Der Gesetzentwurf wurde im Bundestrag mit 326 Ja-Stimmen verabschiedet. Dagegen stimmten 260 Abgeordnete, es gab acht Enthaltungen.
Hamburg/Berlin. Gentests an Embryonen sind in Deutschland künftig möglich. Der Bundestag folgte am Donnerstag in Berlin mit einer deutlichen Mehrheit von 326 Stimmen dem Gesetzesantrag der Befürworter der Präimplantationsdiagnostik (PID) um die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Ulrike Flach (FDP). Danach bleibt die PID an durch künstliche Befruchtung erzeugten Embryonen zwar grundsätzlich verboten, kann aber unter Auflagen angewendet werden. Bei Kirchen und Behindertenverbänden stieß die Entscheidung auf Kritik. Die Bundesärztekammer äußerte sich zustimmend.
Für ein komplettes PID-Verbot stimmten 228 Abgeordnete. Ein Kompromissantrag, der die PID nur bei einer hohen Wahrscheinlichkeit von Tot- und Fehlgeburten zugelassen hätte, erhielt nur 58 Stimmen. Wie bei ethischen Themen üblich waren die Abgeordneten nicht an den Fraktionszwang gebunden.
Der Abstimmung war eine fast vierstündige Debatte vorangegangen. Es gehe um die Frage, ob jede Form von Leben zugelassen werde oder „mit Blick in die Petri-Schale unterschieden wird“, sagte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne), die auch Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland ist und ein Verbot unterstützt hatte.
Die PID-Befürworterin Flach rückte die Nöte von erblich belasteten Paaren in den Mittelpunkt. Männern und Frauen, die mit einem schwer kranken Kind, einer Tot- oder Fehlgeburt rechnen müssten, werde mit der PID die Entscheidung für ein Kind erleichtert.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) sagte, er lehne die PID ab, weil sie „eine Qualitätsüberprüfung des Lebens“ bedeute. Auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) warnte vor einer Zulassung der PID, die „brutale Konsequenzen“ haben könne. Mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle beginne der Prozess des Lebens.
Der SPD-Abgeordnete René Röspel warb für seinen Entwurf, den er als Kompromiss zwischen beiden Positionen sah. „Wir akzeptieren die Tatsache, dass in einem Embryo die Entscheidung bereits getroffen ist, dass er nicht leben kann“, sagte Röspel. Wenn das Leben des Embryos aufgrund einer vorhersehbaren schweren Krankheit nicht mehr geschützt werden könne, sei eine PID zulässig, um der Frau eine Fehl- oder Totgeburt nicht zumuten zu müssen.
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) warb hingegen dafür, den Paaren, die sich wegen schwerer erblicher Krankheiten für eine künstliche Befruchtung entscheiden, auch die Entscheidung über eine PID zu überlassen. „Das Totalverbot geht von einem bevormundeten Menschen aus, wir gehen von einem mündigen Menschen aus“, sagte von der Leyen, die als einziges Kabinettsmitglied das Wort ergriff.
Kritisch reagierten die beiden großen Kirchen auf den Bundestagsbeschluss. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, sagte in Düsseldorf, er halte die Freigabe der PID für „zu weit gehend“.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, bedauerte die Entscheidung „zutiefst“. Die Fälle, in denen PID zulässig sein solle, müssten jetzt eng begrenzt werden. Das beschlossene Gesetz werfe neue Fragen auf. Caritas-Präsident Peter Neher sprach von einem falschen Signal der Politik. Die Entscheidung sei ein Rückschlag für das Anliegen, behinderte Menschen besser zu integrieren. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, nannte den vom Bundestag eingeschlagenen Weg „falsch und gefährlich“.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, sagte, die Ärzte würden dafür Verantwortung übernehmen, dass die PID unter kontrollierten Bedingungen und nur nach vorheriger fachkundiger Beratung angewendet werde. Sie dürfe auf keinen Fall ein Routineverfahren bei künstlicher Befruchtung werden.
