Wirtschaftsminister stößt mit seinem Vorschlag, die Rentengarantie abzuschaffen, überall auf Kritik - auch bei FDP und CDU/CSU.
Berlin. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hat mit einem Vorstoß zur Abschaffung der erst 2009 eingeführten Rentengarantie für Aufruhr in der parlamentarischen Sommerpause gesorgt. "Die Forderung steht nicht im Koalitionsvertrag, sie steht damit auch nicht auf der Agenda der Bundesregierung", stellte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm gestern klar, nachdem Brüderle zuvor in der "Rheinischen Post" argumentiert hatte: "Es wird nicht dauerhaft funktionieren, die Rentenentwicklung von der Lohnentwicklung abzukoppeln." Brüderles Credo: Die Renten müssten erwirtschaftet werden, deshalb müsse man von der Rentengarantie wieder abkommen.
Die von der Großen Koalition auf Betreiben des damaligen SPD-Arbeitsministers Olaf Scholz beschlossene Klausel sorgt dafür, dass die Renten auch in Zeiten sinkender Löhne stabil bleiben. Ohne diese Garantie hätten die Renten in Westdeutschland 2010 um ein Prozent gesenkt werden müssen. Wilhelm erklärte, Brüderle habe seine persönliche Überzeugung geäußert, und verwies darauf, dass unterbliebene Rentenminderungen mit künftigen Rentenerhöhungen verrechnet werden sollen. Damit komme es auch nicht zu einem besonderen Opfer zulasten der jüngeren Generationen.
Auch das zuständige Bundesarbeitsministerium trat der Forderung von Brüderle nach Abschaffung der Schutzklausel gegen Rentenkürzungen entgegen. "Die Bundesregierung plant nicht, die im Jahr 2009 eingeführte und in diesem Jahr zur Anwendung gekommene Rentengarantie wieder abzuschaffen", ließ Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) erklären. Vielmehr sei die Regelung als Beitrag zur Generationsgerechtigkeit zu verstehen. Die Rentengarantie erhalte und stärke in schwierigen Zeiten das Vertrauen der Versicherten und Rentner in die gesetzliche Rentenversicherung. Besonders scharfe Kritik formulierte die Senioren-Union, der Seniorenverband der CDU. Deren stellvertretender Bundesvorsitzender Leonhard Kuckart warnte Brüderle in einer Erklärung vor einer "neoliberalen Kahlschlagpolitik" bei den Renten. "Ich erwarte von Herrn Brüderle mehr Brüderlichkeit gegenüber der älteren Generation, die dieses Land aufgebaut hat." Es sei "politisch verantwortungslos", "wenn sich eine Fünf-Prozent-Partei auf Kosten der Aufbaugeneration profilieren will."
Olaf Scholz sagte für den Bundesvorstand der SPD: "Die Rentnerinnen und Rentner brauchen die Gewissheit, dass ihre Rente zumindest nicht sinkt. Sie können an ihrem Einkommen nicht mehr viel ändern. Wer die Rentengarantie antastet, bricht ein überparteiliches Versprechen." Die Rentengarantie sei "vernünftig und finanzierbar".
Scharfe Kritik kam vom neuen Juso-Bundesvorsitzenden Sascha Vogt. Er sagte dem Hamburger Abendblatt: "Erst schröpft Schwarz-Gelb mit dem Sparpaket die Arbeitslosen, jetzt sollen auch noch die Rentnerinnen und Rentner dran glauben. Nach und nach zeigt die Bundesregierung ihr wahres Gesicht: Sie betreibt Umverteilung von unten nach oben in krasser Form. Wir glauben auch nicht daran, dass Herr Brüderle in der Regierung mit seinen Forderungen allein dasteht, auch wenn das Chaos schon wieder groß ist. Die Frage der Rentenhöhe ist eine Verteilungs- und eben keine Generationsfrage. Deshalb machen wir Jusos uns für den Erhalt der Rentengarantie stark."
Ulrike Macher, Präsidentin des Sozialverbands VdK, argumentierte: "Die Rente ist kein sozialpolitischer Gnadenakt des Staates, sondern ist der Lohn für die Lebensleistung von 20 Millionen Menschen, die jahrzehntelang Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlt haben."
Unterstützung für Brüderles Position kam von führenden Ökonomen. Der Konjunkturchef des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller, forderte: "Wenn es der gesellschaftliche Wille ist, dass die Einkommen der Rentner auch bei fallenden Löhnen nicht sinken sollen, dann muss das als sozialpolitische Maßnahme aus dem Steueraufkommen finanziert werden." Auch das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) ist auf Bürderle-Kurs. "Die Rentengarantie stellt das Prinzip der dynamischen Rente auf den Kopf", sagte Rentenexperte Jochen Pimpertz "Handelsblatt Online". "Einseitige Ausnahmen zugunsten der gesetzlichen Rentenzahlungen gefährden die Beitragssatzstabilität."