Der Bundespräsident muss sich im Bewusstsein seiner Verantwortung jetzt entscheiden.
Für den Bundespräsidenten ist entscheidend, was er nicht tut. Er mischt sich nicht permanent ins politische Geschehen ein, sondern nur, wenn er meint, dass es Zeit für sein (Macht-)Wort ist. Er macht sich nicht gemein mit anderen Politikern oder Unternehmern. Er ruft keine Journalisten an, nicht einmal Chefredakteure. Und vor allem bittet, bettelt und droht er nicht.
Niemals.
Sonst ist er kein Bundespräsident.
Das höchste Amt im Staate, um das sich derzeit zu Recht viele Sorgen machen, ist ein Amt des Sich-Zurücknehmens und der Distanz. Ins Schloss Bellevue passen weder Eitelkeit noch Ego und schon gar keine politischen Taktierereien. Das unterscheidet den Bundespräsidenten von allen anderen politischen Spitzenämtern, und genau das macht Christian Wulff das Leben als Landesvater so schwer.
Der Politiker Wulff ist in einem System aufgewachsen, in dem es ohne Absprachen und Kungeleien, ohne Nehmen und Geben innerhalb der eigenen Partei und in Koalitionen mit anderen Parteien nicht geht. Wie das Spiel um die Macht funktioniert und nach welchen Regeln, hat er in seiner Karriere so gut gelernt wie kaum ein anderer. Entsprechende Kenntnisse, Tricks und Kniffe ließen ihn zu einem Spitzenmann in der CDU, zum Ministerpräsidenten Niedersachsens und schließlich zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten werden. Genau dort begann das Problem: Der Wechsel von der realen in die symbolische Politik, vom mächtigen Regierungschef zur Moralinstanz, ist ihm nicht gelungen, und er kann so richtig nicht einmal was dafür.
Wulffs politische Sozialisation war und ist für ein Leben als Bundespräsident nicht gemacht. Wahrscheinlich war er sich bei seinen jetzt kritisierten Verhaltensweisen keiner Fehler bewusst, weil er sich als Staatsoberhaupt einfach weiter jener Mechanismen bediente, die er als Oppositionspolitiker und Ministerpräsident gelernt hatte.
Mal schnell einen Chefredakteur anzurufen eingeschlossen.
Vielleicht war er deshalb der falsche Kandidat, wie früher manche und heute immer mehr politische Beobachter schreiben. Vielleicht sollte man bei der Wahl künftiger Bundespräsidenten (und gern auch Bundespräsidentinnen) deshalb ganz darauf verzichten, Berufspolitiker in die engere Auswahl zu nehmen. Dass Wulffs Vorgänger Horst Köhler und Roman Herzog bei ihrem Volk so beliebt waren, lag auch daran, dass sie den politischen Betrieb schon vor ihren Amtszeiten von außen betrachtet hatten - und dass sie diese Distanz beibehielten, auch auf die Gefahr hin, dadurch manchmal unnahbar zu wirken.
Undenkbar, dass Köhler oder Herzog bei einem Journalisten, und sei er noch so einflussreich, angerufen hätten, um eine Berichterstattung zu verhindern oder zu beeinflussen. Wenn die beiden zum Telefonhörer griffen, konnte man sicher sein, dass es im Kanzleramt klingeln und dass es um etwas wirklich Wichtiges gehen würde. Wichtig für das Land und seine Entwicklung wohlgemerkt, nicht wichtig für den Bundespräsidenten.
Der hat qua Amt keine persönlichen Interessen zu haben. Und wenn doch? Dann ist es nicht an der Zeit, die Rolle oder Funktion des obersten Verfassungsorgans zu überdenken, sondern die eigene.
Christian Wulff, der zu den neuen Vorwürfen schweigt, scheint in diese schwierige Phase eingetreten zu sein. Die Würde des Amtes verbietet es selbstverständlich, ihm zu diesem oder jedem anderen Zeitpunkt Ratschläge für sein weiteres Verhalten zu geben. Nur der Bundespräsident entscheidet schließlich, was für den Bundespräsidenten richtig ist - in vollem Bewusstsein einer Verantwortung, die nicht mehr und nicht weniger als die eigentliche Legitimation für das Ansehen dieses Amtes ist.