Die Behindertenvereinigung Lebenshilfe fürchtet, dass Behinderung künftig als vermeidbar erscheine. Viele Menschen mit Behinderung müssten die Entscheidung des Parlaments als diskriminierend empfinden. (epd)
Lesen Sie dazu auch den großen Abendblatt-Bericht:
Allein das Gewissen zählt
Der Bundestag ist ein Ort der großen Reden, der Debatten und der Argumente. Er ist die Arena, in der Regierung und Opposition über die Lösung gesellschaftlicher Probleme beraten - meistens laut, manchmal im Streit. Heute Vormittag wird das ein bisschen anders sein. Es werden leise, nachdenkliche Töne vorherrschen, besonnene Argumente ausgetauscht. Es steht eine Entscheidung auf dem Programm, die an die elementarste und zugleich schwierigste Frage rührt, die sich die Menschen stellen können: Wo beginnt das Leben?
+++Nikolaus Schneider: "PID ist keine Selektion"+++
Nach langem Für und Wider berät der Bundestag heute abschließend über die Zulassung von Gentests an Embryonen. Präimplantationsdiagnostik heißt die Untersuchungsmethode um die es dabei geht, kurz PID. Das bedeutet, dass im Reagenzglas gezeugte Embryonen auf Gendefekte getestet werden. Liegt ein Erbgutproblem vor, das etwa eine schwerwiegende Behinderung zur Folge haben würde, werden sie verworfen. Nur gesunde Embryonen werden der Mutter eingesetzt.
+++Gastbeitrag von Ursula Von der Leyen: Das Ja zum Leben stärken+++
Die PID setzt also zu Beginn des Lebens an. Sie berührt Religion, Bioethik, Medizin und menschliches Mitgefühl für betroffene Eltern zugleich. Das macht die Sache so schwierig. Seit vor einem Jahr der Bundesgerichtshof die Embryonenauswahl teilweise für zulässig erklärte, besteht Bedarf für eine Gesetzesgrundlage, denn Ärzte brauchen Rechtssicherheit. Drei Vorschläge stehen zur Abstimmung, jeder Parlamentarier darf allein nach dem Gewissen und ohne Fraktionszwang entscheiden. 178 der 620 Parlamentarier sind noch unsicher. Welcher Antrag sich durchsetzt, ist daher bis zum Schluss unklar.
Das Verbot
Die Unterstützer: Unter Federführung der Abgeordneten Günter Krings (CDU), Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) hat eine Parlamentariergruppe einen Gesetzentwurf für ein komplettes Verbot von Gentests an Embryonen, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind, erarbeitet. Unterstützer sind Bundeskanzlerin Angela Merkel und Forschungsministerin Annette Schavan (beide CDU).
Das Modell: Per Gesetz soll die PID verboten werden. Ärzte, die dem zuwiderhandeln, müssen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe rechnen. Auch Hamburgs CDU-Chef und Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg ist gegen die Zulassung. "PID verstößt moralisch und verfassungsrechtlich gegen das Grundgesetz, speziell gegen Artikel 1, der das menschenwürdige Leben schon als Embryo schützt", sagt er. Zudem dürfe es nach Artikel 3 keine Diskriminierung von Behinderten geben. "Ich habe Angst davor, dass sich der Umgang der Deutschen mit behindertem Leben ändert, würde die PID zugelassen", sagt Weinberg. Menschen mit Behinderungen könnten gesellschaftlich als "unerwünschter", da "verhinderbar" bewertet werden. "Eine Folge der PID wäre, dass die Gesellschaft Druck auf die Eltern ausübt, ein möglichst gesundes und leistungsstarkes Kind zu bekommen." Wie viele Kritiker warnt Weinberg vor einem Dammbruch: "Ich befürchte, dass diese Grenzen immer weiter aufgeweicht werden könnten. In den USA kann man bereits das Geschlecht eines Kindes bei der künstlichen Befruchtung auswählen."
