Die Präimplantationsdiagnostik ist eine medizinische Hilfe für Paare, die vor einer Schwangerschaft Angst haben. Wir wollen ihnen Mut machen, sagt die Ministerin
Ich habe als junge Ärztin in der Geburtshilfe angefangen. Auf den Fluren der Ambulanz lernte ich alle Gefühlslagen kennen, die werdende Eltern durchschreiten. Ich habe Paare erlebt, die sonnten sich in glücklicher Erwartung, andere zitterten voller Angst vor dem Ausgang ihrer Schwangerschaft.
Diese Bilder stehen mir vor Augen, wenn ich an Donnerstag denke. Dann stimmt der Deutsche Bundestag über die Präimplantationsdiagnostik (PID) ab. Es geht um die Frage, ob man künstlich befruchtete Eizellen im Reagenzglas auf schwere Erbkrankheiten hin untersuchen darf. Etwa dann, wenn die Eltern Fehlgeburten erlebt oder bereits ein schwerstbehindertes Kind zur Welt gebracht haben.
Fällt das Ergebnis positiv aus, kann die Eizelle der Mutter eingepflanzt werden. Mit einer schweren Erbkrankheit belastete Eizellen werden hingegen nicht verpflanzt, so wie auch auf natürlichem Wege viele befruchtete Eizellen verloren gehen. Die PID vor einer Schwangerschaft erspart den Eltern, die um ihr hohes Risiko wissen, die Untersuchungen erst in der Schwangerschaft und gegebenenfalls die vor allem für die Frauen traumatische Erfahrung einer Fehlgeburt, Totgeburt oder späten Abtreibung.
Ich kenne die Argumente der Befürworter des Verbots, die in der PID einen Verstoß gegen den absoluten Schutz des Lebens sehen und einen "Dammbruch" fürchten. Ich habe Respekt für diese ethisch radikale Haltung, kann sie aber in der Konsequenz nicht teilen. Meine Erfahrungen als Ärztin haben mich am strengen Verbot zweifeln lassen. Man glaubt alles zu wissen, aber die Wucht des Schicksals rund um eine Geburt kann einem den Atem stocken lassen. Seitdem bin ich sehr vorsichtig geworden mit meinem Urteil, was in einer bestimmten Situation absolut richtig ist und was falsch.
Ich bin nach reiflicher Abwägung dafür, die PID in klaren, engen Grenzen zu erlauben.
Die PID ist eine medizinische Hilfe für erblich schwer vorbelastete Paare, die Angst vor einer weiteren natürlichen Schwangerschaft haben. Ihnen wollen wir Mut machen. Die PID stärkt das Ja zum Leben, weil sie dadurch auf ein Kind hoffen können, ohne befürchten zu müssen, dass die Erbkrankheit wieder auftritt und sie in eine Situation kommen, die sie vollständig überfordert.
Um sicherzustellen, dass die PID auch korrekt angewendet wird, entscheidet eine Ethikkommission nach ausführlicher Beratung des Paares über die Zulassung der Untersuchung. Zwei Jahrzehnte guter Erfahrungen im Ausland sprechen für diesen Weg. Der Bundesgerichtshof hat sich für eine begrenzte Zulassung der PID ausgesprochen, ebenso der Ethikrat und die deutsche Ärzteschaft. In den meisten Staaten der EU und vielen hoch entwickelten Ländern der Erde ist die PID teils seit Jahrzehnten erlaubt. Für den befürchteten ethischen Dammbruch finden sich in dieser gelebten Praxis keine Anhaltspunkte. Im nahen Belgien suchen auch viele Paare aus Deutschland Hilfe. Obwohl dort kaum rechtliche Grenzen für die PID gelten, lässt sich in der Praxis keine Ausweitung etwa auf weniger schwere Krankheiten belegen. Die Fortpflanzungsmedizin wird ihrer Verantwortung gerecht.
Als Gesetzgeber müssen wir Regeln aufstellen, an die sich die Menschen halten können. Ein Verbot der PID hieße, die Augen vor den neuen Möglichkeiten der Medizin zu verschließen, schwierige moralische Konflikte aber an die Eltern weiterzudelegieren. Wer in den Fällen, um die es bei der PID geht, keinerlei Abwägung im Einzelfall zulässt, der lässt die Betroffenen in der Konsequenz alleine. Ein rigides Verbot lädt die gesamte Verantwortung bis hin zur möglichen Entscheidung über eine - in solchen Fällen legale - Spätabtreibung auf die schmalen Schultern der Eltern.
Die Wissenschaft erlaubt uns, in einen Bereich des Lebens zu blicken, in dem wir zuvor völlig im Dunkeln tappten. Doch das verändert nur, was wir sehen. Es ändert nichts an den ethischen Maßstäben, nach denen wir unsere Entscheidungen treffen. Ich bin überzeugt, dass sowohl die deutsche Ärzteschaft als auch die Eltern mit den Möglichkeiten der PID verantwortungsvoll umgehen werden. Der Schutz der befruchteten Eizelle in der Petrischale ist ein hoher Wert, aber Einfühlungsvermögen und Solidarität mit Müttern und Vätern auch. Wir sind ihnen schuldig, dass wir sie in ihrer Not nicht alleinlassen und sie in der Wahrnehmung ihrer Verantwortung ernst nehmen. Deswegen werde ich am Donnerstag für die begrenzte Zulassung der PID stimmen.