SPD und Grüne stellen ihren Koalitionsvertrag vor. Die künftige NRW-Regierung ist bereit, sich durch die Linkspartei tolerieren zu lassen.
Berlin/Düsseldorf. Heute machen SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen Nägel mit Köpfen. Nach nur zweiwöchigen Verhandlungen wollen Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Löhrmann (Grüne) ihren unterschriftsreifen Koalitionsvertrag vorlegen. Man sei am Wochenende mit den Verhandlungen auf Arbeitsgruppenebene gut vorangekommen und könne die Gespräche in vierter Runde nun auch abschließen, hieß es gestern in der Landeshauptstadt Düsseldorf.
Damit ist die Neuauflage des sogenannten "Magdeburger Modells" quasi unter Dach und Fach. Die kommende rot-grüne Landesregierung, der im Landtag nur ein Sitz zur absoluten Mehrheit fehlt, ist bereit, sich durch die Linkspartei tolerieren zu lassen. Die SPD soll das Koalitionspapier am Sonnabend auf einem Landesparteitag in Köln absegnen, Nordrhein-Westfalens Grüne versammeln sich zum selben Zweck in Neuss. Kraft sagte, beide Parteien hätten den "Mut zu klaren Zukunftssignalen".
Bereits in der nächsten Woche wollen SPD und Grüne im Landtag die Abschaffung der von der abgewählten schwarz-gelben Vorgängerregierung eingeführten Studiengebühren beschließen, zur Entschuldung der Kommunen einen Entschuldungsfonds einrichten und die Kopfnoten auf den Zeugnissen beseitigen.
Vor einer radikalen Schulform scheuen Kraft und Löhrmann - die grüne Spitzenfrau hat vor, das Ressort Bildung persönlich zu übernehmen - allerdings noch zurück. Sie wollen das Gespräch mit allen Landtagsfraktionen suchen, um zu einem parteiübergreifenden Konsens bei der Schulreform zu kommen. Bis 2015 soll aber ein Drittel der Schulen in Gemeinschaftsschulen umgewandelt werden. Schulen, Eltern und Kommunen könnten gemeinsam entscheiden, ob sie diesen Weg gehen wollten, heißt es dazu vage. Politische Beobachter sind der Ansicht, dass sich Krafts Minderheitsregierung mit der heftig umstrittenen Schulreform auf ein gefährliches Terrain begibt. Sie gehen nicht davon aus, dass die Minderheitsregierung vier Jahre halten wird.
Der Chemnitzer Parteienforscher Eckhard Jesse prognostiziert sogar Neuwahlen vor Ablauf des Jahres. "Beide Parteien haben ein Interesse daran, möglichst schnell Neuwahlen herbeizuführen", sagte Jesse dem Hamburger Abendblatt. Denn je länger man warte und so der am Boden liegenden CDU die Möglichkeit gebe, sich zu erholen, desto riskanter werde die Neuwahl für Rot-Grün.
Eine gute Gelegenheit werde sich im Herbst bieten: "Sollten SPD und Grüne ihren Haushaltsentwurf im Landtag nicht durchbringen, dann hoffen Kraft und Löhrmann darauf, bei schnellen Neuwahlen eine eigene rot-grüne Regierungsmehrheit zu bekommen. Sie wollen nicht auf Dauer von der Linkspartei abhängig sein." Bei der Linken wisse man das sehr wohl. Dort gebe man sich dennoch als Steigbügelhalter für Kraft und Löhrmann her, "um im Westen endlich salonfähig zu werden".
Die Bundespräsidentenwahl, bei der die Linke am Ende die Zusammenarbeit mit SPD und Grünen abgelehnt habe, liege auf einer anderen Ebene, so Jesse. "Als ehemaliger Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen war Joachim Gauck für die SED-Nachfolgepartei eine Hassfigur, jeden anderen Kandidaten hätte die Linke wohl mitgetragen."
Der "Oppositionsgipfel", für den die Linkspartei seit Sonntag wirbt, um den atmosphärischen Schaden zwischen sich, SPD und Grünen nach der vergifteten Bundespräsidentenwahl wiedergutzumachen, stößt unterdessen nicht auf Gegenliebe. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles bezeichnete den Vorschlag gestern als "blankes Ablenkungsmanöver" von der Krise, in die die Linkspartei nach der Wahl des Bundespräsidenten geraten sei. Die Sozialdemokraten hätten keine Lust darauf, den Linken bei ihrer "Imagekorrektur" zu helfen, nachdem diese dem rot-grünen Präsidentschaftskandidaten Gauck die Zustimmung verweigert hätten. Die Grünen-Chefin Claudia Roth äußerte sich ähnlich, meinte aber, ihre Partei sei trotzdem offen für den weiteren Dialog.