Berlin hat gewählt. Die Piratenpartei ist der große Gewinner des Abends, die FDP der große Verlierer. Klaus Wowereit kann sich den Koalitionspartner aussuchen.
Berlin. Er strahlt, lässt sich bejubeln und beklatscht sich selbst: Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und die Berliner SPD gingen am Sonntagabend zum dritten Mal in Folge als Sieger aus der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus hervor. Die SPD kann in Berlin weiter die Marschrichtung angeben, hat aber durch leichte Verluste einen Dämpfer bekommen.
Zudem ist es das Ende für Rot-Rot: Die Linke musste nach fast zehn Jahren als Juniorpartner zum zweiten Mal Einbußen hinnehmen. Nach Rot-Rot folgt an der Spree jetzt wahrscheinlich Rot-Grün. Allerdings ließ Wowereit im Laufe des Abends mit Blick auf die schwindende Mehrheit für SPD und Grüne auch Bedenken über ein solches Bündnis durchblicken.
Mit Spannung wird auch der Auftritt der Piraten erwartet, die erstmals in ein Landesparlament einziehen und von der sich vor allem jüngere Wähler frischen Wind erwarten. Während die CDU wieder da ist, stürzte die FDP ins Bodenlose.
Für die Grünen ist es ein absolut zwiespältiges Ergebnis. Ihre Spitzenkandidatin Renate Künast war angetreten, um Regierende Bürgermeisterin in Berlin zu werden und Wowereit abzulösen. „Dieses Wahlziel haben wir krachend verfehlt“, gestand der grüne Alt-Linke Hans-Christian Ströbele ein. Andererseits erzielten die Grünen mit knapp 18 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis in der Stadt – ein Plus von rund 5 Punkten.
„Dieses Rekordergebnis für die Grünen in Berlin“, wollte sich Künast denn auch nicht kaputtreden lassen. Nur knapp gestand sie ein: „Wir wollten noch mehr.“ Doch trotz ihrer persönlichen Niederlage will Künast noch ein Wörtchen mitreden. Sie werde mitsondieren, kündigte die Fraktionschefin im Bundestag an.
Zum Abschluss des Superwahljahrs 2011 hat der Wahlsieg für die Berliner SPD einen bitteren Beigeschmack. In den Umfragen wochenlang vor der Wahl mit Werten von 30 bis 32 Prozent gehandelt, ging es am Wahltag mit 28,5 Prozent nach Auszählung von gut 98 Prozent der Stimmen nicht weiter bergauf, sondern um mehr als zwei Punkte runter. Wowereit hat sein Wahlziel 30 plus X klar verfehlt.
Er kann nun dennoch zwischen Grünen und CDU den neuen Koalitionspartner auswählen. Wowereit kündigte für die kommende Woche Sondierungsgespräche mit beiden Parteien an. Dass er ein Bündnis mit der CDU für sehr schwierig hält, betonte er auch am Wahlabend. Mit den Grünen könnte es aber am Ende nur eine sehr knappe Mehrheit von einer Stimme über der absoluten Mehrheit geben.
Die Grünen gelten als streitbarer und weniger pflegeleicht als die Linke. Am Ende müsse aber auch berücksichtigt werden, wie komfortabel eine Mehrheit sei, sagte Wowereit im ZDF. „Man muss fünf Jahre regieren können, da darf es keine Wackelei geben.“
So könnten die Chancen der CDU doch noch steigen, denn ein schwarz-rotes Bündnis hätte elf Mandate mehr als nötig. CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel präsentierte sich strahlend und selbstbewusst. Mit einem Ergebnis von gut 23 Prozent blieb dem 47-jährigen Landes- und Fraktionschef die Blamage erspart, erstmals in der Nachkriegsgeschichte auf Platz 3 abzurutschen.
Die Grünen mahnte Wowereit zum wiederholten Male, ihre Regierungsfähigkeit werde sich an ihrer Zustimmung zu den wichtigen Infrastrukturprojekten der Stadt wie der Hauptstadtflughafen und der Verlängerung der umstrittenen Stadtautobahn A 100 zeigen. Die Grünen lehnen diesen 400 Millionen Euro teuren Bau strikt ab.
Für die FDP erfüllte sich ihr Alptraum: Sie flog mit weniger als 2 Prozent der Stimmen unerwartet klar aus dem Berliner Landesparlament. Spitzenkandidat Christoph Meyer (36) gestand ein: „Es ist uns nicht gelungen, uns vom Bundestrend positiv abzusetzen.“ Konsequenzen wolle der Landesverband erst ziehen, wenn man in Ruhe die Fehler analysiert habe, sagte Meyer.
