Der Fall Christian Wulff macht deutlich, wie wichtig die Pressefreiheit ist
Ist von der Verteidigung der Pressefreiheit die Rede, geht es oft um Länder wie China, Russland oder arabische Staaten, in denen Journalisten gelegentlich buchstäblich den Kopf für ihre Arbeit hinhalten müssen. Doch dieses Grundrecht ist nicht dadurch gesichert, dass es einmal in einer Verfassung schriftlich fixiert wurde. Es ist vielmehr ein Prozess, ein hohes Gut, das immer wieder neu erarbeitet und auch erkämpft werden will. Und das gilt auch in gefestigten Demokratien.
In Gefahr gerät diese Freiheit, wenn sie, wie in Ungarn, ein Regierungschef dank Zweidrittelmehrheit per Verfassungsänderung einschränkt. Oder wenn, wie in Italien, bis vor Kurzem ein Medienzar dank seiner Sender und seines Vermögens sich die entsprechende Berichterstattung einfach kauft. Oder wenn, wie in Frankreich, autoritär in die Arbeit von Journalisten eingegriffen wird, nur wohlmeinende Kollegen mit Interviews und Informationen versorgt und andere mit Hausdurchsuchungen und Prozessen überzogen werden.
Anrufe eines Bundespräsidenten bei Chefredakteuren, um missliebige Berichte zu verhindern, nehmen sich da weniger dramatisch aus. Sie passen aber irgendwie in das Bild, das die Nation mittlerweile von Christian Wulff hat, der sich in seinem Vorleben als niedersächsischer Ministerpräsident vor allem als Bundesschnäppchenjäger bei Urlaubsreisen und Hauskrediten betätigt hat. Das ist vielleicht nicht illegal, aber doch irgendwie peinlich, zumindest dem Image abträglich. Die Bürger haben aber ein Recht zu erfahren, wer ihr Staatsoberhaupt ist, wie es denkt und sich auch in Alltagsfragen verhält. Noch mehr Anspruch haben sie darauf, dass sich der Erste Mann im Staat auch als Erster Verteidiger der Grundrechte betätigt und nicht versucht, sie kraft seines Amtes zu beugen oder einzuschränken. Das ist ohnehin vergeblich.
So im Falle Wulff, der weder die Berichte über seine Kredite verhindern konnte und sich nun in eine Erklärungs- und Entschuldigungsschleife manövriert hat. Via Fernsehen hat er gestern den Befreiungsschlag gesucht. Es glich eher einem Versuch in gelenkter Pressefreiheit: zwei auserwählte, öffentlich-rechtliche Sender, zwei Moderatoren, begrenzt auf eine Viertelstunde, die bekannten Lippenbekenntnisse zum Grundgesetz und erneut die Versuche der Entschuldigung. Wenn überhaupt, war das allenfalls der Anfang eines Neuanfangs für Wulff. Im Amt bleibt er vorläufig nur, weil es die Kanzlerin will, weil die großen Parteien derzeit kein Interesse an einer baldigen Neuwahl haben und Wulff darauf hoffen kann, dass das staunende Publikum immer neuer Geschichten über ihn, sein Amtsverständnis und sein Vorleben in Hannover bald überdrüssig sein wird. Ein Präsident auf Abruf.
Berlusconi ist trotz aller Medienmacht mittlerweile Geschichte. Auch ein Nicolas Sarkozy kann nicht immer alles verhindern, was ihm nicht passt. Und im Falle Viktor Orbans überlegt schon Radio Free Europe, sein ungarischsprachiges Programm wieder aufzunehmen.
Es bedarf nicht des großen Wortes von der vierten Gewalt im Staate, um die Rolle der Medien in der Demokratie zu umreißen. Journalisten sind weder gewählt noch rechenschaftspflichtig, noch machen sie immer alles richtig. Aber sie haben das Recht und die Pflicht, im Rahmen der gültigen Gesetze und Berufsregeln für Offenheit in der Gesellschaft zu sorgen. Eine Aufgabe, die für das Funktionieren einer Demokratie unerlässlich und deshalb unter allen Umständen zu verteidigen ist. Etwa gegen Amtsträger, die sich belästigt fühlen, aber auch gegen Militärs, Geheimdienstler und Wirtschaftsbosse, die nicht immer von sich aus den Drang zur Offenheit verspüren.
Gut, dass uns Christian Wulff daran erinnert hat.