Die Chancen: 196 Abgeordnete unterstützen bislang das Verbot. Eine gute Ausgangslage für den Entwurf.
Test in sehr engen Grenzen
Die Unterstützer: Der Antrag für eine Zulassung der PID in sehr engen Grenzen bildet einen Kompromiss zwischen den beiden anderen Positionen und wurde von SPD-Ethik-Experte René Röspel und der Grünen-Politikerin Priska Hinz erarbeitet. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), Grünen-Fraktionschefin Renate Künast und der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Dirk Fischer unterstützen diesen Entwurf.
Das Modell: Die Gesetzesvorlage sieht ein prinzipielles Verbot der Präimplantationsdiagnostik vor. Das soll Ärzten zunächst Rechtssicherheit bringen. Allerdings sieht die Vorlage einige wenige Ausnahmen vor. So sollen Paare die Methode anwenden dürfen, wenn aufgrund der genetischen Anlagen - wie eine Chromosomenstörung bei einem oder beiden Elternteilen - die Schwangerschaften mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Fehlgeburt oder dem Tod des Kindes in seinem ersten Lebensjahr enden. Damit wollen die Unterstützer betroffenen Paaren einen Kinderwunsch nicht völlig verwehren. "Weitere Voraussetzung ist die Verpflichtung, eine Beratung anzubieten sowie das positive Votum einer Ethikkommission", heißt es in dem Antrag. "Für diese Fälle werden in das Gesetz Verfahrensregelungen aufgenommen wie die Beschränkung auf ein lizenziertes Zentrum, Einzelfallentscheidung einer Ethikkommission sowie Dokumentations- und Berichtspflichten."
Die Chancen: 36 Abgeordnete unterstützen diesen Entwurf. Da es heute wohl ein dreistufiges Abstimmungsverfahren geben wird, es ist wahrscheinlich, dass dieser Entwurf gleich zu Beginn rausfällt. Unklar ist aber, wie viele der 178 noch unsicheren Parlamentarier sich für diesen Weg entscheiden werden.
Begrenzte Zulassung
Die Unterstützer: Die Gruppe um Ulrike Flach (FDP), Peter Hintze (CDU), Carola Reimann (SPD) und Petra Sitte (Linke) spricht sich für ein grundsätzliches Verbot der Untersuchungsmethode mit einigen, fest definierten Ausnahmen aus. Auch Familienministerin Kristina Schröder (CDU) unterstützt diesen Entwurf. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) plädierte gestern im Abendblatt für eine solche begrenzte Zulassung der PID.
Das Modell: Wenn die Nachkommen "eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit" haben oder eine genetische Schädigung wie eine Abweichung in den Chromosomen dazu führen würde, dass die Schwangerschaft mit einer Fehl- oder Totgeburt endet, soll PID nicht rechtswidrig sein. Das gilt auch für Krankheiten, die erst im höheren Lebensalter auftreten, oder für genetische Dispositionen, die die Möglichkeit einer Erkrankung beinhalten wie etwa das Brustkrebs-Gen. Die PID darf diesem Entwurf zufolge auch nur an lizenzierten Zentren vorgenommen werden. Die Paare müssen sich zuvor beraten lassen, und eine Ethikkommission soll in jedem Einzelfall entscheiden. Die Hamburger Grünen-Abgeordnete Krista Sager wird ebenfalls für diesen Entwurf stimmen: "Es geht um Menschen, die sich in einer schweren Konfliktsituation befinden. Viele von ihnen haben schon mehrere Fehl- und Totgeburten hinter sich oder ein Kind durch eine schwere Erbkrankheit verloren. Manche haben bereits ein Kind mit einer Erbkrankheit."
Die Chancen: Mit 214 Abgeordneten hat dieser Entwurf die meisten Unterstützer und gilt als Favorit. Der Vorsprung zu den Verbotsbefürwortern ist allerdings gering. Die noch Unentschlossenen werden den Ausschlag geben.