Bundeskanzlerin Angela Merkel steht vor den wichtigsten Wahlen des Jahres. Ausgerechnet jetzt gerät die Atom-Debatte außer Kontrolle.
Berlin. Für Angela Merkel hätte der Wahlkampf-Endspurt schlechter kaum laufen können. Die Umfragen in Baden-Württemberg ließen kaum noch Hoffnungen zu, dass Schwarz-Gelb im süddeutschen CDU-Stammland nach der Wahl am Sonntag weiterregieren wird. Doch dabei blieb es nicht: Die Zweifel an der Atom-Wende der Kanzlerin erreichten am Freitag ihren Höhepunkt. In die Schusslinie geriet vor allem Merkels Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) wegen dessen angeblicher Einordnung des Atom-Moratoriums der Bundesregierung als Wahlkampfmanöver.
Was man über die Wahl in Baden-Württemberg wissen sollte
Da half es nicht, dass Brüderle am Donnerstag entsprechende Vermutungen zurückgewiesen hatte. Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans sah sich gezwungen zu versichern, das von der Bundeskanzlerin persönlich verfügte dreimonatige Atom-Moratorium habe allein mit der veränderten Lage nach dem Atomunglück in Japan zu tun. "Das war von Anfang an und auch ausschließlich unsere Begründung für das, was wir dann beschlossen und öffentlich gemacht haben", sagte er. Auch eine Sprecherin Brüderles versicherte: Der Minister unterstütze die Beschlüsse der Bundesregierung.
Der Kanzlerin selbst blieb nichts anderes übrig, als gute Miene zum bitteren Spiel zu machen. Am Freitagabend stand sie mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) in Mannheim auf der Wahlkampfbühne, um den Christdemokraten noch einen letzten Motivationsschub zu verpassen.
Schon vor dem Fiasko um die Brüderle-Äußerungen hatten Koalitionspolitiker - wenn auch hinter vorgehaltener Hand - den Wahlsonntag als Schicksalstag für die Kanzlerin bezeichnet. Eine längst für möglich gehaltene Niederlage in der CDU-Bastion Baden-Württemberg gilt für viele in der Union als Katastrophe, die den Anfang vom Ende der Koalition bedeuten könnte.
Wenn die Wähler im Südwesten ihr Kreuz machen, geht es längst nicht mehr nur um Landespolitik: Die Atom-Frage hat die Kanzlerin in Bedrängnis gebracht. Das lag am Freitag nicht allein an Brüderle. So warnte Altkanzler und Parteifreund Helmut Kohl Merkel vor Aktionismus. In einem Gastbeitrag für die "Bild"-Zeitung schrieb der 80-Jährige, zwar mache das Reaktorunglück in Japan alle fassungslos. Dennoch dürfe das Unglück nicht den Blick für die Wirklichkeit verstellen. In Deutschland habe sich durch die Ereignisse in Japan "erst einmal und unmittelbar gar nichts verändert", argumentierte Kohl. "Die Kernenergienutzung in Deutschland ist durch das Unglück in Japan nicht gefährlicher geworden, als sie es vorher gewesen schrieb Kohl. "Wenn das Land, dessen Kernkraftwerke zu den sichersten der Welt gehören und dessen Ingenieurskunst in der ganzen Welt bewundert und geachtet wird, überhastet ausstiege, würde dies die Welt sogar gefährlicher machen."
Auch der Chef des Energiekonzerns RWE, Jürgen Großmann, machte am Freitag Druck auf die Kanzlerin. In einem Brief an die 39 weiteren Unterzeichner des "Energiepolitischen Appells", mit dem Wirtschaftspolitiker und Unternehmer im Herbst 2010 für die damals noch nicht durchgesetzte Laufzeitverlängerung warben, warnte Großmann, die Abschaltung der ältesten Meiler könne "massive Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland nach sich ziehen".
Und Druck bekommt die Kanzlerin auch von den Bürgern: Laut einer Umfrage des Instituts TNS Emnid für den "Focus" wird es in Baden-Württemberg zum Machtwechsel kommen. Grüne und SPD erreichen zusammen 48 Prozent und liegen damit fünf Punkte vor der Mappus-Koalition.
Da die Grünen mit Winfried Kretschmann an der Spitze mit 25 Prozent vor der SPD mit 23 Prozent liegen, wird die Wahl des ersten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland wahrscheinlicher. Für die CDU würden 38 Prozent stimmen, die FDP erreicht fünf Prozent. Die Linke käme mit vier Prozent nicht in den Landtag. Eine weitere Umfrage stützt diese Zahlen: Das Institut YouGov sieht die CDU nur bei 36 Prozent, die FDP bei sechs Prozent. Die Grünen kommen auf 26 Prozent, die SPD auf 22. In Rheinland-Pfalz dürfte es auf eine Fortsetzung der Regierung von SPD-Ministerpräsident Kurt Beck hinauslaufen.
Schwierig wird es für Merkel auch, weil ihr Koalitionspartner wackelt. In Sachsen-Anhalt hat die FDP den Einzug in den Landtag verpasst. Kommt es auch im Südwesten zu einer Niederlage, dürfte das für neue Personaldebatten sorgen.
"Die FDP ist in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit großen und starken Landesverbänden vertreten. Die Wahlen sind deshalb auch für die Bundespartei wichtig", sagte die Vorsitzende der FDP-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, Katja Suding, dem Abendblatt. Doch glaubt sie auch: "Die Wahl in Baden-Württemberg wird keine Schicksalswahl für die Bundesregierung sein. Schwarz-Gelb in Berlin ist nicht in Gefahr."