ARD und ZDF sicherten sich mit ihrem zeitgleich ausgestrahlten Interview des Bundespräsidenten einen Marktanteil von 33,9 Prozent. Die Kritik an Wulff nach seiner Stellungnahme wird jedoch nicht leiser. Die SPD spricht von Wulff als “Entschuldigungspräsidenten“.
Berlin. Quoten wie bei einer Fußballweltmeisterschaft: 11,49 Millionen Zuschauer verfolgten am MIttwochabend das erste TV-Interview von Bundespräsident Christian Wulff zur Kreditaffäre und seinen umstrittenen Anrufen beim Axel-Springer-Verlag im ARD und ZDF. Das entspricht einem Marktanteil von 33,9 Prozent. 8,04 Millionen Zuschauer sahen das Interview im Ersten (23,7 Prozent), beim ZDF schalteten 3,45 Millionen Zuschauer ein (10,2 Prozent). Das 20-minütige Gespräch wurde um 20.15 Uhr zeitgleich von ARD und ZDF ausgestrahlt. Kritik am Exklusivinterview kam vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV). „Der Präsident sollte sich den Fragen aller Journalisten der Hauptstadtmedien stellen“, forderte der Vorsitzende Michael Konken. Auch die Privatsender beklagten eine enorme Benachteiligung gegenüber ARD und ZDF. Die Kritik am Staatsoberhaupt reißt jedoch auch nach dem Interview nicht ab. SPD und Grüne sehen die Debatte um Wulff nach der Ausstrahlung nicht aus der Welt geschafft.
+++"Die Bürger setzen darauf, dass ich Bundespräsident bleibe+++
+++Was ein Experte aus Wulffs Mimik liest+++
„Wulff ist kein Opfer von bösen Medien oder einer Medienkampagne, sondern er hat mit Problemen zu kämpfen, die er selbst zu verantworten hat“, sagte SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil am Donnerstag im RBB-Inforadio. Zudem müsse Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nun endlich Stellung zu den Fehltritten Wulffs beziehen, schließlich sei Wulff ihr Kandidat und werfe mit seinem Verhalten die Frage auf, ob er den Ansprüchen an das Amt gerecht werde. Auf diese Frage müsse die Kanzlerin jetzt neu und öffentlich antworten.
SPD-Innenexperte Sebastian Edathy hält Wulffs Fernsehinterview für einen „stark von Selbstgerechtigkeit“ geprägten Auftritt. Der Präsident stelle sich als Opfer dar, sagte Edathy dem Fernsehsender N24. „Man hat ja fast den Eindruck, man müsste Amnesty International einschalten und auffordern, sich für Herrn Wulff einzusetzen.“ Es seien jedoch noch viele Fragen offen, sagte Edathy. Wulff behaupte zum Beispiel, er habe nicht gegen Gesetze verstoßen. Dies sei allerdings noch völlig offen. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles zollte Wulff am Donnerstag im ARD-„Morgenmagazin“ Respekt, dass er sich den Fragen von Journalisten gestellt habe. Aber die Beschädigung des Amtes habe er damit nicht aus der Welt geschafft, schränkte sie ein. Zugleich betonte Nahles, es dürfe nun nichts mehr nachkommen. „Wenn er jetzt nicht alles auf den Tisch gepackt hat, dann wird's eng“, sagte Nahles, die auch Bundeskanzlerin Merkel für den Schaden am Amt verantwortlich machte. Sie habe sich damals für den Parteipolitiker Wulff und gegen Joachim Gauck entschieden.
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Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast kritisiert die Stellungnahme Wulffs. „Wulff hat nur über seine Gefühle geredet, aber keine der Fragen beantwortet, die das Land beschäftigen“, sagte Künast der "Bild". „Niemand weiß, wie oft und wofür sich dieser Präsident noch wird entschuldigen müssen.“ Der schleswig-holsteinische Landtags-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Robert Habeck, nannte Christian Wulff einen "Entschuldigungspräsidenten“. Auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Erwin Lotter sagte, es habe sich um einen „weiteren Akt in dem quälenden Staatsdrama“ gehandelt.
CDU stärkt Wulff den Rücken
Die CDU dagegen stärkt dem Bundespräsidenten den Rücken. Niedersachsens CDU-Fraktionsvorsitzender Björn Thümler lobte das Fernsehinterview. Wulff habe „umfassend für Klarheit und Transparenz gesorgt“, sagte Thümler. Der Bundespräsident habe „glaubhaft und in menschlich sehr nachvollziehbarer Weise Fehler im Umgang mit den Medien eingeräumt und sich dafür ausdrücklich entschuldigt“, betonte Thümler. Auch der niedersächsische CDU-Generalsekretär Ulf Thiele stärkte Wulff den Rücken. Wulff sei ein guter Bundespräsident, er habe das Vertrauen der Menschen verdient, sagte Thiele. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe zeigte sich überzeugt, dass Wulff durch die weitere Aufklärung erfolgreich Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen werde.
