Eine Biografie über die Kanzlergattin Hannelore Kohl räumt mit Legenden auf. Selbst die Urlaube am Wolfgangsee erscheinen in neuem Licht.
Hamburg. "Es fällt mir sehr schwer, Dich nach 41 Jahren zu verlassen. Aber ein langes Siechtum in Dunkelheit will ich mir und Dir ersparen." Im Abschiedsbrief von Hannelore Kohl (1933-2001) an ihren Mann Helmut, heute 81, findet sich all die Hoffnungslosigkeit, die Tragik und doch die Disziplin wieder, die eine "Frau an seiner Seite" begleitete. 20 Briefe hat Hannelore Kohl geschrieben, bevor sie freiwillig aus dem Leben schied. Aus Verzweiflung. Aber selbstbestimmt. "An seiner Seite" war sie da nicht mehr. Der Altkanzler weilte am Abend des 4. Juli 2001 in Berlin. Im schon Geschichte gewordenen Kohl-Bungalow in Ludwigshafen, Stadtteil Oggersheim, schluckte Hannelore Kohl eine Überdosis Schlaftabletten. Die Haushälterin fand sie am nächsten Morgen. Eine Lichtallergie hatte aus ihrem Leben einen Aufenthalt in der Düsternis gemacht.
Ihr Tod warf noch einmal ein Schlaglicht auf Deutschlands berühmteste Familie aus der Provinz, die es mit Geschick, Gespür und Durchsetzungskraft des Oberhauptes an die Spitze des Landes gebracht hatte. Noch zehn Jahre nach ihrem Tod und selbst nach den Enthüllungen des Kohl-Sohnes Walter über die brutale Abnabelung vom "Alten" gibt es Nachrichten aus dem Innenleben der Kohls.
Das Buch des Journalisten und Fernsehautors Heribert Schwan ("Die Frau an seiner Seite. Leben und Leiden der Hannelore Kohl", Heyne Verlag) druckt ihren letzten Brief an ihn komplett ab. Außerdem erscheint Hannelore Kohls Rolle in brisanten Fragen in neuem Licht. So sei sie fassungslos gewesen, weil er sich weigerte, in der Parteispendenaffäre die Namen der CDU-Gönner zu nennen. Dennoch habe sie ihn verteidigt und selbst am Telefon von Freunden und Bekannten Millionen erbettelt. Die CDU musste gut sechs Millionen Mark an Strafe zahlen.
"Die Parteispendenaffäre hat sie ins Grab gebracht", sagte Autor Schwan dem Abendblatt. Ihre Stiftung sei verwickelt worden, auch ihr Lebenswerk. Regelrecht wütend soll die als klug und herzensgut beschriebene Kanzlergattin gewesen sein, als er es 1998 nach 16 Jahren im Amt noch einmal wissen wollte. Kohl ließ sich wieder als Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl gegen Gerhard Schröder (SPD) aufstellen. Dabei, schreibt der "Spiegel" mit Bezug auf das Buch, hätten die Eheleute etwas anderes verabredet. Im Wahlkampf winkte sie wie eh an seiner Seite.
Die Parteispendenaffäre brach wie eine Naturkatastrophe über die Kohls herein. Trotz ihrer Fassungslosigkeit über die Hetze auf ihren Mann erzählte sie ausgerechnet einem Journalisten von ihrem Lebensleid. Der Journalist Heribert Schwan hatte Helmut Kohl bei den Memoiren geholfen. Schwan begleitete sie sogar auf ihren Spaziergängen durch die Nacht, als sie von der Lichtallergie geplagt jeden Sonnenstrahl fürchtete.
Und Schwan erzählte sie erstmals von ihrer erschütternden Lebensgeschichte. Darin spielt auch die mehrfache Vergewaltigung durch russische Soldaten eine Rolle, die die zwölfjährige Hannelore Kohl kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs erlitt. Die Soldaten hätten sie "wie einen Zementsack" aus dem Fenster geworfen.
Mit einem Stillleben der Familie Kohl räumt Schwan gnadenlos auf: das Familienidyll in der Sommerfrische am Wolfgangsee. Sie wäre gerne mal ans Meer gefahren. Er bestand auf Österreich, habe praktisch vom ersten Tag an gearbeitet, Gespräche geführt und dazwischen die berühmten Bildikonen der glücklichen Familie von bestellten Fotografen anfertigen lassen. Schwan sagte dem Abendblatt, er habe Hannelore Kohls Vertrauen erworben. "Nicht schmierig, nicht kriecherisch." Die Kanzlergattin habe sich ihm ganz menschlich gezeigt.
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