Der Weg für die Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen ist frei. Linke will die Wahl von Hannelore Kraft (SPD) nicht torpedieren.
Düsseldorf/Berlin. SPD und Grüne haben auf Sonderparteitagen den Koalitionsvertrag der kommenden Minderheitsregierung abgesegnet. Der Wahl von Hannelore Kraft (SPD) zur neuen Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen scheint also nichts mehr entgegenzustehen, denn die Linkspartei hat den elf Abgeordneten ihrer Landtagsfraktion empfohlen, sich übermorgen geschlossen zu enthalten. Die Bundesvorsitzende Gesine Lötzsch warnte Rot-Grün allerdings, diese werde "keine Ja-Sage-Maschine und kein Abnick-Verein" sein.
Damit hätte Kraft, der eine einzige Stimme zur absoluten Mehrheit fehlt, im zweiten Wahlgang die notwendige einfache Mehrheit. Eine böse Überraschung, wie sie einst Heide Simonis (SPD) in Schleswig-Holstein dank eines Abweichlers aus den eigenen Reihen erleben musste, hat die 49-Jährige aller Voraussicht nach nicht befürchten. Das Düsseldorfer Experiment kann also beginnen.
Aber der Preis ist hoch. Kraft und Grünen-Fraktionschefin Sylvia Löhrmann haben bereits angekündigt, dass die neue rot-grüne Landesregierung zusätzliche Kredite in Höhe von 2,5 Milliarden Euro aufnehmen wird. Damit wird die Neuverschuldung bei sage und schreibe neun Milliarden Euro liegen, was Karl Laumann, der Vorsitzende der CDU-Fraktion, mit dem Satz kommentierte: "SPD und Grüne erhöhen einfach die Verschuldung, damit ihre Wahlgeschenke bezahlt werden können."
+++ Eckpunkte des rot-grünen Koalitionsvertrags in NRW +++
Auch aus dem Berliner Konrad-Adenauer-Haus kamen angesichts der geplanten Rekordverschuldung scharfe Töne. "Rot-grüne Wohlfühlparteitage können nicht verdecken, dass hier mit einem unverantwortlichen 'Wünsch-Dir-was-Katalog' die Zukunft des industriellen Kernlandes der Bundesrepublik Deutschland aufs Spiel gesetzt wird", sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe dem Abendblatt. "Während die christlich-liberale Koalition in Berlin auf einen verantwortungsbewussten Sparkurs setzt, schielt man in Düsseldorf mit einem rot-grünen Füllhorn und Rekordverschuldung auf die Zustimmung von Linksaußen."
Mit Blick auf die zurückliegende Bundespräsidentenwahl, bei der die Linke nicht bereit war, für den Oppositionskandidaten Joachim Gauck zu stimmen, fügte der CDU-Politiker hinzu: "Jene Linkspartei, der Rot-Grün noch vor kurzem ein Scheitern im Demokratietest bescheinigte, ist als Dritter im Bunde willkommen, wenn zu Lasten kommender Generationen gezockt wird. Und die rot-grüne Spitzen in Berlin schauen wohlwollend dabei zu."
Hannelore Kraft will sich zur Nachfolgerin von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) wählen lassen. Der absolvierte seinen letzten großen Auftritt als Regierungschef ausgerechnet da, wo SPD und Grüne heute ihren Koalitionsvertrag unterzeichnen wollen: in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, die am Wochenende wiedereröffnet wurde. Auf seinen bevorstehenden Abschied ging Rüttgers dort nicht ein, aber er kritisierte den rot-grünen Koalitionsvertrag gegenüber dem "Focus" mit den Worten, er habe "noch nie ein Papier gesehen, in dem so viele gebrochene Worte drinstehen".
Kraft hat in Köln eingeräumt, dass die angestrebte Minderheitsregierung ein schwieriges Unternehmen ist. Rot-Grün sei auf Stimmen aus anderen Lagern angewiesen. Das wiederum sei aber "keine gelebte Praxis" im Landtag. Kraft rief die anderen Fraktionen zur Zusammenarbeit auf: "Fundamentalopposition hilft dem Land nicht weiter." Löhrmann trat auf dem Grünen-Parteitag in Neuss der Unterstellung entgegen, man strebe Neuwahlen an, um anschließend mit sicherer Mehrheit regieren zu können. "Wenn die anderen Fraktionen blockieren, liegt das aber nicht an uns", sagte Löhrmann.
Auch Sigmar Gabriel wies Spekulationen zurück, die Minderheitsregierung werde scheitern. Der SPD-Vorsitzende sagte "Bild am Sonntag": "Wir streben keine Neuwahlen an nach dem Motto: Lassen wir doch die Bürger so oft wählen, bis uns Politikern das Ergebnis passt". Er schloss sogar die Bildung einer rot-grünen Minderheitsregierung nach der Bundestagswahl 2013 nicht aus. Minderheitsregierungen seien nichts Erstrebenswertes, könnten aber halt das Ergebnis von Wahlen sein.