Mit verantwortlich für den rabenschwarzen Tag der Liberalen sind die eigentlichen Gewinner der Wahl – die Newcomer Piratenpartei. Aus dem Stand erreichten sie rund 9 Prozent. Ihr Spitzenkandidat Andreas Baum erklärte selbstbewusst: „Wir sind sehr viel visionärer und progressiver als andere Parteien.“
Lesen Sie den Wahlabend hier im Live-Ticker nach:
20.18 Uhr: Die Piratenpartei hat offenbar von allen Parteien Wähler gewonnen. Rund 16.000 Stimmen der Grünen gingen nach einer Analyse im rbb-Fernsehen demnach zur Piratenpartei. 13.000 kamen von der SPD, 12.000 von der Linken und 6000 von der CDU. Auch 21.000 bisherige Nichtwähler gingen zur Wahlurne, um für die neue Partei zu votieren.
19.46 Uhr: Andrea Nahles, SPD-Generalsekretärin, sagt, die Regierung löse sich derzeit auf. Die schwarz-gelbe Koalition im Bund sei am Ende.
19.42 Uhr: Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Christian Gaebler, sieht den umstrittenen Weiterbau der Autobahn A 100 nicht als alleinentscheidend für eine mögliche Koalition mit den Grünen. „Ich glaube nicht, dass man die Politik für eine Stadt an einem Projekt festmachen kann." Gespräche seien mit Grünen und CDU nötig.
19.40 Uhr: Grünen-Chefin Claudia Roth sieht die schwarz-gelbe Koalition im Bund nach dem Wahldebakel der FDP vor dem Aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel müsse sich entscheiden, wie lange sie mit den „Freien Radikalen“ noch regieren wolle. Die Grünen seien vorbereitet für Neuwahlen im Bund, so Roth.
19.20 Uhr: SPD-Chef Sigmar Gabriel: "Dreimal hintereinander bestätigt zu werden, das muss Klaus Wowereit erstmal jemand nachmachen.Über den Kanzlerkandidaten entscheiden wir aber jetzt noch nicht." Die Wähler seien klüger gewesen als die Wahlstrategen der FDP. Sie hätten mit ihrem Anti-Europa-Wahlkampf mit den Ängsten der Bürger gespielt, seien aber durchschaut worden: „Das schönste Ergebnis heute Abend ist, dass die Wähler gezeigt haben, dass sie politische Wendemanöver wie die der FDP gegen Europa nicht mitmachen." Ein Wahlkampf gegen Europa lasse sich nicht gewinnen. Überlegungen, wonach die SPD im Bund für eine Große Koalition zur Verfügung stehen könnte, falls das Bündnis aus FDP und Union zerbricht, weist Gabriel zurück. „Wir sind ganz sicher nicht der Nachfolger der FDP bei der Bundeskanzlerin."
19.16 Uhr: „Wir sind auch gut als Oppositionspartei“, sagt der Chef der Linke-Bundestagsfraktion, Gregor Gysi, angesichts des miesen Ergebnisses seiner Partei.
19.07 Uhr: Andreas Baum, Spitzenkandidat der Piraten, zur Frage, ob seine Partei denn für den Politikalltag gerüstet sei: "Wir haben ein Wahlprogramm, es ist 50 Seiten lang. Da wird sich einiges drin finden lassen, mit dem man hier in Berlin auch Politik machen kann."
18.56 Uhr: Wahlsieger Klaus Wowereit (SPD) sagt im ZDF-Interview, die Schnittmenge mit den Grünen sei am größten. Die Grünen müssten sich nun in der Stadtpolitik zu Entwicklung und Fortschritt bekennen. Er wolle aber auch mit der CDU reden. Zur Frage, ob er Kanzlerkandidat werden wolle, sagt er: "Das werden wir zu gegebener Zeit entscheiden."
18.54 Uhr: FDP-Generalsekretär Christian Lindner verordnet seiner Partei nach der bitteren Niederlage eine „Phase der Nachdenklichkeit“: „Ich empfehle, das Ergebnis in Demut aufzunehmen." Der Euro-skeptische Kurs, den die FDP in den vergangenen Tagen verstärkt eingeschlagen hat, sei aber richtig.
18.47 Uhr: Renate Künast, Grünen-Spitzenkandidatin: "Wir haben den größten Zuwachs aller Parteien im Abgeordnetenhaus. Wir bringen die Stimmen mit, die wollen, dass Berlin von Rot-Grün regiert wird. Wir bieten die größte Schnittmenge mit der SPD bei Mieten und Bildung. Wir werden aber nicht der billige Ersatz der Linken werden."
18.43 Uhr: FDP-Generalsekretär Christian Lindner: "Das Ergebnis des heutigen Abends ist ein Tiefpunkt und Weckruf zugleich. Wir wussten seit Mai, dass die Wahlen in diesem Jahr schwere Gänge werden. Das hat sich jetzt in dramatischer Weise bestätigt."
18.40 Uhr: Die Linke-Bundesvorsitzende Gesine Lötzsch ist enttäuscht über den Machtverlust ihrer Partei. Die Berliner Linke habe einen engagierten Wahlkampf geführt und sei dabei von vielen aus der Bundespartei unterstützt worden, sagte Lötzsch im ZDF. Die Gründe für die Verluste müssten nun analysiert werden: „Da muss man kritisch hinschauen."
