Die EU-Kommissarin Viviane Reding bereitet eine Gesetzes-Initiative vor, die die Frauenquote in der EU voranbringen soll und drängt Berlin zur Umsetzung.
Berlin. Die Bundesregierung hat Ärger mit Viviane Reding. Wieder einmal. Es ist nicht nur so, dass die EU-Justizkommissarin regelmäßig die Tatenlosigkeit der Ministerriege um Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Sachen Vorratsdatenspeicherung bemängelt - vor allem auch beim Streitthema Frauenquote hat sich die Brüsseler Politikerin jetzt erneut mit einem mahnenden Zeigefinger unter anderem an Deutschland gewandt. Denn: Es tut sich einfach nichts. Trotz teils vollmundiger Ankündigungen der großen Konzerne ist der Anteil von Frauen in Führungspositionen dort immer noch verschwindend gering.
"Die Selbstverpflichtung hat bisher keine befriedigenden Ergebnisse gebracht", schimpfte Reding gestern bei der Vorstellung eines neuen Berichts, nach dem der Frauenanteil unter Aufsichtsrats- oder Vorstandsmitgliedern führender europäischer Unternehmen derzeit bei knapp 14 Prozent liegt - und damit seit 2010 um nur zwei Prozentpunkte zugenommen hat. "Bei dieser Geschwindigkeit würde es noch 40 Jahre dauern, bis ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis herrscht", bilanziert ihr Bericht. Zufrieden wäre Reding mit einem Frauenanteil von 40 Prozent. Von einem solchen Wert ist auch Deutschland noch meilenweit entfernt: In der Bundesrepublik liegt der Anteil derzeit bei knapp 16 Prozent.
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In Berlin wird seit vielen Monaten über die Frauenquote diskutiert. Während sich Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ebenfalls für eine gesetzliche Regelung ausspricht, hält die zuständige Familienministerin Kristina Schröder (CDU) an ihrer sogenannten Flexi-Quote fest. Diese sieht vor, die Unternehmen ab 2013 dazu zu verpflichten, sich selbst individuelle Frauenquoten zu setzen. Nur wenn diese verfehlt werden, sollen Sanktionen folgen. Die Kanzlerin unterstützt bislang Schröders Variante - allerdings soll sie jüngeren Berichten zufolge auch nicht mehr völlig abgeneigt sein, doch auf eine starre Quote per Gesetz überzuschwenken, wenn sich auf Unternehmensseite zu wenig tut.
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Der Streit birgt für die Koalition großes Konfliktpotenzial - denn auch die FDP lehnt ein Gesetz ab. "Eine gesetzliche Frauenquote für Vorstände und Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen ist ein Luxusprogramm, das keines der tatsächlichen Probleme löst, die Frauen haben, die in Führungspositionen möchten oder in ihrem Beruf benachteiligt werden", meint etwa der Liberalen-Generalsekretär Patrick Döring. Es gehe in Deutschland lediglich um rund 800 Gesellschaften, sagte er dem Abendblatt. "Und da ist es ist allein den Aktionären zu überlassen, welche Persönlichkeiten sie zur Vertretung ihrer Interessen einsetzen. Eine Frauenquote wäre eine Einschränkung ihrer Rechte und ein Verstoß gegen den Schutz des Eigentums." Beim Koalitionsgipfel am Sonntag wurde das Thema ob der auseinandergehenden Meinungen ausgeklammert.
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Es könnte jetzt ohnehin bald EU-Kommissarin Reding sein, die anstelle Berlins Tatsachen schafft. Vor einem Jahr hatte sie die Konzerne bereits aufgefordert, sich selbst auf mehr Frauen in Spitzenpositionen zu verpflichten. Ihre Initiative, den Anteil bis 2015 auf 30 und bis 2020 auf 40 Prozent zu heben, hätten aber nur 24 Firmen unterzeichnet - darunter nur ein einziges Unternehmen aus Deutschland. Der Kommissarin ist jetzt der Geduldsfaden gerissen. Die betroffenen Konzerne und Interessengruppen haben nun bis Ende Mai Zeit, Stellung zu beziehen. Nach Abschluss der Konsultation werde sie jetzt konkrete Maßnahmen bis zum Gesetzesvorschlag präsentieren, kündigte die Kommissarin an. "Ich bin zwar kein großer Fan von Quoten", sagte Reding, "aber ich mag die Ergebnisse, die sie bringen." Ihr Lieblingsbeispiel: Frankreich. Dort wurde vor einem Jahr eine Quote eingeführt. Und seither ist die Zahl der Frauen pro 100 Vorstandsposten von zwölf auf 22 hochgeschnellt. Auch Deutschland müsste sich den Vorgaben aus Brüssel beugen.
Unterstützung bekam Reding von der SPD. "Das Gesetzgebungsverfahren ist längst überfällig und bietet eine klare Perspektive für Frauen", sagte Vize-Vorsitzende Manuela Schwesig dem Abendblatt. Wieder einmal sei es die EU, die der Bundesregierung zeige, "wo es langgeht". Die EU habe begriffen, dass Vielfalt in Führungspositionen und mehr Frauen an der Spitze für Unternehmen selbstverständlich sein müssten. Schwesig forderte von Deutschland eine "Vorreiterrolle" bei der Frauenquote. Für die Bundesregierung sei es ein Armutszeugnis, dass sie selbst immer noch nichts auf den Tisch gelegt habe, weil sie intern zerstritten sei. Die "Flexi-Quote" von Familienministerin Schröder sei ein frauenpolitischer Offenbarungseid.
Auch die europäische Bevölkerung weiß Reding hinter sich. Nach einer gestern veröffentlichten Euro-Barometer-Umfrage sind neun von zehn Europäern dafür, dass Frauen bei gleichen Qualifikationen auch genau so viele Top-Positionen wie ihre männlichen Kontrahenten erhalten. 75 Prozent halten eine gesetzliche Quote für angebracht.
Wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gestern berichtete, haben die Frauen in Deutschland jedoch auch unterhalb der Chefebene mit Nachteilen zu kämpfen. In der Bundesrepublik ist das Lohngefälle zwischen Frauen und Männern demnach doppelt so groß wie in keiner anderen Industrienation Europas. Eine vollbeschäftigte Frau mit mittlerem Einkommen verdient hierzulande fast 22 Prozent weniger. Im Durchschnitt aller 34 Industrieländer lag dieser Wert bei 16 Prozent - bei Spitzenreiter Norwegen beträgt er sogar nur neun Prozent.