Staatsoberhaupt sperrt sich gegen Veröffentlichung des Anrufs beim “Bild“-Chefredakteur. Opposition fordert Kanzlerin auf, sich zum Bundespräsidenten zu äußern.
Berlin. "Die Redaktion bedauert diese Entscheidung." Kurz nach 16 Uhr bildete die finale Reaktion der "Bild"-Zeitung den Schlusspunkt eines Briefwechsels, der für Bundespräsident Christian Wulff noch ein Nachspiel haben könnte. Einer Veröffentlichung seines Anrufs auf der Mobilbox von "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann stimmte der Präsident trotz der Bitte Diekmanns nicht zu.
Es bleibt somit unklar, was Wulff wirklich am 12. Dezember am Telefon sagte: ob er tatsächlich - wie von ihm am Mittwochabend im Fernsehinterview behauptet - um eine Verschiebung der Veröffentlichungen zu seinem Hauskredit bat oder ob er die "Bild"-Geschichte schlicht verhindern wollte.
Wulffs Absage irritierte sowohl das Regierungslager als auch die Opposition. Doch auf schwarz-gelber Seite schwieg man vorerst. Wulff habe Transparenz angekündigt und einen Tag danach die erste Chance dafür verstreichen lassen, kritisierte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Die Grünen forderten die Offenlegung der gesprochenen Worte.
Schon nach der Ausstrahlung des Fernsehinterviews hatten SPD, Linke und Grüne weiteren Aufklärungsbedarf beim Bundespräsidenten angemahnt - und ein Einschreiten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gefordert. "Das ist keine Causa Wulff mehr, das ist eine Causa Merkel", sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Auch Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke verlangte von Merkel, zum Präsidenten Stellung zu nehmen. Dem Nachrichtensender N24 sagte sie: "Angela Merkel ist jetzt gefragt, ob sie hinter Herrn Wulff steht oder nicht." Die Kanzlerin allerdings schwieg trotz eines öffentlichen Termins gestern beharrlich. Merkel empfing Sternsinger aus allen 27 Bistümern der Republik und sang mit ihnen "Seht ihr unseren Stern dort stehen". Mehr war nicht von ihr zu hören.
In Wulffs Heimat Niedersachsen, wo die Affäre um den Hauskredit und die ausweichenden Antworten gegenüber dem Landtag ihren Anfang genommen hatten, reagierte die Opposition tief enttäuscht auf Wulffs Versuch eines Befreiungsschlags. Der niedersächsische SPD-Fraktionschef Stefan Schostok sagte dem Abendblatt: "Die Fragen, die den Niedersächsischen Landtag berühren, sind offen geblieben. Die Aufarbeitung ist noch nicht beendet." Mehrere Anfragen an die niedersächsische Staatskanzlei seien noch nicht beantwortet worden, kritisierte Schostok. Der SPD-Fraktionsvorsitzende warf Wulff vor, in dem Fernsehinterview "verschleiert" zu haben und "vage" geblieben zu sein. Wulff scheine nicht mehr in der Lage zu sein, seinem Amt Würde und Glaubwürdigkeit zurückzugeben. "Das System Wulff in Niedersachsen ist damit nicht aufgeklärt", so Schostok. Er sagte auch, Wulff sei überhaupt noch nicht im Amt des Bundespräsidenten angekommen. "Jetzt bittet er um weitere Einarbeitungszeit. Dafür haben wir zunehmend weniger Verständnis." Auch in der FDP wächst die Ungeduld mit dem Staatsoberhaupt. "Der Prozess der Entfremdung zum Bundespräsidenten beschleunigt sich", sagte FDP-Europaabgeordnete Michael Theurer dem Abendblatt. "Wenn jetzt noch etwas Gravierendes hinzukommt, dann wird es sehr eng für Christian Wulff. Je länger er braucht, für lückenlose Aufklärung zu sorgen, desto schwieriger wird es für ihn, im Amt zu bleiben." CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe griff dagegen die Kritiker des Präsidenten an und war sich gestern zumindest "sicher", dass der Präsident "erfolgreich Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen wird".
+++ Wulff lehnt Veröffentlichung von Mailbox-Abschrift ab +++
+++ "Die Bürger setzen darauf, dass ich Bundespräsident bleibe +++
+++ Was ein Experte aus Wulffs Mimik liest +++
+++ Die offizielle Stellungnahme von Wulffs Anwaltskanzlei zum Download +++
Der Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, sprach sich für eine Direktwahl des Bundespräsidenten aus. Auf jeden Fall wäre sie besser als das "politische Geschacher" und der "Spießrutenlauf", dem sich Präsidenten beim aktuellen Wahlverfahren unterziehen müssten, sagte er mit Blick darauf, dass Wulff erst im dritten Wahlgang Bundespräsident geworden war. Derzeit sei man jedenfalls auf dem besten Weg, das Amt so zu diskreditieren, dass die Menschen es irgendwann nicht mehr haben wollten.
Dass Wulff selbst sein Amt diskreditiert habe, warf ihm die Mehrheit der Kommentatoren vor. Die "Süddeutsche Zeitung" stellte fest: "Er ist ein Präsident, der sich in seiner Schwäche an seinem Amt festhält, weil ihm das Amt den Halt gibt, den er ansonsten nicht hat." Die "Financial Times Deutschland" urteilte: "Schloss Bellevue verkommt zum Gespensterschloss. Sein Herr ist von allen guten Geistern verlassen."