CDU-Politiker Peter Hintze sieht in den Interview-Äußerungen keinen Widerspruch zur Darstellung der „Bild“-Zeitung. Wulff wird vorgeworfen, er habe mit einem Drohanruf eine Berichterstattung verhindern wollen. Dazu sagte Hintze am Donnerstag im ARD-Morgenmagazin: „Er (Wulff) hat das Recht, wenn er mit einer Veröffentlichung hadert, zu sagen: „Das sehe ich anders“.“ Die Aussagen der „Bild“-Zeitung und Wulff deckten sich „im Kernsachverhalt“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Wulffs Darstellung im Interview, er habe nur um eine Verschiebung der Veröffentlichung gebeten, war von „Bild“ dementiert worden. Der stellvertretende Chefredakteur Nikolaus Blome sagte am Mittwochabend im Deutschlandfunk, „den Satz von Herrn Bundespräsident Wulff, ich wollte die Berichterstattung nicht verhindern, das haben wir damals deutlich anders wahrgenommen“. Der Bundespräsident räumte aber ein, der Drohanruf bei „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann sei ein schwerer Fehler gewesen, der ihm leidtue. Hintze bezeichnete die Auseinandersetzung um Wulffs Anruf bei der „Bild“-Zeitung als übertrieben. „Wir können an diesem schönen Beispiel sehen, wie im Moment mit der Lupe Klein- und Kleinstdifferenzen vergrößert und aufgeblasen werden und daraus neue Sachverhalte gemacht werden“, sagte Hintze.
"Es gibt auch Menschenrechte für Bundespräsidenten"
In seiner ersten Stellungnahme nach tagelangem Schweigen zu neuen Vorwürfen beteuerte der Bundespräsident im Interview, er habe niemals gegen Gesetze verstoßen. Einen Rücktritt wegen der Vorwürfe um vergünstigte Kredite und versuchte Medienmanipulation lehnte er ab: „Ich weiß, dass ich nichts Unrechtes getan habe, auch wenn nicht alles richtig war, was ich getan habe.“
„Der Anruf bei dem Chefredakteur der Bild-Zeitung war ein schwerer Fehler, der mir leid tut, für den ich mich entschuldige“, sagte Wulff. Mit seinem eigenen Amtsverständnis, zu dem der Respekt vor den Grundrechten und somit vor der Presse- und Meinungsfreiheit gehöre, sei sein Verhalten nicht vereinbar, räumte er ein. Mit dem Anruf auf der Mailbox von „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann hatte er die Veröffentlichung zu seinem Haus-Kredit beeinflussen wollen und dem verantwortlichen Journalisten mit juristischen Konsequenzen gedroht.
Im Zusammenhang mit dem Kredit der Unternehmergattin Edith Geerkens und den Urlaubsaufenthalten bei Unternehmerfreunden versicherte Wulff, er habe nie gegen Recht und Gesetz verstoßen, weder als Bundespräsident noch davor. Auch ein Bundespräsident sei ein Mensch und mache Fehler, warb der 52-Jährige um Verständnis. Er wolle sein Amt weiter ausfüllen und nach fünf Jahren eine erfolgreiche Bilanz vorlegen. Wulff beteuerte, er habe die „Bild“-Veröffentlichung nicht verhindern wollen, sondern lediglich gebeten, mit ihr einen Tag zu warten. Er habe verhindern wollen, dass Dinge veröffentlicht werden, die ihn mit Unwahrheit in Verbindung brächten. „Es gibt auch Menschenrechte, selbst für einen Bundespräsidenten.“
Zugleich betonte Wulff, er wolle nicht in einem Land leben, in dem sich niemand mehr von Freunden Geld leihen könne. Er habe zu dem 500.000-Euro-Kredit alle Grunddaten zur Finanzierung offengelegt. Die Anwälte würden die Unterlagen am Donnerstag auch ins Internet stellen. Bei dem Unternehmer Egon Geerkens handele es sich um einen väterlichen Freund seit Jugendtagen. Wulff räumte aber ein, er hätte im Landtag 2010 als damaliger niedersächsischer Ministerpräsident auf die Frage nach geschäftlichen Beziehungen zu ihm den Kredit von dessen Frau erwähnen sollen. Klar sei aber: „Es ist eindeutig kein Verstoß gegen das Ministergesetz.“ Wulff verteidigte auch den Nachfolgekredit bei der BW-Bank. Es habe sich dabei um ganz normale Konditionen gehandelt. Auch die Urlaubsreisen bei Unternehmerehepaaren will Wulff nicht als Fehler gewertet wissen. Wenn ein Ministerpräsident keine Freunde mehr haben dürfe und alle Politiker ab sofort nicht mehr bei Freunden übernachten dürften, verändere sich die Republik „zum Negativen“. Wulff zeigte sich entschlossen, Glaubwürdigkeit zurück zu erlangen. Im Umgang mit seinen Fehlern wolle er „Lernbereitschaft“ unter Beweis stellen. „Ich nehme meine Verantwortung wahr, ich habe mich bewusst dafür entschieden und ich habe ein nachhaltiges Interesse an unserem Land.“
Der Bundespräsident zeigte sich mit dem Interview vor einem Millionenpublikum zur Hauptsendezeit bemüht, in die Offensive zu kommen. Nach tagelangem Schweigen hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihm zuvor den Rücken gestärkt. Die Kanzlerin habe „volles Vertrauen darin, dass der Bundespräsident auch weiterhin alle anstehenden Fragen umfassend beantworten wird“, sagte ihr Sprecher. Bislang habe Wulff bereits viele Fragen beantwortet. CSU-Chef Horst Seehofer sagte, seine Partei stehe zu Wulff. „Und er hat auch unser Vertrauen“, fügte er hinzu.
Mit Material von dpa/dapd/rtr