehören in ein ausgeglichenes Verhältnis.

Abendblatt:

Ist eine Bank, die 25 Prozent Rendite anstrebt, gierig?

Huber:

Eine Rendite von 25 Prozent auf das Eigenkapital setzt einen sehr hohen Anteil von riskantem Investmentbanking voraus. Ich frage mich: Was ist das für ein Signal an die Öffentlichkeit, wenn Menschen in den Irrglauben geführt werden, dass dauerhaft so eine Rendite zu erzielen ist?

Abendblatt

: Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, verteidigt nach wie vor sein 25-Prozent-Renditeziel ...

Huber:

Es hat mich erstaunt, dass Herr Ackermann das Ziel einer 25-Prozent-Rendite unverändert nennt. Ich habe mich auch gewundert, dass es bei der Hauptversammlung der Deutschen Bank Applaus dafür gab. Es gibt im wirtschaftlichen Bereich noch immer Menschen, die deutlich signalisieren, dass sie so weitermachen wollen wir vor der Krise. Analog gibt es solche Signale auch bei den Managergehältern. Ich habe meine Zweifel, dass Menschen in wirtschaftlicher Verantwortung genau genug abschätzen, welche Signale sie mit solchen öffentlichen Äußerungen setzen.

Abendblatt:

Welche Signale sollten die Akteure stattdessen setzen?

Huber:

Wir müssen eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen, in der eindeutig wird: Die Verantwortlichen wollen aus Fehlern lernen. Ich erwarte ein Signal, dass die Finanzmärkte verantwortlicher mit den Risiken umgehen und mehr Transparenz bei den Managergehältern verwirklicht wird. Und ich erwarte eine Klärung der Frage, welche Höhe der Managerbezüge vertretbar ist gegenüber der Mitarbeiterschaft.

Abendblatt:

Der Staat rettet inzwischen Banken. Ergreift er auch Partei für die Schwachen?

Huber:

Ich würde mir wünschen, dass der Staat anders über Menschen in Arbeitslosigkeit redet. Das sind nämlich nicht nur Hartz-IV-Empfänger, sondern Menschen, die ihr Leben in die Hände nehmen und sich aktiv in die Gesellschaft einbringen können. Um ihre Befähigung, aktiv unsere Gesellschaft mitzugestalten, müsste man sich viel mehr bemühen, als sie in eine Passivität hineinzustoßen.

Abendblatt:

Ist das Krisenmanagement der Bundesregierung ausreichend?

Huber:

Ich habe sehr hohen Respekt vor dem Verantwortungsbewusstsein und der Einsatzbereitschaft der Politiker. Sie sollten aber ihre Verantwortung nicht überlagern lassen von wahlkampftaktischen Interessen.

Abendblatt:

Die Bundesregierung nimmt in diesem Jahr mehr neue Schulden auf als jemals in der Geschichte der Bundesrepublik zuvor. Ist diese Überschuldung noch zu rechtfertigen?

Huber:

Keiner von uns kann sich vorstellen, wie unser Gemeinwesen bei inzwischen zwei Billionen Euro kollektiver Schulden klarkommen soll! Wir brauchen dringend Konzepte, wie die Schulden begrenzt und verringert werden können. An dieser Frage zeigt sich, dass sich staatliches Handeln verändern muss. Man darf nicht nur von Wahltermin zu Wahltermin denken.

Abendblatt:

Reicht eine Schuldenbremse als Signal nachhaltiger Verantwortung?

Huber:

Eine Schuldenbremse allein reicht nicht. Denn sie bezieht sich allein auf das Maß der Neuverschuldung.

Abendblatt:

Was sollte man also tun?

Huber:

Die politisch Verantwortlichen müssen ganz klar sagen, welche Auswirkungen diese Schulden auf unsere Enkel haben. Es darf doch nicht dahin kommen, dass öffentliche Haushalte in 25 Jahren vollständig durch Schuldendienst einerseits und Pensionsbelastungen andererseits aufgebraucht werden. Es wird Zeit, offen und ehrlich darüber zu reden und ein Umdenken einzuleiten.

Abendblatt:

Sie sind Bischof einer Landeskirche, in der Ost und West vereint sind. Wie stark spüren Sie noch die alten Grenzen?

Huber:

Die alte DDR-Grenze darf für uns keine trennende Wirkung mehr haben. Es ist schlimm genug, wenn man sie wieder erkennt, wenn man den Armutsatlas betrachtet.

Abendblatt:

Wenn Sie einen Wunsch für Ihre Nachfolge als EKD-Ratsvorsitzender äußern könnten ...

Huber:

... dann würde ich diesen Wunsch nicht äußern.

Abendblatt:

Aber mit der Bischöfin von Hannover, Margot Käßmann, wären Sie schon einverstanden.

Huber:

Wie sagt man im Englischen: nice try ...

Abendblatt:

Was machen Sie, wenn Sie im Herbst als Bischof aufhören?

Huber:

Ich werde mich des Lebens freuen und mich durchaus öffentlich hören lassen.