Bundespolitiker aller Couleur äußern Unverständnis für die israelische Reaktion auf das umstrittene Gedicht des Literaturnobelpreisträgers.
Hamburg/Tel Aviv/Berlin. Die Debatte um Günter Grass' Gedicht "Was gesagt werden muss" und das darauf von Israel verhängte Einreiseverbot für den deutschen Literaturnobelpreisträger wird auch am Ostermontag weitergeführt.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Renate Künast, sagte am Montag, sie finde es schade, dass Israel so reagiert habe: "Am Ende reden alle über das Einreiseverbot und nicht mehr über den Inhalt von Grass.“ Das Verbot sei offensichtlich nur innenpolitisch motiviert.
Diskutieren müsse man darüber, dass Grass ignorant sei gegenüber der tatsächlichen Bedrohung Israels durch den Iran. "Das muss man doch sehen, dass der Iran das Existenzrecht Israels infrage stellt.“ Künast warf Grass vor, er spiele sich mit seiner Kritik an der israelischen Politik als Tabubrecher auf. Doch damit komme er viel zu spät.
Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) nannte das Einreiseverbot "völlig überzogen". Der Tageszeitung "Die Welt“ (Dienstag) sagte er: "Ich kann mir kaum vorstellen, dass Herr Grass nach dem deutlichen Unverständnis in Deutschland Interesse hätte, sich in Israel zu zeigen.“
Der außenpolitische Sprecher der Linke-Bundestagsfraktion, Jan van Aken, nannte das Einreiseverbot und die Forderung, Grass den Literaturnobelpreis abzuerkennen, völlig überzogen und undemokratisch. Es helfe nicht, wenn man Grass mit einem "mittelalterlichen Bann“ belege. Die Bundesregierung solle gegenüber Israel auf eine Aufhebung des Einreiseverbots drängen, forderte van Aken in einer Mitteilung am Montag.
SPD-Außenpolitiker Klose warnt vor Skandalisierung
Der Rüstungsgegner und Friedensaktivist Jürgen Grässlin indes verteidigte das umstrittene Israel-Gedicht des Literaturnobelpreisträgers. Der Autor habe zurecht darauf hingewiesen, dass Israel von Deutschland mit U-Booten "aus- und hochgerüstet werde“, sagte der Träger des Aachener Friedenspreises auf einer Ostermarschkundgebung in Friedrichshafen mit laut Veranstaltern rund 300 Teilnehmern aus der Region Bodensee. Grass gebühre Dank für seine mahnenden Worte, sagte Grässlin nach Angaben der Veranstalter. Das vonseiten Israels gegen den Schriftsteller verhängte Einreiseverbot sei "falsch und unberechtigt“.
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Der SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose warnt derweil vor einer Skandalisierung in der Debatte um Günter Grass. "Das Einreiseverbot nach Israel für Günter Grass halte ich für überzogen. Man sollte die Diskussion um das Gedicht jetzt nicht skandalisieren", sagte der Koordinator für die transatlantsiche Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt dem Hamburger Abendblatt (Dienstag-Ausgabe). Grass sei ein alter Mann, der ein paar gute Bücher geschrieben habe. Und er zeige mit dem Gedicht, dass er nichts verstanden habe im Konflikt zwischen Israel und dem Iran, hob der Bundestagabgeordnete hervor. "Ob Grass bei der Bundestagswahl 2013 für die SPD werben soll, ist nicht meine Baustelle. Ich würde es nicht tun, aber da ist vor allem der Vorsitzende Sigmar Gabriel gefordert, eine Entscheidung zu finden", sagte Klose weiter.
Israels Ex-Botschafter: Maßnahme "populistisch"
Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, nannte das Einreiseverbot für Grass übertrieben und populistisch. Innenminister Eli Jischai von der strengreligiösen Schas-Partei hatte Grass am Sonntag wegen dessen israelkritischen Gedichts zur unerwünschten Person erklärt.
"Ich glaube, dass der Innenminister gar nichts von Deutschland versteht. Er betreibt Innenpolitik. Ich halte das für falsch“, erklärte Primor am Sonntagabend in den ARD-"Tagesthemen“. Für ihn sei Grass kein Antisemit. "Ich weiß, wovon ich spreche.“ Zugleich kritisierte der Diplomat aber auch Grass' umstrittenes Gedicht. Die darin geäußerte Behauptung, Israel wolle den Iran auslöschen, sei lächerlich.
+++ Das Gedicht: "Was gesagt werden muss" +++
Auch seien die Sorgen der israelischen Regierung berechtigt, dass der Iran Atomwaffen bauen könnte, meinte Primor. Schließlich habe nicht nur der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad sondern auch der oberste Führer des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, von der Auslöschung Israels gesprochen.
Friedensbewegung solidarisiert sich mit Grass
Auch aus der deutschen Friedensbewegung erhält Grass Rückendeckung. Nicht der Schriftsteller gehöre an den Pranger, sondern diejenigen Politiker, die weiter an der "Eskalationsschraube“ im Nahen und Mittleren Osten drehten, indem sie den Iran mit Wirtschaftssanktionen immer mehr in die Enge trieben, erklärte der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Peter Strutynski, am Montag in Kassel. "Die logische Folge des Sanktionsregimes aber heißt Krieg.“
+++ Autorenvereinigung: Grass-Debatte gehört in Literaturszene +++
Dass Israel über 250 Atomsprengköpfe besitze, dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten sei sowie keine Kontrollen zulasse und offen das Für und Wider eines "Präventivkriegs“ gegen Iran diskutiere, "sind Tatsachen, die Günter Grass auf seine Weise ins rechte Licht gerückt hat“, erklärte er.
Israelische Zeitung druckt Grass-Karikatur
In Israel machte sich derweil ein Karikaturist über das Einreiseverbot lustig. Die Zeitung "Haaretz“ veröffentlichte die Zeichnung von Amos Biderman in der Nacht zum Montag. Sie zeigt zwei Männer, die auf einem Hausdach in Tel Aviv einen Joint rauchen. Einer von ihnen sagt mit besorgtem Gesichtsausdruck: "Der Innenminister hat die Einreise (auch: Einfuhr) von Grass nach Israel verboten.“ Darauf gerät der andere Mann ins Schwitzen. Im Vordergrund sind mehrere Marihuana-Pflanzen in Blumentöpfen zu sehen. Im Hebräischen wird Cannabis wie im Deutschen umgangssprachlich als Gras bezeichnet.
+++ "Bei dieser geistigen Verirrung kommt einem die Galle hoch" +++
Der Literat hatte in seinem Gedicht "Was gesagt werden muss“ angeprangert, dass der Iran von einem atomaren Präventivschlag durch Israel bedroht sei, der das iranische Volk auslöschen könne. Er warf Israel vor, als Atommacht den Weltfrieden zu gefährden. Das Gedicht hatte ihm im In- und Ausland den Vorwurf des Antisemitismus eingebracht. Grass hatte sich verteidigt und seinen Kritikern Hass und eine Kampagne gegen ihn vorgeworfen.
Mit Material von dpa und dapd