Nach seinem umstrittenen Gedicht hat Jerusalem ein Einreiseverbot gegen Günter Grass verhängt. Dafür gibt es Kritik - auch im eigenen Land.
Hamburg. Als sich gestern Tausende Menschen in vielen Städten Deutschlands versammelten, um wie jedes Jahr zu Ostern für den Frieden zu demonstrieren, gab es gewohnte Bilder: bunte Fahnen mit der Aufschrift "Pace", das runde Friedenszeichen, das seit den 60er-Jahren die Bewegung begleitet, die Plakate gegen Atomwaffen und Krieg. Doch einzelne Aktivisten wollten bei den Ostermärschen nicht nur ein Zeichen für Frieden setzen - sondern auch für Günter Grass. "Grass hat Recht", diesen Spruch hat sich ein Demonstrant an seinen Hut geklebt, eine andere Demonstrantin am Frankfurter Römerberg hält ein Porträt des 84 Jahre alten Schriftstellers in die Luft. Das Gedicht von Günter Grass habe dazu beigetragen, die Diskussion über eine gewaltfreie Lösung des Konfliktes zwischen Israel und Iran auf die Tagesordnung zu heben, sagte der Sprecher des Ostermarschbüros Frankfurt, Willi van Ooyen. So sieht er es. Van Ooyens Meinung ist nur eine in einem großen Chor verschiedener Stimmen zum umstrittenen Gedicht von Grass, in dem er Israel vorwirft, es gefährde den Weltfrieden. Wenn Grass Aufmerksamkeit wollte, hat er zumindest das erreicht.
Nachdem es von Politikern, Künstlern und Schriftstellern scharfe Kritik an dem Gedicht von Grass gab, wird nun die israelische Regierung kritisiert für das verhängte Einreiseverbot gegen Grass - in Deutschland, aber auch in Israel selbst. Die israelische Regierung griff dabei auf ein Gesetz zurück, das es ihr erlaubt, ehemaligen Nazis die Einreise ins Land zu verweigern. Grass hatte 2006 erstmals berichtet, in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs in der Waffen-SS gedient zu haben.
Vertreter von SPD, Grünen und FDP nannten Israels Entscheidung am Osterwochenende falsch. Auch der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, wertete das Verbot als "übertrieben, ein bisschen hysterisch oder populistisch - auf jeden Fall nicht gerechtfertigt". Grass sei kein Antisemit, der Inhalt seines Gedichts aber lächerlich, sagte Primor der ARD. Unterstützung für den israelischen Schritt bekundete hingegen CDU-Präsidiumsmitglied Philipp Mißfelder.
+++ "Günni Halts Maul": Grass-Denkmal beschmiert +++
Auch in Israel wird die Debatte um das Gedicht von Grass und das von Innenminister Eli Jischai verhängte Einreiseverbot kontrovers diskutiert. Die Zeitung "Haaretz" bezeichnete die Reaktion Israels in einem Kommentar als hysterisch. Solche Reaktionen seien eigentlich typisch für Regimes wie in Nordkorea oder eben Iran. Israel müsse auch provokante Äußerungen ertragen. Der israelische Historiker Tom Segev nannte die Angriffe von Grass gegen Israel "absurd". Allerdings sei es "gefährlich", Kritik an Israel zu delegitimieren.
Der SPD-Außenpolitiker und frühere Hamburger Bürgermeister Hans-Ulrich Klose warnte vor einer Skandalisierung in der Debatte um Grass und nannte das Einreiseverbot "überzogen". Gleichzeitig kritisierte Klose Grass für seine Angriffe gegen Israel. Nachdem Grass lange seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS verschwiegen habe, beweise er "mit seiner Anklage gegen den jüdischen Staat erneut, dass er ein gebrochenes Verhältnis zu seiner eigenen Biografie hat", sagte Klose dem Hamburger Abendblatt.
Der in Israel geborene deutsche Historiker Michael Wolffsohn nannte genau aus diesem Grund das Einreiseverbot "absolut legitim". Es gehe darum, der außerisraelischen Welt zu zeigen: "Kritik ja, aber nicht von ehemaligen SS-Leuten."
+++ Das Gedicht: "Was gesagt werden muss" +++
Grass selbst hatte sich vor Ostern gegen den Vorwurf des Antisemitismus gewehrt und seinen Kritikern eine "Gleichschaltung der Meinung" vorgeworfen - ein Begriff, bei dem sich Grass des Wortschatzes der Nationalsozialisten bediente. Als Gleichschaltung bezeichneten die Nazis die Beseitigung der pluralistischen Gesellschaft durch das Unterordnen ehemals freier Medien, Vereine, Gewerkschaften oder Organisationen unter die NS-Herrschaft. Grass räumte auch Fehler ein. Er hätte in seinem Gedicht deutlicher zum Ausdruck bringen sollen, dass er die Politik der derzeitigen Regierung Israels habe treffen wollen, sagte Grass der "Süddeutschen Zeitung".
Lob bekam Grass für seine Kritik an Israel auch von hoher Stelle des Regimes im Iran. "Dieses Gedicht wird zweifellos dazu beitragen, dass auch das schlafende Gewissen des Westens nun aufweckt wird", schrieb der stellvertretende Kultusminister Dschawad Schamghadri dem 84-Jährigen in einem Brief. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad spricht dem jüdischen Staat immer wieder das Existenzrecht ab und leugnet den Holocaust.
Auch aus einer extremistischen Ecke des Parteienspektrums bekommt Grass nun für seine Äußerungen gegen Israel Applaus, der ihm nicht gefallen dürfte. Der sächsische Abgeordnete Jürgen Gansel der rechtsextremen NPD lobte den Schriftsteller für dessen "befreienden Tabubruch". Grass schlage eine "mächtige Schneise zur Kritik am jüdischen Aggressionsstaat", heißt es auf der Internetseite der Partei.
Doch auch die Kritik an den Behauptungen von Grass rissen zu Ostern nicht ab. Mit seinem Text habe Grass nicht etwa eine überfällige Debatte angestoßen, sondern vor allem ein wenig sachbezogenes Mediengetümmel, sagte Reinhold Robbe, SPD-Politiker und Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der "Welt". Grass solle wissen, dass nicht Israel den Iran bedrohe - sondern umgekehrt.