18.32 Uhr: Der regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) lässt sich feiern. Er ist zum dritten Mal wiedergewählt worden. Sein Einzug auf die SPD-Bühne in Berlin gleicht einem Triumphzug. "Unsere Wahlparty ist die schönste", ruft er. "Der Wahlkampf ist vorbei. Es war ein hartes Stück Arbeit. Aber wir hatten Rückenwind, und da kämpft es sich leichter."
18.29 Uhr: FDP-Spitzenkandidat Christoph Meyer scheint fassungslos. Personelle Konsequenzen wolle man aber an diesem Abend noch nicht ziehen, sagt er in der ARD: "Die FDP hat eine bittere Niederlage einstecken müssen. Auch ich persönlich habe eine bittere Niederlage einstecken müssen. Der Markenkern der FDP ist beschädigt. Es ist uns zu keinem Zeitpunkt gelungen, uns von dem negativen Bundestrend abzusetzen. Wir werden die Niederlage jetzt analysieren und dabei sehen, welche Fehler wir gemacht haben. Dann werden wir Konsequenzen ziehen."
18.25 Uhr: Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast zu den Anhängern ihrer Partei auf der Wahlparty in Berlin: "Ihr habt dieses eine geschafft: Es muss Schluss sein mit Rot-Rot. Wir haben noch mehr gewollt und nicht alle Ziele erreicht. Wir aber bleiben dran.""
18.18 Uhr: CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel bei der CDU-Wahlparty: "Heute ist ein erfolgreicher Tag für die Berliner CDU. Wir haben unser wichtigstes Wahlziel erreicht: dieser rot-rote Senat hat keine Mehrheit mehr in unserer Stadt. Rot-Rot ist abgewählt."
18.17 Uhr: Die ARD analysiert die Wähler der Piratenpartei. Das Ergebnis: Vor allem Erstwähler haben ihr Kreuz bei den Piraten gemacht.
18.15 Uhr: "Wir werden der SPD nicht nachlaufen", sagt Cem Özdemir, Chef der Grünen im ZDF.
18.14 Uhr: Monika Grütters, CDU-Landesvize: "Die CDU hat sich mit dem Wahlergebnis als Koalitionspartner empfohlen."
18.12 Uhr: "Wir freuen uns und werden jetzt sehen, was im Parlament rauskommen kann. Die Wähler wünschen sich mehr Ehrlichkeit", sagt Andreas Baum, Spitzenkandidat der Piratenpartei.
18.10 Uhr: Andrea Nahles, SPD-Generalsekretärin: "Das ist ein schöner Erfolg für die SPD. Der Regierungsauftrag liegt bei uns." Wen Klaus Wowereit als Koalitionspartner wähle, sei nun ihm überlassen. Die Bundes-SPD werde keine Ratschläge zur Koalition geben. Zur Frage, ob Wowereit ein möglicher Kanzlerkandidat für die SPD sei, wiederholt Nahles, jeder sozialdemokratische Ministerpräsident sei ein Kandidat – „nicht mehr und nicht weniger“.
18.09 Uhr: Enttäuschung bei den Grünen. "Unser Ziel, stärkste Partei und Fraktion zu werden, haben wir nicht erreicht, sondern krachend verfehlt. Woran das gelegen hat, darüber werden wir diskutieren", sagt Hans-Christian Ströbele (Grüne).
18.08 Uhr: Monika Grütters, CDU-Landesvize, freut sich über das Ergebnis für ihre Partei: "Das oberste Ziel ist erreicht: Rot-rot ist abgewählt." Die FDP habe wegen ihres Anti-Euro-Populismus verloren.
18.07 Uhr: Ex-Bürgermeister Walter Momper (SPD) sagt in der ARD: "Offenbar haben wir Stimmen an die Piraten abgegeben." Er sei aber sehr froh über das Ergebnis, da die SPD zum dritten Mal zur stärksten Partei gewählt wurde.
18.06 Uhr: Die Wahlbeteiligung lag mit gut 59 Prozent leicht über dem Wert von 2006 (58,0).
18.05 Uhr: Jubel bei der Piratenpartei. Sie hat zum ersten Mal den Einzug in einen Landtag geschafft.
18.01 Uhr: Erste Prognose des ZDF: Die SPD unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit gewinnt mit 28,5 Prozent. Zweitstärkste Kraft bleibt die CDU (23 Prozent) deutlich vor den Grünen (18,5 Prozent). Die FDP verpasst mit nur zwei Prozent klar den Wiedereinzug ins Berliner Landesparlament. Stattdessen zieht die Piratenpartei mit neun Prozent erstmals in ein Landesparlament ein. Die Linkspartei büßt Stimmen und damit auch die Regierungsbeteiligung ein, sie kommt auf 11,5 Prozent.
18.00 Uhr: Die Wahllokale sind geschlossen.