Nach dem Alarm fordern Politiker schärfere Gesetze. Was ist jetzt schon erlaubt?
Hamburg. Benötigt Deutschland ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung? Darf der Staat verdächtige Personen präventiv festnehmen? Sollte die Bundeswehr entführte Flugzeuge im äußersten Notfall abschießen dürfen? Nach den jüngsten Terrorwarnungen der Bundesregierung fordern viele Innenpolitiker schärfere Sicherheitsgesetze. Die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hält das nicht für nötig. Datenschützer warnen vor schnellen Reaktionen der Politik. Welche Maßnahmen erlaubt das deutsche Gesetz gegenwärtig? Das Abendblatt gibt einen Überblick.
Dürfen Wohnungen und Telefongespräche abgehört werden?
Ja, allerdings unter strengen Voraussetzungen. Das geheime Abhören von Gesprächen in privaten Wohnungen, beispielsweise durch Richtmikrofone, wurde 1998 im Gesetz zum sogenannten "Lauschangriff" geregelt. 2009 haben Polizei und Staatsanwaltschaften insgesamt aber nur neun Wohnungen von Bürgern akustisch überwacht. 2008 waren es sieben Fälle. Die Zahl der "Lauschangriffe" nahm seit 2004 deutlich ab, nachdem das Verfassungsgericht stärkeren Schutz der Privatsphäre gefordert hatte. Die Abhörgeräte müssen sofort abgeschaltet werden, wenn der Kernbereich des Privatlebens zur Sprache kommt - etwa Tagebuchaufzeichnungen oder Fotografien.
Dürfen Sicherheitsbehörden in private Computer eindringen?
Ja. Mit der Reform des BKA-Gesetzes 2009 erhielt das Bundeskriminalamt auch Befugnisse zur Gefahrenabwehr durch den internationalen Terrorismus. Darin sind auch Online-Durchsuchungen von privaten Computern erlaubt. Allerdings hat das BKA nach eigenen Angaben bisher keinen einzigen Computer nach Daten, Bildern oder Dokumenten durchforstet. Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND nutzt die Online-Durchsuchung dagegen intensiv zur Spionage. Die Werkzeuge kamen 2008 etwa 2500-mal zum Einsatz.
Dürfen Internet- und Telefon-Verbindungsdaten gespeichert werden?
Im März 2010 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig. Seitdem dürfen Telefon- und Internetdaten nicht mehr ohne Anlass für sechs Monate gespeichert werden. Für eine Neuregelung machten die Bundesrichter vor allem Vorgaben zur Datensicherheit zur Voraussetzung. Das Gesetz war 2008 in Kraft getreten und verpflichtete Telekommunikationsunternehmen, alle Verbindungsdaten von Telefon oder Internet sechs Monate lang zu speichern. Die bis dahin gesammelten Daten müssen vernichtet werden. Allerdings sammeln Unternehmen wie die Deutsche Telekom weiterhin zweckgebunden die Daten - beispielsweise für den Kundenservice oder Abrechnungen. Diese Angaben über Gespräche werden ebenfalls bis zu sechs Monate gespeichert. Auf diese Daten können die Sicherheitsbehörden bei konkretem Verdacht zugreifen.
Dürfen Personen kontrolliert werden, ohne dass ein Verdacht vorliegt?
Verdachtsunabhängig darf die Polizei nur kontrollieren, wenn sie zuvor ein bestimmtes Areal zum Kontrollgebiet erklärt hat - beispielsweise wenn Autonome im Hamburger Schanzenviertel demonstrieren wollen. Dafür muss die Polizei aber ganz eindeutige Hinweise darauf haben, dass eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit in diesem Gebiet besteht. Verdächtige kann die Polizei dagegen anhalten, ihre Personalien feststellen und gegebenenfalls Gepäckstücke kontrollieren. Der Verdacht muss aber konkret sein, zum Beispiel wenn jemand am Bahnhof herumläuft und Drähte aus dem Rucksack heraushängen.
Darf die Polizei Islamisten als "Gefährder" präventiv festnehmen?
Nein, die Polizei kann nicht präventiv Verdächtige festnehmen. Es gibt nur das Instrument der sogenannten Gefährderansprache. Dabei wird ein Verdächtiger aufgesucht und ihm mitgeteilt, dass er im Fokus der Ermittler ist.
Dürfen von Terroristen entführte Flugzeuge abgeschossen werden?
Nein. Im Jahr 2006 erklärte das Verfassungsgericht das Luftsicherheitsgesetz für nichtig. Es hatte den Abschuss entführter Passagiermaschinen im äußersten Notfall vorgesehen. Dies führe aber zu einer verfassungswidrigen Abwägung von Leben gegen Leben. Die unschuldigen Menschen an Bord eines Flugzeugs dürfen nicht weniger wert sein als die unschuldigen Menschen am Boden. Dies gilt für Passagiere wie für Piloten. Strafrechtler streiten darüber, ob Flugzeuge abgeschossen werden dürfen, wenn nur Terroristen an Bord sind. In Deutschland sind bisher keine Sicherheitsbehörden für die Luftfracht zuständig. Das Luftfahrt-Bundesamt verteilt lediglich befristete Lizenzen an die Frachtunternehmen.